Zeitgenössische Kunst Art Cologne – Marktplatz der fliegenden Händler
Köln Was genau ein Kulturgut ist, das konnte noch nicht einmal der Gesetzgeber mit seinem Kulturgutschutzgesetz definieren. Den Kölnern aber schrieb Kristian Jarmuschek, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG), es nun ins Stammbuch: „Die Art Cologne ist ein Kulturgut.“
Als am vergangenen Mittwoch die Mutter aller Messen für zeitgenössische Kunst eröffnet wurde, strahlte die Stadt unter der Frühlingssonne (bis 22.4.). Von Tradition ist die Rede, von Relevanz und Aktualität. Die Art Cologne sei „nicht mehr wegzudenken, ein fabelhafter Marktplatz mit kunstsinnigem Publikum“.
Richtig ist: Die Optik stimmt. Den „lahmen Gaul“, um ein Bonmot aus den Zeiten der Krise zu zitieren, hat Messechef Daniel Hug in den letzten zehn Jahren auf Trab gebracht. Und zwar so gründlich, dass neben Kamel Mennour aus Paris und der Lisson Gallery aus London auch rund um den Globus ansässige Galeristen wie Hauser & Wirth, David Zwirner, White Cube, Larry Gagosian oder der europaweit aktive Thaddaeus Ropac es für geboten halten, in Köln Hof zu halten.
Das macht richtig Eindruck, hat aber Methode für einen Berufsstand, der, fliegenden Händlern ähnlich, die Kaufkraft an Ort und Stelle anzapft. Im Prinzip machen das alle Galeristen, die auf Messen gehen. Doch die kleineren fühlen sich von den ganz großen bedroht. Von einem „Verdrängungswettbewerb“ und der „Abschöpfung von Liquidität“ spricht Karsten Greve und vergleicht die Mega-Dealer mit Supermarktketten, die auf zig Messen rund um den Globus Umsatz machen müssen.
Gagosian hatte den Standort Köln bereits im letzten Jahr mit einer einzelnen, aber fulminanten Installation von Chris Burden getestet, die zwar auch Geld kostete - ganze fünf Millionen Dollar - aber vor allem für Gesprächsstoff sorgte. Nun installierte er eine illuminierte Schreckenskammer, in der figürliche Artefakte mit Hinguckerqualitäten die Akzente setzen.
Zum Beispiel Urs Fischers bombastischer Kleriker aus weißem Wachs mit einem schwarz betuchten Geschäftsmann als Assistenzfigur („Marsupiale“, 2017) oder Duane Hansons hyperrealistischer Fensterputzer (1984); alles bewacht von einem elektronisch gesteuerten Schäferhund, einem Werk des italienischstämmigen US-Künstlers Piero Golia.

1972 entstand diese japanische Spielart der Farbfeldmalerei in Acrylfarben auf Leinwand.
Gagosians Stand findet sich in Halle 11.2, der mittleren und größten von drei Ebenen. Sie gehört komplett der zeitgenössischen Kunst. Im Prinzip ist aber das Zeitgenössische auf allen Ebenen präsent. Unten ergänzt es unauffällig das noch einmal kleiner gewordene Angebot an Moderne und Nachkriegskunst. Hier sammeln sich die alten Granden wie Thomas, Maulberger, von Vertes, Ludorff und Schlichtenmaier.
Oben, auf dem sogenannten „Neumarkt“, ist die Messe jünger und unkonventioneller oder präsentiert sich in „Collaborations“ mit etablierten Galerien. Dieser Sektor hat an Format und Qualität hinzugewonnen, nicht zuletzt, weil mehr Stände als im letzten Jahr kuratiert sind.
Insgesamt wirken alle drei Hallen wie aus einem Guss, auch weil die Deckenkonstruktion einheitlich schwarz gestrichen wurde. 210 Galerien aus 33 Ländern bestreiten das Angebot mit Werken in Preislagen zwischen 120 Euro für ein anonymes „Scrap Book“ (selbst gemachtes Bilderbuch) bei Delmes & Zander und 3,6 Millionen Euro für einen späten Kirchner bei Henze & Ketterer aus der Schweiz.
Schade, dass sich die Platzhirsche in prominenter Lage knubbeln. Hauser & Wirth, die sich auf ausgewählte Arbeiten von nur drei Künstlern konzentriert, konnte bereits über Nacht und in den ersten Stunden der gut besuchten Vernissage vier Bilder von Takesada Matsutani verkaufen, einem Mitglied der japanischen Künstlergruppe Gutai aus der zweiten Generation. Kostenpunkt jeweils um die 85.000 Dollar.
Die geometrisch-abstrakten Arbeiten aus den sechziger und siebziger Jahren erinnern in ihrer lebendigen Farbigkeit an den German Pop eines Georg Karl Pfahler, Rupprecht Geiger, Günter Fruhtrunk oder Winfred Gaul. Für Arbeiten dieser Künstler, die seit einigen Jahren Wiederauferstehung feiern, lohnt auch die Inspektion der Stände von Schlichtenmaier, Klaus Gerrit Friese, Ludorff und Walter Storms.

Die Installation in der Messekoje von Rupert Pfab spielt mit den Worten „Formation Limitation“.
Thaddaeus Ropac und Sprüth Magers haben ihre Offerten auf große Ausstellungen ihrer Künstler abgestimmt. Ropac brachte mit Blick auf die James-Rosenquist-Retrospektive im Museum Ludwig das anderthalb Meter breite Gemälde „Hot Sauce“ (2005) mit. Kostenpunkt: 550.000 Dollar netto.
Sprüth Magers machen ihren Stand mit einem riesigen abstrakten Querformat von Thomas Scheibitz auf, das 150.000 Euro kosten soll. Karsten Greve wartet verlässlich mit hochkarätigen Skulpturen von Louise Bourgeois auf, von denen die silbernitratpatinierte Bronze „The Welcoming Hands“ (1996) die größte Ausdruckskraft entfaltet (920.000 Euro). Schneller absetzen ließen sich in den ersten Stunden Keramiken von Leiko Ikemura in Preislagen zwischen 18.000 und 75.000 Euro.
Ins Auge springt schon von Weitem die in Schwarzweiß, aus Lettern komponierte Wandinstallation von Lars Breuer bei Rupert Pfab, die mit den Begriffen „Formation Limitation“ spielt (10.000 Euro). Etwas Besonderes sind auch die rätselhaften „Duisburger Pflanzen“ der Beuys-Schülerin Inge Mahn bei Max Hetzler (120.000 Euro).
Gegenwartskunst auch dort, wo in Halle 11.1 Moderne und Nachkriegskunst den Ton angeben. An dem riesigen, vier Meter hohen und sechs Meter breiten Gemälde von Norbert Tadeusz am Stand von Beck & Eggeling kommt man nicht vorbei. 2006 entstand das apokalyptische Seestück mit Touristen und Flüchtlingen „Beider Sizilien“, lange bevor die Flüchtlingskrise sich ins öffentliche Gedächtnis eingrub (165.000 Euro).

1978 porträtierte die New Yorker Künstlerin ihre Nachbarn in Harlem, unter ihnen Stephen Shepard (1978).
Bei Lahumière um die Ecke lockt ein typisches Gemälde des legendären Op-Art-Künstlers Victor Vasarely immer wieder Interessierte in den Stand, die sich nach dem Preis erkundigen. 120.000 Euro soll es kosten. Die viel spannenderen, frühen Bilder von 1948 und Anfang der Fünfziger sehen die meisten gar nicht. Sie sind auf den ersten Blick weniger Vasarely-typisch, dafür aber interessanter, auch weil sie noch nicht auf standardisierten Grundformen und Farben basieren. Das hochformatige „Yamada“ (1948) ist entsprechend teuer: 240.000 Euro.
Die unkonventionellsten Stände haben auf dieser Ebene Florian Sundheimer und Derda. Sundheimer wartet mit einer Phalanx genialer Basteleien aus dem Atelier Hermann Glöckners auf; Derda mit einer überraschenden Suite kleinformatiger Werke aus der Zeit der frühen Avantgarden und des Bauhauses. Blickfang ist ein kleines, farbenprächtiges Gemälde des Expressionisten Arnold Topp, das mit 45 000 Euro ausgepreist ist. Vier Jahre existiert die Galerie erst. Und das mit einem Programm, das so einfach nicht mehr zu akquirieren ist. Das geht nur, weil der Inhaber selber Sammler war.
Erwähnenswert ist schließlich noch das vielfältige Fotoangebot in allen drei Hallen. Man schaue sich nur die Stände von Johannes Faber, Julian Sander, Bene Taschen und Wilma Tolksdorf an. Nennenswerte Werkkonvolute gibt es bei Jacky Strenz (Arne Schmitt), Delmes & Zander (Miroslav Tichý), Christine König (Jürgen Teller), Buchholz (Wolfgang Tillmans) und bei Blain Southern (Wim Wenders), um nur eine Auswahl zu nennen.
Ein Highlight liefert Döbele mit seiner Soloschau von Robert Häusser, der für seine kontrastreichen, sehr grafischen Schwarzweiß-Bilder bekannt ist. Vintages, also zeitnahe Abzüge zu Lebzeiten, gibt es nur noch wenige. 18.000 Euro sind für das berühmte Tuilerien-Motiv von 1953 angesetzt, das es nur noch einmal gibt, und 7.000 Euro für neuere Abzüge.
Nur vereinzelt trifft man auf das schwerer verkäufliche Bewegtbild der Videokunst. Da wirkt die Auszeichnung der Sammlerin Julia Stoschek mit dem Art-Cologne-Preis fast wie ein stiller Appell an die Sammler, es doch auch einmal mit etwas anderem zu versuchen als immer mit derselben Malerei und Skulptur.
Zum Schluss ein Update in Sachen Mehrwertsteuererhöhung auf 19 Prozent. Jarmuschek sieht bereits einen Hoffnungsschimmer am Horizont, dass die neue Bundesregierung sich den Steuererlass von Ende 2014 noch einmal kritisch vornimmt. Er zitiert den Koalitionsvertrag. Dem zufolge will sich die Politik auch auf europäischer Ebene für die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes „bei gewerblich gehandelten Kunstgegenständen“ einsetzen und darauf hinwirken, „dass der ursprüngliche gesetzgeberische Wille für den Kunsthandel aus dem Jahr 2014 verwirklicht wird“. Viel Zeit bleibt nach Ansicht des BVDG allerdings nicht. „Aus unserer Sicht muss schnellstens gehandelt werden.“
„Art Cologne“, Messeplatz 1, 50679 Köln-Deutz; bis 22. April 2018, tägl. 11 bis 19 Uhr, am So. bis 18 Uhr
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