Skulpturen von Otto Boll: Auf die Spitze getrieben

Über einem antiken Torso schwebt eine der hauchfeinen Metallskulpturen von Otto Boll.
Zürich. Es ist vielleicht die beste Ausstellung des Züricher Saisonauftaktes im Herbst 2020. Der Galerist Dierk Dierking hat den Bildhauer Otto Boll angestiftet, sich aus der Kunsthandlung Jean David Cahn in Basel an griechischer, römischer und neolithischer Kunst auszusuchen, was ihn reizt. Intellektuell und ästhetisch hat der Künstler einen Dialog zwischen der Antike und dem Heute in Szene gesetzt.
Otto Boll ist mit der Bezeichnung Bildhauer nicht treffend beschrieben. Eher passt Minimal Artist. Denn Boll macht zwar Metallskulpturen, doch er treibt sie buchstäblich auf die Spitze.
Der Künstler nimmt so viel weg von dem Material an ihrem schmalen Körper aus Stahl oder Alu, dass jedes Mal nur eine feine Linie übrig bleibt: Etwa eine peitschenartig geschwungene Helix oder eine unter der Decke schwebende Gerade, die aus dem Nichts kommt und ins Nichts verschwindet. Und doch hat sie die Kraft, den Raum und die Gedanken des Betrachters zu verändern.
Zentral platziert ist in Dierkings Galerie am Paradeplatz ein griechischer Torso. Dessen Körperspannung verrät, dass es sich bei dem attraktiven Jüngling einstmals um einen Diskuswerfer handelte. Otto Boll „antwortet“ darauf mit einer aufstrebenden Linie mit Enden, so dünn, dass das menschliche Auge sie kaum mehr wahrnehmen kann. Sie könnte die Flugbahn des Sportgeräts beschreiben oder die Leistungskurve des Topathleten.
So gering der Materialverbrauch bei Boll ist, so groß die Wirkung seiner Skulpturen. Eine kleine antike Schauspielerstatuette mit ausladend theatraler Geste animierte den Künstler, die Dynamik in Sprache und Spiel des Mimen durch eine ihn weit umschwingende Alu-Linie zu unterstreichen. Eine Form wie ein Peitschenhieb.


Die Preise für Otto Bolls Arbeiten liegen zwischen 14.000 und 38.000 Euro. Eingestreut in die so erhellende wie vergnügliche Schau auf zwei Etagen sind Fundstücke aus Natur und Atelier. Sie lassen Bolls künstlerisches Denken nachvollziehbar werden. Bei einem vertrockneten Blatt reizen ihn etwa die Rippen und der Hohlraum.
Den Dialog über die Zeiten und das, was bleibt, zeigt Dierk Dierking noch bis zum 15. November. Er überspringt mühelos alle Epochengrenzen. Wie die antike Kunst ist Bolls Werk bis auf den innersten Kern konzentriert, niemals geschwätzig: überzeitlich und unabhängig von Moden und Trends.
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