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Streit in BayernNS-Raubkunst: Rückgabe mit Auflagen
Der Streit des Bayerischen Staates mit den Erben des jüdischen Galeristen Max Stern nimmt mit einer Empfehlung der „Beratenden Kommission“ eine exemplarische Wende.
Hans von Marées‘ Gemälde „Ulanen auf dem Marsch“ von 1859
(Foto: bpk, Bayerische Staatsgemäldesammlungen)
Düsseldorf Die Nachkommen jüdischer Mitbürger, die unter der NS-Herrschaft ihrer Kulturgüter beraubt oder gezwungen wurden, sie zu verkaufen, stehen heute oft vor einem Dilemma. Die Umstände lassen sich in den wenigsten Fällen eindeutig rekonstruieren. Zwar legt die „Washingtoner Erklärung“ nahe, im Zweifel Moral vor Recht walten zu lassen.
Doch die Museen in öffentlicher Trägerschaft, die die Kunstwerke im Zweifel herausrücken müssten, wehren sich gegen diesen Automatismus. Sie pochen auf eine „faire und gerechte Lösung“ im Sinne der vor 20 Jahren in Washington unterzeichneten Vereinbarung. Eine längere Auseinandersetzung ist damit meist programmiert.
Zur Vermittlung können die Parteien die Beratende Kommission für die Rückgabe „verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz“ anrufen, die ehemalige „Limbach-Kommission“. Nun hat das Gremium im Fall eines Gemäldes aus Münchens Bayerischen Staatsgemäldesammlungen eine Empfehlung ausgesprochen und diese erstmals an Auflagen geknüpft. Demnach soll das 1859 von Hans von Marées gemalte Bild „Ulanen auf dem Marsch“ an die Erben des jüdischen Galeristen Max Stern unter zwei Bedingungen zurückgegeben werden.
Die Bedingungen
Erstens soll sich die Stern-Stiftung verpflichten, das Gemälde innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht zu veräußern. Sollte sich nämlich bei weiteren Recherchen herausstellen, dass Stern (1904 – 1987) das Bild im Auftrag eines jüdischen Mitbürgers verkaufte, der es ebenfalls unter Verfolgungsdruck veräußerte, soll es diesem „Primärgeschädigten“ beziehungsweise dessen Erben zurückgegeben werden können.
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Als zweite Bedingung empfiehlt die Kommission, dass die Stern-Stiftung den Zugang zu allen Dokumenten gewährt, um Nachforschungen zu ermöglichen. Sollte sich dabei ergeben, dass der Verkauf des Bildes zu diesem Preis mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ohne die NS-Herrschaft zustande gekommen wäre, müsste die Stern-Foundation das Bild dem Museum zurückgeben.
Was streitig blieb
Aus zwei Gründen wollte das Gremium eine Restitution nur unter Auflagen befürworten: „Streitig geblieben ist, ob Stern das Werk als Kommissionär oder als Eigentümer verkauft hat“, heißt es in ihrem 13-seitigen Schriftsatz. Und streitig sei ebenfalls, ob der Verkauf im Rahmen des Galeriebetriebs als NS-verfolgungsbedingter Vermögensverlust zu bewerten sei.
Max Stern
Der erfolgreiche jüdische Galerist auf einem Foto von 1925.
(Foto: History and Art Collection/Alamy Stock Photo )
Ungeachtet ihrer Zweifel wertet die Beratende Kommission den Verkauf des Marées-Bildes letztlich als Zwangsverkauf. Sie begründet dies mit den Repressalien, denen jüdische Kunsthändler schon seit der Machtergreifung im Jahr 1933 ausgesetzt waren. Dass die Kommission so argumentiert, ist bemerkenswert und als Indiz zu werten, wie zukünftig mit ähnlich gelagerten Fällen umgegangen wird. Die Kommission war zu dieser Begründung, die bis ins Jahr der nationalsozialistischen Machtergreifung zurückgreift, nicht gezwungen. Denn sie hatte mit dem Verkaufsjahr 1936 ein naheliegenderes Argument: die seit 1935 geltenden Nürnberger Gesetze, die Juden weitgehend entrechteten.
Die von den Staatsgemäldesammlungen vorgebrachte Annahme, jüdische Kunsthändler hätten nach der Machtergreifung zunächst weiter handeln können wie vor 1933, weist die Kommission angesichts des seit 1933 kontinuierlich zunehmenden Verfolgungsdrucks zurück. Klugerweise lässt sie auch das Argument nicht gelten, Stern habe den Geschäftsbetrieb bis 1937 gewinnbringend aufrechterhalten können. Es ist gerade diese, mit Weitsicht gepaarte Geschäftstüchtigkeit, die Stern überleben ließ, auch beruflich. Das Museum hatte sich auf ein Schreiben Sterns an seinen Anwalt von 1951 gestützt, demzufolge die Galerie finanziell „trotz des Drucks durch die Nazis, solange sie bestand, ein sehr lukratives Geschäft“ gewesen wäre.
Problem mit dem Persönlichkeitsrecht
Für die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen bedeutet die Empfehlung zwar auf den ersten Blick eine bittere Niederlage, auf den zweiten aber auch eine kleine Genugtuung. Denn die Kommission ließ zum ersten Mal durchblicken, dass unter ihren Mitgliedern zwei Auffassungen aufeinandergeprallt seien. Und sie ließ beide Standpunkte in ihrer Empfehlung zu Wort kommen – ebenfalls ein Novum. Dabei erhielt die „Minderheitsmeinung“ gegen eine Rückgabe mehr Raum als die Stimme der Mehrheit, die eine Restitution befürwortete und dafür sogar deutlich mehr Stimmen versammelte als die geforderten zwei Drittel.
Die Ungleichgewichtung ist der Stern-Stiftung natürlich nicht entgangen, wie ihrer Pressemitteilung vom 10. September zu entnehmen ist. Außerdem hat sie ein Problem mit der zweiten Bedingung der Kommission. „Die zweite Auflage kann die Stiftung nicht erfüllen, da sie mit kanadischen Gesetzen in Konflikt geraten würde“, lässt die Stiftung über ihren Sprecher Willi Korte verlauten.
Sie könne nicht über den Kopf der National Gallery Ottawa den dort archivierten schriftlichen Nachlass des Galeristen einsehen lassen – aus Gründen des Persönlichkeitsrechts. Das bedeutet: Wenn sich das Museum in der kanadischen Hauptstadt querstellt, könnte ein Nachweis, dass der Verkauf des Bildes mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ohne die NS-Herrschaft zustande gekommen wäre, nicht geführt werden.
Kommission mit Mission
im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz“ (ehem. Limbach-Kommission) ist ein reines Beratungsgremium von ehrenamtlich tätigen hochrangigen Personen aus Wissenschaft und öffentlichem Leben. Angesiedelt ist es unter dem Dach des Deutschen Zentrum Kulturgutverluste (DZK) in Magdeburg. Hinter dem Gremium stehen Bund, Länder und Gemeinden.
führt der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. Die Kommission begreift sich im Sinne der „Washingtoner Prinzipien“ als ein alternatives Instrument zur Klärung strittiger Eigentumsfragen. Ziel ist eine gütliche Einigung. Die Kommission kann angerufen werden, wenn die Parteien untereinander keine Lösung gefunden haben. Ihre Empfehlungen sind unverbindlich und werden vor allem moralisch-ethisch begründet.
an der Kommission führte Ende 2016 zu einer ersten Reform. Seither sitzen auch zwei Opfervertreter in dem von acht auf zehn Mitglieder erweiterten Gremium. Weitere Reformanstrengungen stehen seit Monaten auf der Agenda. Umstritten ist, dass die Kommission nur dann tätig wird, wenn beide Seiten damit einverstanden sind. Auch die Hürden für eine Antragstellung durch NS-Verfolgte oder ihre Erben werden als zu hoch erachtet. Außerdem wirft man dem Gremium vor, in den 16 Jahren ihres Bestehens nur 17 Fälle entschieden zu haben. Kritiker fordern zudem eine größere Unabhängigkeit vom DZK, das über die Zulässigkeit von Anträgen auf Schlichtung entscheidet. Außerdem fordern sie, mehr Experten in das Gremium aufzunehmen.
wird diskutiert, die Kommission vom DZK abzukoppeln und nach Berlin zu verlegen. Auch ein eigener, kleiner Mitarbeiterstab mit Juristen und Historikern ist angedacht. So ausgestattet könnte die Kommission strittige Fälle selbst recherchieren, so wie es die entsprechenden Gremien in Holland und Österreich praktizieren. Dann entfiele auch die Kritik daran, dass sie erst anfängt zu arbeiten, wenn beiden Seiten zustimmen. Das BKM teilt auf Nachfrage mit, die Beratende Kommission sei nicht als Forschungsstelle konzipiert, und Aussagen zu weiteren konkreten Maßnahmen könnten aktuell nicht gemacht werden.
Diese Volte hat die mit vielen Juristen besetzte Beratende Kommission offenbar nicht vorhergesehen. Jedoch wäre solch ein Hindernis aus dem Weg zu räumen, guten Willen von beiden Seiten vorausgesetzt. Zumal das Gremium – auch wenn es nicht bindende Empfehlungen ausspricht – höchste politische Unterstützung hinter sich hat. Die Frage ist aber auch, ob personenschutzrechtliche Vorbehalte überhaupt greifen, da es um Unterlagen geht, die das Galeriegeschäft der dreißiger Jahre in Düsseldorf und die Anwaltskorrespondenz der 1950er- und 60er-Jahre betreffen.
Wer sich über den Hickhack nun wundert, der sei daran erinnert, dass in Deutschland recherchierende Erben jüdischer Opfer oder ihre Rechtsvertreter auch bei Museen sehr häufig auf Granit beißen, wenn sie Archivalien einsehen wollen. In Einzelfällen sollen Personendaten bis zu 100 Jahre lang unter Verschluss gehalten werden. Hier hilft nur politischer Druck.
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