Rineke Dijkstra Menschen in Übergangssituationen

Rineke Dijkstra: "Hilton Head Island, S.C., USA, June 24, 1992" Chromogenic print, 117 cm x 94 cm (Ausschnitt)
New York Die junge Schülerin Annemiek blickt uns frontal an, selbstvergessen singt sie ein Lied ihrer Lieblingsgruppe „Backstreet Boys“ mit. Rineke Dijkstras frühes Video “Annemiek (I wanna be with you)” (1997) beobachtet, wie sie über vier Minuten lang von unterschiedlichen Emotionen geschüttelt wird. “Sie scheint eine gewisse Ahnung zu haben, eine Sehnsucht nach Liebe. Ich finde sie sehr rührend, manchmal ist sie voll auf die Musik konzentriert, dann wieder ist sie sich plötzlich der Kamera voll bewusst”, beschreibt Dijkstra. Das Gefühlschaos der Pubertät ist eines der Themen, die die Fotografin Dijkstra beschäftigen. Mit Großbild- und zunehmend Videokamera halt sie Menschen in Grenz- oder Übergangssituationen fest, die bisher Serien über junge Soldaten, Mütter mit Neugeborenen oder Toreros nach blutigem Kampf inspirierten.
70 Fotos aus 13 Serien und fünf Videos sind in ihrer ersten großen US-Ausstellung nach der Premiere in San Francisco noch bis zum 3. Oktober im New Yorker Solomon R. Guggenheim Museum zu sehen. „Bisher gab es in den USA keine Retrospektive dieser Künstlergeneration, die in den 1990er-Jahren mit Fotografie arbeitete. Dijkstra ist da eine sehr wichtige Figur“, erklärte Guggenheim-Kuratorin Jennifer Blessing gegenüber dem Handelsblatt. „Sie gehört zur Generation, die das Großformat entdeckte“. In vier Annexräumen der berühmten Guggenheim-Rotunde wird Dijkstras Entwicklung von 1992 bis 2009 schön nachgezeichnet.
Zwischen Pose und Natürlichkeit
Schlagartig bekannt wurde die heute 53-Jährige Mitte der 1990er-Jahre mit der Serie „Beach Portraits“ (1992-2002). Im immer gleichen Bildaufbau aus Streifen von Strand und Meer und Himmel stehen Kinder und Jugendliche in South Carolina, Belgien, Kroatien oder der Ukraine in ihren Badeanzügen. Der Seriencharakter streicht jede subtile Geste in unkontrollierten Momenten zwischen Pose und ungezwungener Haltung überdeutlich heraus.
„Ich bevorzuge die Offenheit, Neugier und Unbefangenheit junge Leute“, erklärt Dijkstra und wählt bewusst die schüchternen Typen als Modelle. Manchem folgt sie über mehrere Jahre, wie etwa dem bosnischen Flüchtlingskind „Almerisa“. Elf Fotos halten fest, wie sich die Fünfjährige seit 1994 langsam in eine selbstbewusste, westlich geprägte Frau verwandelte. „Sammler schätzen die klassische, aber gleichzeitig auch zeitgenössische Darstellung individueller Schönheit, die in einem Moment von starker Verletzlichkeit gefroren ist“, beschreibt Vanessa Kramer, Leiterin der Fotoabteilung beim Versteigerer Phillips de Pury.
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