Raubkunst Hoher Zuschlag für Spitzwegs „Justitia“

Die Inhaberin des Auktionshauses Neumeister mit Auktionskatalog und Mundschutz vor Spitzwegs "Justitia"
München Sammler lassen sich außergewöhnliche Kunstwerke nicht entgehen – auch nicht in Corona-Zeiten. Bei stark limitierter Besucherzahl im Auktionssaal erzielte Carl Spitzwegs politischstes Bild seines gesamten, umfangeichen Oeuvres am Mittwochabend im Münchner Auktionshaus Neumeister rund 700.000 Euro inklusive Aufgeld. Mit dem Gemälde „Justitia“ spielte der brillante Maler pittoresker Szenen 1857 auf die geplatzten Liberalisierungsträume der Revolution von 1848 an.
Spitzweg hat die Göttin der Gerechtigkeit in desolatem Zustand dargestellt. Die eine Waagschale fehlt. Eine Bruchstelle am Saumrand des Gewandes verrät, dass sie wohl schon einmal vom Sockel gestoßen wurde.
Ein politischer Beigeschmack umweht das Gemälde nicht nur wegen seines Bildinhaltes. Es hat vor Augen geführt, dass bis in unsere Tage selbst in der Kunstsammlung der Bundesrepublik Deutschland nicht aufgearbeitete Nazi-Vergangenheit steckt. Als Gleichnis für die Brüchigkeit von Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit hing es ab 1961 in der Villa Hammerschmidt in Bonn und repräsentierte den Geist des Bundespräsidialamtes. Erst 2006 deckte die Provenienzforscherin Monika Tatzkow die Vorgeschichte auf.
Das Bild gehörte einst dem jüdischen Kaufmann Leo Bendel. Um seine Flucht aus Nazi-Deutschland zu finanzieren, verkaufte er es 1937 für 16.000 Reichsmark an die Münchner Galerie Heinemann. Kurz darauf erwarb die Kunsthändlerin Maria Almas das symbolträchtige Gemälde für 25.000 Reichsmark. Die nächste Station war das Depot des sogenannten Führermuseums von Adolf Hitler in Linz.
Leo Bendel kam 1940 im KZ Buchenwald ums Leben. Das Spitzweg-Werk wurde im vergangenen Jahr an die Erben übergeben.
Ungewöhnlich im Vorfeld der Auktion war die Geheimniskrämerei in Punkto Schätzpreis. Rainer Schuster, Gemälde-Experte des Hauses, sprach Anfang des Jahres lediglich von einem avisierten „hübschen sechsstelligen Betrag“.
International ist es erst ab hohen Millionenbeträgen üblich, die Preiserwartungen nur auf Anfrage mitzuteilen. Auktionshäuser versprechen sich durch den direkten Austausch mit Interessenten eine Vorahnung der Investitionsbereitschaft. Zugleich vermeidet diese Taktik ein preisliches Fiasko.

Das rückübertragene Gemälde erzielte am Mittwochabend im Münchener Auktionshaus Neumeister 698.500 Euro mit Aufgeld.
Bei Neumeister ist die Rechnung aufgegangen. Wie Katrin Stoll, Geschäftsführerin des Hauses, dem Handelsblatt kurz nach der Auktion mitteilte, gab es insgesamt 20 ernsthafte Interessenten. Das höchste vorliegende Gebot waren anscheinend 450.000 Euro. Mit dieser Summe eröffnete die Auktionatorin den Bieterreigen. Nur zwei weitere Gebote folgten. Der Hammer fiel letztlich bei 550.000 Euro (ohne Aufgeld) zugunsten eines deutschen Sammlers, der telefonisch zugeschaltet war. „Das entspricht voll und ganz unseren Erwartungen“, so Katrin Stoll.
Mit dem Bruttopreis von rund 700.000 Euro hat Neumeister den Maler Carl Spitzweg wieder in die höchsten Preisregionen für die Kunst des 19. Jahrhunderts katapultiert. Bis heute hält das Haus den Spitzweg-Rekord. 2000 erzielte das Gemälde „Der ewige Hochzeiter“ hier einen Hammerpreis von 2,4 Millionen DM. In den letzten drei Jahren bewegten sich die Bruttoerlöse für bedeutende Gemälde des hintersinnigen Malers im unteren sechsstelligen Bereich. Den höchsten Preis in diesem Zeitraum erzielte laut artprice „Der Gratulant“ mit umgerechnet rund 280.000 Euro bei Koller in Zürich.

Dort findet sich ein Stempel und Aufkleber des Bundespräsidialamtes.
Neumeister erlebte durch den Lockdown ein schlechtes Timing. Die Auktion war ursprünglich für den 25. März geplant. Alle Werbekampagnen steuerten auf diesen Termin zu.
Ist dieser Preis trotz oder wegen der Corona-Pandemie entstanden, fragten sich einige Insider nach der Auktion. Katrin Stoll sage dem Handelsblatt: „Unsere Interessenten sind mittelständische Unternehmer, die von Stillstand, Arbeitsplatzabbau und Geldvernichtung an der Börse betroffen sind. Möglich, dass der Investitionsrahmen bei einigen kleiner ausfiel.“ Andererseits erfuhr Neumeister auch bei den anderen sieben angebotenen Spitzweg-Offerten mit Taxen zwischen 10.000 und 30.000 Euro außergewöhnliche Preissprünge.
Die kleine skizzenhafte Leinwand eines romantisierten Kircheninterieurs, „Kircheninneres mit Prozession“, verfünffachte die Taxe und kostete mit Aufgeld 63.500 Euro. Das kleine Kabinettstück „Gebirgspass mit Brücke“ von 1875/80 ging für rund 57.000 Euro brutto in neue Hände. „Spitzweg ist einer der international gefragtesten deutschen Spätromantiker und gilt auch in diesen Zeiten als gute Geldanlage“, kommentiert die Neumeister-Chefin. „Noch dazu, da keine Bank auf diese Art von Vermögen Negativzinsen erheben kann.“
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