Privatsammlung im Netz Julia Stoschek: „Jeder kann sich überall auf der Welt meine Sammlung anschauen.“

„Mit ihren audiovisuellen Eigenschaften ist zeitbasierte Medien-Kunst dafür prädestiniert, auf dem Computer, Tablet oder Handy angeschaut zu werden.“
Düsseldorf Julia Stoschek ist mittlerweile eine der wichtigsten und innovativsten Kunstsammlerinnen Deutschlands. Die 44-jährige Milliardärin ist Gesellschafterin des Coburger Automobilzulieferers Brose. Sie war sehr jung, als sie vor über zwanzig Jahren anfing, Kunst zu sammeln. Nicht etwa Bilder, das ginge ja noch, nein die als sperrig verschriene Videokunst fasziniert die Sammlerin, die stets lachend erzählt, sie verdanke ihre Prägung MTV.
Seit 2007 unterhält sie ein öffentlich zugängliches Privatmuseum in Düsseldorf, seit 2016 ein zweites in Berlin. Doch was Julia Stoschek von anderen vermögenden Privatsammlern mit einem Faible für Kunst und Jet-Set unterscheidet, ist der Aufwand, den sie für Vermittlungsarbeit betreibt.
Ihr jüngstes Projekt ist der permanente, kostenlose Zugang zu ihrer Sammlung im Netz. Das klingt kaum nach einer besonderen Leistung. Doch die virtuelle Öffnung der Sammlung ist gleich in doppelter Hinsicht spektakulär.
Von rund 600 Einkanal-Arbeiten in der Julia Stoschek Collection (JSC) sind letztes Jahr 200 technisch so komprimiert worden, dass sie einerseits abrufbar sind und andererseits nicht geklaut werden können und Urheberrechte der Künstler gewahrt bleiben.
Zum anderen wird der Netzauftritt so zum Archiv und zu einer Bildungseinrichtung. Die vermeintlich elitäre Kunstgattung Video wird demokratisiert und allen zugänglich gemacht. 2021 sollen weitere 100 Bewegtbildeinheiten dazukommen. „Jeder kann sich jederzeit, überall auf der Welt meine Sammlung anschauen – das hat mich schon immer fasziniert,“ räumt die so selbstbewusste wie charmante Sammlerin ein.
„Mein Einkaufsbudget ist deutlich niedriger als das Budget, um die Kunst der Öffentlichkeit zugänglich zu machen,“ erklärt sie schon 2018 in einem Handelsblatt-Interview. „Meine Sammlung wäre sicherlich deutlich größer, wenn es mir nur um den Besitz ginge.“ Sie finanziert die Schulung der Mitarbeiter, die in Führungen bei Besuchern Verständnis für das Medium schaffen, genauso wie Kataloge und Beschreibungen zum Mitnehmen. Vermittlung ist ihr ein zentrales Anliegen. Jetzt geht die Sammlerin mit dem langen schwarzen Haar und den dunklen Augen einen Schritt weiter.

Der in New York und Los Angeles lebende Künstler nutzt für seine multimedialen, provozierenden Werke die neuesten Technologien.
Die virtuelle Öffnung ihrer Privatsammlung ist ein weltweit einmaliges Projekt. Denn Filme und Videos – Kenner sprechen von zeitbasierten Medien – sind per se auf Vervielfältigung angelegt. Die Anregung entnahm Julia Stoschek noch vor der Corona-Pandemie der Geschichte ihres Lieblingsmediums: „Ab 1963 vertraten Künstler wie Gerry Schum die Idee, dass Film für jeden zugänglich sein soll, da er reproduzierbar ist,“ sagt Julia Stoschek in einem Telefongespräch mit dem Handelsblatt.
Anders als etwa im Lockdown geschlossene Museen, die Ausstellungen mit Gemälden und Skulpturen durch einen abgefilmten Rundgang zugänglich machen, lockt auf der Website der JSC immer das Werk selbst: ganz direkt und aus der Perspektive, aus der es der Künstler plante.
Über 215 Videos zum Abrufen
In alphabethischer Reihenfolge lassen sich Arbeiten von bekannten Kunstschaffenden wie John Bock und Monica Bonvicini, Ian Cheng, Keren Cytter, Pipilotti Rist, Wolfgang Tillmans und Tobias Zielony von zu Hause aus betrachten. Dazwischen immer wieder Namen, die noch nicht so bekannt sind, oder solche die in den 1960er- und 70er-Jahren ihre Strahlkraft entwickelten. Manche Filme dauern wenige Minuten, andere mehr als eine Stunde.
Über 215 Werke von 59 Künstlerinnen und Künstlern sind mittlerweile abrufbar. Dahinter steckt neben der technischen Komprimierung auch viel Überzeugungsarbeit. Denn die Veröffentlichung setzt die Einwilligung der Kunstschaffenden voraus, deren ökonomische Grundlage ja immer noch der Verkauf der Filme auf dem Kunstmarkt ist.
Daraus, dass Stoschek reihenweise Zustimmung bekommt, lässt sich schließen, wie wichtig den Künstlern die Sichtbarkeit ihrer Werke ist. Und, dass sie die „single channel works“ (Einkanal-Arbeiten) als Appetitanreger verstehen für größere Mehrkanal-Arbeiten, deren räumliche Wirkung sich eben doch erst in einer Ausstellung entfalten kann. „Alle Künstler finden die Idee toll, dass ihre Werke zirkulieren“, erzählt die Sammlerin nicht ohne Stolz. „Dazu kommt, dass Interessierte vor- und zurückspulen und sich in Details verlieben können.“
Die Kunstgattung Video hat den Ruf, schwieriger zu sein als etwa Bilder oder Fotografie. Einerseits weil sie technische Anforderungen stellt, andererseits weil sie sich mit Inhalten zwischen spielerischem Witz und pointierter politischer Stellungnahme nicht gerade zu den dekorativen Künsten zählen lässt.
Medien-Kunst spricht Jüngere an
Doch das Bewegtbild ist genau das, was die junge Generation anspricht. „Mit ihren audiovisuellen Eigenschaften ist zeitbasierte Medien-Kunst dafür prädestiniert, auf dem Computer, Tablet oder Handy angeschaut zu werden,“ meint Stoschek. Ihr Ziel ist, auch die zu erreichen, die sich bislang noch nicht mit dieser Kunstform auseinandergesetzt haben. Dafür präsentiert Julia Stoschek Filme auf Instagram.
So wie Julia Stoschek in ihrer Jugend zu Erfolgen im Dressurreiten kam, hat sie mit Leidenschaft und Disziplin, mit einem starken Willen und der nötigen Ausstattung an finanziellen Mitteln, dem Medium Video auf die Sprünge geholfen: „Wir haben die Videokunst aus der schummrig miefigen Blackbox in den lichtdurchfluteten White Cube geführt.“ Wer ihre anspruchsvollen Berliner Tageslicht-Ausstellungen vor weißen Wänden gesehen hat, weiß, dass neueste Technik die Projektion auch ohne die lästige Verdunklung ermöglicht.
Wann immer Julia Stoschek über Video-Kunst spricht, tut sie es mit Leidenschaft und Wärme, die mögliche Schwellenängste abbauen möchte. Sie ist eine versierte Vorkämpferin für Video-Kunst. „Die Medien-Kunst wird nicht in Unikaten, sondern in Editionen verbreitet. Deshalb treibt mich der Besitzgedanke – wie er sich bei älteren Sammlern finden mag – nicht um,“ behauptet die Museumsgründerin.
Die Julia Stoschek Collection agiert von Anfang an wie eine Kunst-Institution. Es ging nicht um das Aufhübschen von Stoscheks Privaträumen, sondern um eine systematische und substanzielle Sammlung in einem Feld, auf dem viele Museen für zeitgenössische Kunst noch gravierende Lücken haben.
Aufbewahrung in Kühlräumen
Zu Stoscheks Perfektionsanspruch gehören auch professionelle Kühlräume. Denn nur so können fragile Videofilme und 16 mm-Filme der Frühzeit für die Zukunft aufbewahrt werden. Heute umfasst die Sammlung insgesamt 860 Werke von 282 Kunstschaffenden. In beiden Museen zusammen sind aber nie mehr als 15 Prozent des Bestands live zugänglich.
Ihre Erfahrung gibt Julia Stoschek in zahlreichen Beiräten an Museen zwischen Berlin und Los Angeles weiter, die die Wichtigkeit der Bewegtbilder für unsere Zeit erkannt haben. Ganz nebenbei macht sie öffentlichen Museen vor, wie man eine Grundversorgung mit relevanten Videokunstwerken im Netz aufbaut und neue Zielgruppen erreicht.
Mehr: Interview: Videokunstsammlerin Julia Stoschek: Eine absolute Katastrophe
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