Star-Geigerin Anne-Sophie Mutter erwartet weitere #MeToo-Debatten im Klassikmarkt

„Musiker sind keine besseren Menschen.“
„Man muss darüber sprechen und den Machtmissbrauch, wo immer er stattfindet, unterbinden“, sagte Anne-Sophie Mutter dem Handelsblatt Magazin vom Freitag. Es gebe „auch in der klassischen Musik Machtkonstellationen, die solche Übergriffe unterstützen. Musiker sind keine besseren Menschen“, erklärte Mutter in dem Interview weiter.
James Levine, einst gefeierter Chef der New Yorker Met, und sein Dirigentenkollege Charles Dutoit wurden bereits ihrer Ämter enthoben, nachdem gegen beide schwere Vorwürfe laut wurden. Der Münchener Hochschulrektor Siegfried Mauser muss sich derzeit wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung vor Gericht verantworten.
Bislang bekannt gewordene Fälle hätten sie nicht überrascht, verriet Mutter dem Handelsblatt Magazin. Sie habe „solche Momente als junge Frau selbst schon erlebt, auch wenn ich immer die Möglichkeit sah, mich rechtzeitig wegzuducken. Und obwohl ich nicht zu körperlicher Gewalt neige, ist mir einmal sogar die Hand ausgerutscht, muss ich gestehen.“
Namen wollte die Musikerin nicht nennen, sagte aber: „Ich bekam – als Frau – auch schon anzügliche Kommentare aus den Reihen eines Orchesters zu hören, die ich dann sehr deutlich konterkarieren musste.“
Die 54-Jährige glaubt, „dass wir jetzt in einem guten Prozess der Aufarbeitung sind“. Die #MeToo-Debatte hält sie für wichtig. Auf die Frage, ob bald neue Fälle diskutiert würden, sagte Mutter: „Könnte ich mir vorstellen.“
Die Ausnahme-Virtuosin war selbst in einer Welt alter Männer großgeworden – einfach weil die Klassik über Jahrzehnte von Erscheinungen wie Herbert von Karajan dominiert wurde, der schon 1977 das „Wunder“ von Mutters Spiel feierte und sie fortan förderte. Ihre Karriere sei aber „keinem Masterplan“ gefolgt. Als feministische Vorreiterin sieht sie selbst sich nicht. „Und dass heute mehr Geigerinnen reüssieren, ist sicher auch dem Zeitgeist geschuldet.“
Karajan sei immerhin auch einer der letzten Dirigenten gewesen, „die sich wirklich noch die Zeit genommen haben, den Nachwuchs zu fördern. Das war ihm eine Art ethische Verpflichtung“, so Anne-Sophie Mutter gegenüber dem Handelsblatt Magazin. Heutige Dirigenten hätten für diese Art der Förderung „keine Zeit mehr und sind oft mit der eigenen Karriere beschäftigt. Vieles folgt heute auch in der Klassik eher einem atemlosen Hire & Fire-Credo als früher.“
Dieser Text ist entnommen aus dem Handelsblatt Magazin N°3/2018. Das komplette Handelsblatt Magazin als PDF downloaden – oder gedruckt mit dem Handelsblatt vom 13. April 2018 am Kiosk erwerben.
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