Rückblick auf den Kunstmarkt im ersten Halbjahr 2021 Auf Wachstum programmiert: 16 Millionen-Zuschläge in einer Saison

Erstmals seit zwei Jahren fällt der Hammer wieder über 100 Millionen Dollar.
Berlin Es war eine Periode der Konsolidierung. Der Kunstmarkt hat im ersten Halbjahr 2021 die Potenz zurückgewonnen, die ihm die Pandemie zehn Monate lang im Geschäftsjahr 2020 raubte. Alles ist wieder auf Wachstum programmiert.
Die Marktanalysten von Arttactic errechneten eine Steigerung von 230 Prozent insgesamt für die drei größten Auktionshäuser Christie’s, Sotheby’s und Phillips gegenüber dem ersten Halbjahr 2020: das ist ein Sprung von 1,79 auf 5,9 Milliarden Dollar für deren globales Angebot.
Dass auch die deutschen Auktionen deutlich von einer Wiederbelebung der Märkte profitierten, zeigen ihre Umsatzzahlen. Ketterer ist im ersten Halbjahr 2021 mit 44 Millionen Euro zum deutschen Marktführer geworden (30 Millionen war der Gesamterlös im ersten Halbjahr 2019 vor der Pandemie). Der Umsatz von Lempertz stieg in derselben Zeitspanne von 27,2 Millionen auf 31 Millionen Euro, der bei Van Ham von 19 Millionen auf 24 Millionen.
Bei Grisebach wurden in diesem Frühjahr 24,3 Millionen umgesetzt, gegenüber 15,5 Millionen im gesunden Halbjahr 2019. Noch nie gab es in einer Saison so viele Millionen-Zuschläge: 16 an der Zahl bis hin zu den 14 Millionen Euro, die bei Nagel die buddhistische Götterstatue Vajrabhairava von 1473 erlöste.
Der Megasektor der impressionistischen, modernen und zeitgenössischen Kunst mit 64,2 Prozent – das entspricht einem Umsatzvolumen von 3,65 Milliarden Dollar – dominiert das globale Auktionsgeschäft. Das ist eine Tendenz, die sich seit Jahren verfestigt.

Das 1925 entstandene Bild aus der Sander Collection erwarb das Art Institute of Chicago für 1,2 Millionen Euro.
Neu dagegen ist, dass Hongkong, wo im Frühjahr die Preise für zeitgenössische Kunst explodierten, nach New York und noch vor London zum zweitwichtigsten Marktplatz aufgestiegen ist. Der schleichende Materialmangel an impressionistischen Werken ist sicherlich ein Grund dafür, dass Christie’s dieses Segment den Auktionen moderner und zeitgenössischer Kunst zugeschlagen hat.
Asiatische Milliardäre treiben die Preise für Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts in die Höhe. In Hongkong wurden in diesem Halbjahr 18 Werke für jeweils umgerechnet über 10 Millionen US-Dollar eingespielt. 90 Millionen US-Dollar setzte Phillips in seiner ersten gemeinsam mit dem Heimischen Versteigerer Poly auction organisierten Auktion von Gegenwartskunst um.
Poly selbst erreichte zusätzlich mit seinen gesamten Frühjahrsauktionen einen Umsatz von 90 Millionen US-Dollar. Der Saisonerlös des Platzkonkurrenten China Guardian für seine sieben Halbjahres-Auktionen lag bei 46,6 Millionen US-Dollar.
Immer wieder wird die Frage in den Raum gestellt, ob Paris nach dem Brexit die europäische Führungsrolle von London übernimmt. Anfang diesen Jahres hatte Christie’s Chef Guillaume Cerutti verkündet: „Wir werden weiterhin in Paris investieren“.
Dass die französische Hauptstadt ihre Marktpräsenz verstärkt, zeigt sich an der Eröffnung von Dependancen bedeutender Galerien wie David Zwirner, Gagosian, White Cube und Galleria Continua. Christie’s Zentrale in der Avenue Matignon wurde erweitert.
Der französische Medienmogul Patrick Drahi, der 2019 Sotheby’s gekauft hatte, erwarb den nur einen Steinwurf von Christie’s entfernten Stammsitz der Galerie Bernheim-Jeune. Allerdings hat bisher keine der in London etablierten Weltgalerien die Themsestadt verlassen. Und so wird sich, parallel zum Auktionsgeschehen, allenfalls eine stärkere Konkurrenz, aber kaum eine neue Marktdominanz ergeben.
Im Erscheinungsbild der Galerien hat sich einiges geändert. Es gibt auch globale Selbsthilfe-Programme. Im Januar haben sich 21 internationale Galerien, darunter Lelong & Co und Peter Freeman in New York, Chantal Croesel in Paris, Malingue in Hongkong und Tanya Leighton in Berlin, zu dem Programm „Galleries Curate“ zusammengeschlossen. Bis in den Juli hinein präsentierten sie ihr global beworbenes Ausstellungsprogramm zum Thema „Wasser“ sowohl in den Galerien wie im Netz.
Deutsche Galerien sind durch verstärkte Internetpräsenz gut durch die Pandemie gekommen. Das betont Max Hetzler im Gespräch mit dem Handelsblatt. Der Galerist, der Filialen in Berlin, London und Paris betreibt, gewann mit seiner Website 160.000 neue Abonnenten.

Die Natur hat die nutzlos gewordene Architektur bereits überwuchert. Um die Ausstellung „Winds of Change, NFT Art Exhibition“ zu besuchen, legen sich Besucher einen Avatar zu.
Gleichwohl gibt Hetzler zu: „Wir sind sehr auf Messen angewiesen. Das war eine große Lücke. Basel setzt jetzt positive Zeichen“. Neben abgesagten Messen nennt er noch zwei weitere Probleme: „Es gab kaum Publikum in der Galerie und keine Reisen in die USA“, was für seine amerikanischen Künstlern verbundene Galerie besonders schmerzlich war.
Esther Schipper, die am 19. August eine Popup-Ausstellung in Taipeh eröffnet, gibt zu, dass die virtuellen Messen nicht viel gebracht haben: „Es war zwar zeitweise überlebenswichtig, um überhaupt sichtbar und wahrgenommen zu werden. Gleichzeitig sehe ich das als den Anfang von Etwas, das noch gar nicht ausgereift ist“.
Die Periode der Pandemie habe das Umdenken gefördert, ergänzt Schipper: „Im Ganzen betrachtet, hat die Zeit uns erlaubt, viele Prozesse neu zu denken und auch unsere Arbeitsweise neu zu gestalten. Ich denke, dass wir uns wieder viel mehr jeweils auf den lokalen Märkten konzentrieren müssen. Die Globalisierung bedeutete in den letzten Jahrzehnten auch meistens: alles überall gleich“.
Die jüngste Marktentwicklung ist nach wie vor geprägt vom Hype für junge und jüngste Kunst. Das betrifft nicht nur Produkte der NFT-Kunst. Sie hat, wie das Handelsblatt berichtete, einen von Kryptowährung beherrschten Parallelmarkt geschaffen, in den sich auch Galerien und die Auktionshäuser Christie’s und Sotheby’s eingeklinkt haben, um von der digitalen Geldschwemme zu profitieren.
Neue Kunst, die zum Teil frisch aus den Ateliers kommt, beherrscht die Auktionen in New York und Hongkong. Zu den Marktlieblingen dieser Saison, deren Preise sich in den Auktionen multiplizierten, gehören Dana Schutz, Amy Sherald, Jordan Casteel, Jonas Wood und Salman Toor, um nur einige zu nennen.
Die figurative Malerei ist hoch im Kurs. Die zum Teil neuen Käufer solch angesagter Kunst stellen sich nicht die Frage, ob ihre Erwerbungen langfristig eine gute Anlage sind. Sie wollen nur die sogenannten „Red Chips“, das marktfrische Angesagte.
Nie wurden so viel Werke weiblicher Künstler versteigert wie heute. Sotheby’s veranstaltete Spezialauktionen und Christie’s präsentierte die Gender-Balance in den Prestigeauktionen mit einer neuen Generation von Auktionatorinnen.
Nicht nur Personen, auch der Geschmackswandel belebt den Markt. Doch er droht ihn auch zu belasten. Die breite Kunst des 19. Jahrhunderts interessiert nicht mehr. Hier hat sich der Geschmack der Sammler auf den Symbolismus und das Fin de Siècle verlagert, wie die starken Preise etwa für Werke von Fidus, Felicien Rops und Heinrich Vogeler in deutschen Auktionen zeigen. Nur Namen wie Menzel, Liebermann und Corinth bleiben Marktsäulen.

An dem für 70,3 Millionen Dollar versteigerten Seerosenbild zeigt sich, dass trotz des geschrumpften Angebots an Impressionisten von einem Preisverlust nicht die Rede sein kann.
Die Marktmacht der zeitgenössischen Kunst überdeckt so manche Tendenz, die nicht minder marktgültig ist. Das Angebot an Impressionisten ist zwar sehr geschrumpft, aber von einem Preisverlust kann nicht die Rede sein. Im Gegenteil, wie ein Blick auf mehrfach versteigerte Bilder zeigt.
Paradestück ist das im Mai bei Sotheby’s für 70,3 Millionen Dollar versteigerte Seerosenbild von Claude Monet, das 2004 im selben Haus noch 16,8 Millionen Dollar eingespielt hatte. Vincent van Goghs „Brücke von Trinquetaille“, die 2004 bei Christie’s 11,2 Millionen Dollar erzielt hatte, wurde im Mai diesen Jahres ebendort für 37,4 Millionen Dollar zugeschlagen.
Die stattlichsten Steigerungen weisen allerdings Werke der amerikanischen abstrakten Malerinnen Lee Krasner und Joan Mitchell auf: Ein Bild Krasners, das jetzt bei Christie’s für 7,2 Millionen Dollar zugeschlagen wurde, war 2005 nur 958.000 Dollar wert, und Mitchells 2007 mit 557.600 Dollar bebotenes Großformat von um 1958 stieg jetzt bei Sotheby’s auf 7,1 Millionen Dollar.
Für Werke von Starkünstlern der Megagalerien gibt es Wartelisten. Aber auch in den Altmeister-Auktionen verstärkt sich der Trend zu großen Namen. Bedingung: Auch die Alten Meister müssen realistisch geschätzt und absolut marktfrisch sein. An diesen Kriterien mangelte es in Sotheby’s Londoner Juli-Auktion. Sie strahlte nicht den Glanz der New Yorker Online-Auktion vom Januar aus, in der Botticellis Jünglingsporträt für 92,2 Millionen Dollar einem wohl russischen Käufer zugeschlagen wurde.

Das Jünglingsporträt wurde für 92,2 Millionen Dollar einem wohl russischen Käufer zugeschlagen.
Neue Millionenpreise für herausragende Stillleben bis 5,6 Millionen Dollar für ein Bankettstillleben von Jan Davidsz. de Heem zeigen eine graduelle Erholung dieses Sammelgebiets, in dem das Mittelmaß gleichwohl unverkäuflich ist. Porträtkunst und Stadtansichten italienischer Meister sind die Lieblinge des Marktes.
Darüber hinaus gibt es noch andere Sammelgebiete, deren Preisentwicklung einige Beachtung verdient. Teuer wird so manches Objekt der Kategorie „Collectibles“. Zu den Spitzenreitern zählen eine Baseball-Karte von 1952, die in einer amerikanischen Spezialauktion von PWCC Marketplace 5,2 Millionen Dollar erlöste und eine in nur wenigen Exemplaren erhaltene 20 Dollar-Goldmünze von 1933, die bei Sotheby’s für 18,9 Millionen Dollar versteigert wurde.
Fortdauernder Hype um Lalanne
Von einer stabilen Preisentwicklung lebt der Markt islamischer Kunst. Er erreichte in diesem Halbjahr einen der höchsten Zuschläge für eine in Silber eingelegte iranische Messingschale: 3,1 Millionen Pfund im März bei Sotheby’s.
In den Design-Auktionen bestätigt sich der Hype um den mit figurativen Elementen arbeitenden französischen Designer François-Xavier Lalanne (1927-2008). Im Juni wurde bei Christie’s ein auf Elefanten ruhender Glastisch nach langem Bietgefecht für 6,6 Millionen Dollar zugeschlagen. Das sind Zuschläge, die in den Preisblitzen der zeitgenössischen Kunst nicht untergehen sollten.
Mehr: Kunst auf Papier: Handzeichnungen faszinieren immer mehr Sammler
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.