Die Digitalisierung macht Auktionshäuser zu den Gewinnern des Krisenjahrs 2020
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Rückblick auf den Kunstmarkt 2020Auktionshäuser sind die Gewinner in der Krise
Noch nie haben so viele Erstkäufer so viel Kunst im Internet zu so hohen Preisen ersteigert. Den Galerien fehlen dagegen die Umsätze der Messen.
Auktionatorin Tash Perrin (l.) versteigert das gut erhaltene Skelett des Tyrannosaurus-Rex „Stan“ für 31,8 Millionen Dollar.
(Foto: Christie's Ltd. 2020)
Berlin Für die Kunstmärkte war 2020 ein Jahr der Herausforderungen, aber es war kein verlorenes Jahr. Die weltweiten Märkte hatten im Schlagschatten von Corona die größte Herausforderung seit dreißig Jahren zu bestehen. 1990 brach das bis dato wichtigste Sammelgebiet Impressionisten und Moderne ein und erholte sich nur langsam. 2020 galt es, einer Pandemie mit neuen Strategien und Offerten zu begegnen. Und das ist vor allem den Auktionshäusern mit gesteigerter digitaler Präsenz gelungen, nur teilweise allerdings den Messen und Galerien.
Die Kehrseite der Medaille ist die „Restrukturierung“. Sie hat laut einer im September veröffentlichten Studie von Art Basel und UBS 33 Prozent der Angestellten in Galerien moderner und zeitgenössischer Kunst den Job gekostet und den Angestellten der großen Auktionshäuser Entlassungen und Kurzarbeit beschert. Erst 2021 wird zeigen, welche Galerien nicht durch das Krisenjahr gekommen sind und aufgeben müssen. Gleiches gilt für die viel zu vielen Kunstmessen.
2020 war das Jahr der Online-only-Auktionen, der virtuellen Kunstmessen und Ausstellungen. Es hat unseren Blick auf die Kunst zwar verändert, im virtuellen Überangebot aber nicht unbedingt sensibilisiert. Die fortschreitende Popularisierung der Ware Kunst durch das Internet ist ein Gewinn und eine Last zugleich, denn ihre Vermittler und Mitläufer sind weniger der Kennerschaft als dem Mainstream der ewig gleichen Namen verpflichtet.
Sotheby’s wirkte in diesem an Umwälzungen reichen Jahr mit seinen 362 Online-only-Auktionen, die rund 530 Millionen Dollar einspielten, als Protagonist dieser unpersönlichen Absatzform. Das ist ein substanzielles Grundpolster und ein Betrag, der in etwa dem Umsatz früherer Prestige-Auktionen impressionistischer, moderner und zeitgenössischer Kunst entspricht.
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Heute bringen die auch live veranstalteten Galaversteigerungen nur noch 341 Millionen Dollar Umsatz bei Christie’s und 283 Millionen Dollar Umsatz bei Sotheby’s. Und das nur, wenn sie wie bei Christie's mit einem Tyrannosaurus-Skelett oder wie bei Sotheby's mit einem Alfa Romeo-Sportwagen aufgepeppt werden.
Die „Highlights“-Kunstmesse in München war eine der wenigen, die real stattfinden konnte
Galeristin Ira Stehmann (l.) vor den Fotoarbeiten des Duos Albarrán-Cabrera.
(Foto: Highlights Intern. Kunstmesse München/ Foto: Michael Aust)
Rare Toplose prägten seit dem Sommer die „livestreamed”-Auktionen in Hongkong, London, Paris und New York, die von einem Millionenpublikum über das Internet und die sozialen Medien verfolgt wurden. Hier wird das erwünschte neue Sammlerpotenzial der Käufer unter 40 Jahren aktiviert, das nach übereinstimmender Aussage der großen Auktionshäuser 25 Prozent der Klienten ausmacht.
Im Juli verkündete Christie’s Chef Guillaume Cerutti nach den Erfahrungen des Halbjahrs: „Klienten aus 80 Ländern haben sich in die Online-Auktionen eingeschaltet, 35 Prozent davon waren neue Käufer. Diese Periode ist die Reife der Online-Vermarktung“.
Christie's
Gesamtumsatz für 2020 rechnet Christie’s. Ein Minus von rund 25 Prozent im Vergleich zu 2019. Das berichtete CEO Guillaume Cerutti in einem Videocall noch vor dem Abschluss aller Auktionen.
ließen sich Privatverkäufe erhöhen, als die Saalauktionen verboten waren. Private Sales allein spielten um eine Milliarde Pfund ein. Zwölf Kunstwerke konnten in aller Diskretion, ohne Öffentlichkeit für Preise über 25 Millionen Dollar verkauft werden.
Diese neuen Käufer sind das Salz des Marktes. Das hat auch das von Wien aus international agierende Dorotheum erkannt, das die Saison ausschließlich mit digitalen Versteigerungen bestritt und zwei Millionenzuschläge für Gemälde von Chaim Soutine und dem Altniederländer Pieter Cocke van Aelst einfuhr.
Koller in Zürich hält nach wie vor Präsenzauktionen ab. Auch hier gab es zum Jahresende noch einmal stolze Resultate, allen voran 4,05 Millionen Schweizer Franken für Ferdinand Hodlers zartblaue Ansicht des Thunersees.
Francis Bacon "Triptych Inspired by the Oresteia of Aeschylus"
Das Triptychon gehörte mit 84,5 Millionen Dollar zu den teuersten Werken der Sotheby's Saison (Ausschnitt).
(Foto: Sotheby's; VG Bild-Kunst, Bonn 2020)
Auch die deutschen Auktionen haben sich gut behauptet. Das Kölner Haus Van Ham meldet einen Rekordumsatz von 40 Millionen Euro, 27,5 Millionen davon entfallen auf moderne und zeitgenössische Kunst. Karl & Faber in München verkündet die beste Bilanz seit Bestehen mit knapp 20 Millionen Euro und 320 Ergebnissen im fünf- und sechsstelligen Bereich.
Lempertz beziffert seinen Jahresumsatz von 23 Auktionen mit 56,2 Millionen Euro. Ketterer konnte vergangene Woche allein in der Abendauktion 18 Millionen Euro einnehmen. Das Münchener Haus meldet einen Jahresumsatz von fast 60 Millionen Euro. Das berichtet das Handelsblatt digital und am 23.12. in der Printausgabe.
Chancen für aufstrebende Kunst
Phillips, drittgrößtes Auktionshaus der Welt, machte seine höchsten Umsätze mit Live-Auktionen, die im Dezember in Hongkong für Gegenwartskunst, Schmuck und Uhren umgerechnet 152 Millionen US-Dollar und in New York allein für zeitgenössische Kunst 162 Millionen Dollar realisierten.
Phillips-Direktorin Cheyenne Westphal betont: „Wir sind erfreut zu sehen, dass der Markt inmitten eines stetigen Stroms dynamischer Online-only-Auktionen, Hybrid-Versteigerungen und virtueller Live-Sales Vertrauen gewinnt.“ Es könne zwar eindringlich sein, Kunst persönlich zu sehen „und Phillips bleibt der persönlichen Erfahrung verpflichtet, aber wir wissen, dass viele dieser Fortschritte sich als äußerst willkommen erwiesen haben und bestehen bleiben.“
Pieter Coecke van Aelst
Für das detailreich erzählte Tafelbild "Anbetung der Könige" wurden im Wiener Auktionshaus Dorotheum 1.1 Millionen Euro bewilligt.
(Foto: Dorotheum)
Unterstrichen wird die gute Performance auch durch die exklusive Partnerschaft mit Articker, der größten Datenplattform, die sich auf die Entdeckung aufstrebender Künstler konzentriert. Sie steht allen Phillips-Kunden zur Verfügung. Phillips‘ Strategie ist weitsichtig. In Krisenzeiten geht die Spekulation zurück, denn dem von Corona gebeutelten Markt fehlt es an Starlosen. Darum setzt Phillips konsequent auf aufstrebende Künstler, hier vor allem Frauen, Afrikaner und Afro-Afrikaner, die Rekordpreise bringen.
Der ghanaische Maler Amoako Boafo schrieb sich etwa mit dem Höchstpreis von 675.000 Dollar in die Kunstmarkt-Annalen ein, die aus Simbabwe stammende 27-jährige Kudzanai-Violet Hwami mit 252.000 Dollar, die afroamerikanische Porträtmalerin Amy Sherald gar mit 4,2 Millionen Dollar. Der Markt muss immer wieder neue Trophäen finden und er muss auch den niedrigeren Preissektor anpeilen, um wie hier der Spekulation Raum zu schaffen.
Neben der Explosion des Online-Geschäfts haben sich auch die Privatverkäufe der Auktionshäuser erheblich gesteigert. Wenn Sotheby’s mitteilt, dass die 2020 für impressionistische, moderne und zeitgenössische Kunst erzielten 2,75 Milliarden Dollar auch die Privatverkäufe einschließen, so sind darin nicht nur die teuersten Werke der Saison wie das mit 84,5 Millionen Dollar bewertete Triptychon von Francis Bacon enthalten.
Zum Gesamtbild bei Sotheby's gehört auch Alberto Giacomettis Monumentalskulptur „Grande Femme I“, die in einem „versiegelten“ Privatverkauf mit vertraulich behandelten Geboten einen Mindestpreis von 90 Millionen Dollar hatte. Christie’s veröffentlicht seinen höchsten Privatverkauf nicht. Hier war Roy Lichtensteins „Akt mit Notenbild“ von 1994 mit 46,2 Millionen Dollar das teuerste versteigerte Los des Jahres.
Zhang Xiaogang
Im Herbst erzielte Christie's Hongkong für das schwermütige Gemälde "The Dark Trilogy: Fear Meditation Sorrow" ein Rekordergebnis von 12,7 Millionen US-Dollar.
(Foto: AP Photo/Vincent Yu)
Mit den die Spitzenlose absichernden Garantien und mit der wachsenden Präsenz der Auktionshäuser in Galeriemärkten – etwa „Sotheby’s Gallery Network“ – sind grenzüberschreitende Strategien zu beobachten. Sie bezwecken eine Umsatzsteigerung, die sich mit Auktionserlösen allein nicht erreichen lässt. Auch die wachsende Zahl kuratierter Auktionen dient der Erweiterung des Marktspektrums. Das diversifiziert sich immer mehr in Sparten und Angebotsforen und setzt mehr denn je auf das Luxussegment.
Aller Augen sind jetzt auf China gerichtet, das sich relativ schnell von der Pandemie erholt hat. Christie’s, Sotheby’s und Phillips, das seit November Auktionen moderner und zeitgenössischer Kunst in Kooperation mit Chinas staatlichem Versteigerungshaus Poly Auction abhält, setzen auf die Stärke des Marktes in Hongkong, der sich trotz der Beschneidung demokratischer Freiheit als robust erwiesen hat.
Marktdominanz in Asien
Christie’s setzte in seiner Auktionsserie vom 27. November bis 5. Dezember in Hongkong umgerechnet 390 Millionen US-Dollar um. Den höchsten Umsatz erreichte moderne und Gegenwarts-Kunst mit 224,7 Millionen US-Dollar und Rekordpreisen wie für Zhang Xiaogang mit 12,7 Millionen US-Dollar und Dana Schutz mit 6,4 Millionen US-Dollar.
Gleichzeitig verweist Sotheby’s auf seine Marktdominanz in Asien, die es mit dem Jahresumsatz von 932 Millionen, mehr Privatverkäufen und einer um 440 Prozent gewachsenen Bieterschar in Online-Auktionen untermauert.
Roy Lichtenstein
Der mit 26.000 Euro bezifferte Erlös für das Farboffset "Shipboard Girl" war das höchste Ergebnis, das Van Ham je bei einer Online-only-Auktion erreicht hat. Die Schätzung lag bei 10.000 Euro (Ausschnitt).
(Foto: Van Ham, VG Bild-Kunst, Bonn 2020)
Die Kunstmessen, die sich unter dem Druck der Coronakrise mit den gebuchten Galerien in Online-Foren neu aufstellen, können da nicht mithalten. Pauschale Erfolgsmeldungen der Messeveranstalter und einzelner Händler können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie nicht die Verkäufe eines Live-Rundgangs erzielen.
Zudem hat eine im November von der „Independent Art Fair“, den Beratern Arts Economics und der Logistikfirma Crozier publizierte Studie das Verhalten von Sammlern in der Pandemie untersucht: Nur 43 Prozent besuchen digitale Kunstmessen, aber 72 Prozent Auktionen im Netz. Dieser „New York Art Market Report“ verkündete ferner, dass mehr als ein Viertel befragter New Yorker Sammler noch nie einen Kunstankauf online getätigt haben. Doch das wird sich noch ändern, je jünger eine wohlhabende Klientel wird.
Freude auf den Aufschwung
Wie geht es weiter? Setzen wir voraus, dass immer mehr Reiche sich mit der Kunst sozialen Status, Ausstrahlung und Wertsteigerung erkaufen wollen, gibt es für die Kunstmärkte keine Absatzsorgen, eher Nachschubprobleme. Sie fallen in Krisenjahren wie diesem stärker ins Gewicht, weil kaum einer, der nicht in Not ist, sich derzeit von seinen Schätzen trennt.
Das amerikanische Institut für Steuergerechtigkeit ATF hat gerade herausgestellt, dass Amerikas Superreiche im Jahr der Pandemie noch reicher geworden sind: Das Gesamtvermögen der 650 Milliardäre des Landes, von denen nicht wenige Sammler sind, hat sich seit März um eine Billion Dollar erhöht. Wenn das nicht allein schon für den Kunstmarkt eine gute Prognose ist, dann das chinesische Wirtschaftswachstum von 8,2 Prozent, das Ökonomen für 2021 erwarten.
Amerika und China bleiben die Motoren der Kunstmärkte. Die zeitgenössische Kunst, in der es keinen Nachschubmangel gibt, bleibt treibende Kraft für alle Sammelgebiete. Dass der gesamte Kunstmarkt in der Krise vorübergehend um 30 bis 40 Prozent schrumpft, wie die Marktforscherin Clare McAndrew in einem Podcast schätzt, ist eine normale Entwicklung. Wir kennen sie von den vier Kunstmarkt-Rezessionen seit 1973.
Das Schrumpfen macht den Weg frei für neue Ideen. Das nächste Jahr wird noch schwierig. Aber dann, vorausgesetzt das Virus ist besiegt, darf man sich wieder auf den Aufschwung freuen.
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