Gastronomie Wie man in Deutschland mit Sterneküche Geld verdient – oder nicht

Der Guide Michelin hat erneut die besten Restaurants 2020 ausgezeichnet. Sein „Rutz“ erhielt gleich drei Sterne.
Köln Sterneregen über Deutschland. Nach der Vergabe des Guide Michelin am Dienstag dürfen sich 308 Restaurants in Deutschland mit mindestens einem der begehrten Michelin-Sterne schmücken. 43 Häuser erhielten zwei, zehn Restaurants sogar die Höchstbewertung von drei Sternen. Neu unter ihnen ist das „Rutz“ in Berlin, in dem Marco Müller kocht.
Auf dem höchsten Niveau zu kochen ist aber nicht allein eine Frage von Talent, Disziplin, guten Mitarbeitern und besten Zutaten. Es ist auch eine Frage der Finanzierung. Auch wenn das große Menü mit Weinbegleitung in einem Drei-Sterne-Restaurant schon mal teurer sein kann als der aktuelle Hartz-IV-Satz, ist die finanzielle Unterstützung durch Investoren oder ein Hotel bei Restaurants dieser Klasse mehr die Regel als die Ausnahme. Manchmal mit erheblichen Folgen für ein Restaurant.
So schlug im Sommer 2018 die Nachricht in der deutschen Gastroszene ein wie eine Bombe: Das „La Vie“ in Osnabrück schloss seine Tore für immer. Ohne Vorankündigung verlor Deutschland eines seiner am höchsten dekorierten Restaurants. Das „La Vie“ erhielt bis dahin über Jahre hinweg drei Sterne im Guide Michelin. Diese Bewertung erreichten in dem Jahr gerade einmal 121 Restaurants – weltweit.
Grund für das jähe Ende: Investor Jürgen Großmann, Alleingesellschafter der Georgsmarienhütten Holding, hatte sein Liebhaberprojekt aufgegeben. Bis zum Ende blieb das Gourmetrestaurant ein Zuschussgeschäft. Wie viel Geld jährlich ins Restaurant geflossen ist, will das Unternehmen nicht kommunizieren. 2012 berichtete das „Manager Magazin“ unter Berufung auf Vertraute, dass Großmann das Restaurant jährlich mit einem Millionenbetrag bezuschusste.
„Die Personalkosten sind hoch“, sagt Thomas Bühner, bis zum Ende Patron des „La Vie“. „Um unser Niveau zu halten, hatten wir etwa 30 Mitarbeiter für 30 Gäste am Abend.“ Hinzu kommen exquisite Zutaten, ausgewähltes Porzellan, Besteck und Gläser. Ziel des „La Vie“ sei nicht gewesen, rentabel zu sein, sondern auf Spitzenniveau zu kochen. „Das haben wir geschafft“, sagt Bühner.

Sein Restaurant „The Table“ gehört zu den besten Häusern Deutschlands.
Drei-Sterne-Koch auf wirtschaftlichem Erfolgskurs
Auch Kevin Fehling kennt das Zuschussgeschäft. Im „La Belle Epoque“ im Columbia Hotel Casino Travemünde hatte er 2012 den dritten Stern erkocht. Auch das ging nur mit Querfinanzierung: Eine sechsstellige Summe habe das Hotel jährlich ins Restaurant gesteckt, sagte Hoteldirektor Mike Hoffmann damals in einem Interview.
Die Rechnung sei hier jedoch nicht zu Ende, ergänzt Kevin Fehling. „Der Marketing-Effekt durch die drei Sterne wurde von einer Agentur damals auf 2,5 Millionen Euro beziffert. Das Hotel hatte einen schwierigen Standort.“ Die drei Sterne hätten dafür gesorgt, dass auch zu weniger begehrten Jahreszeiten Gäste ins Hotel gekommen sind. „Wer möchte im Winter schon nach Travemünde?“
Doch Fehling wagte den Schritt aus der sicheren Finanzierung in die Selbstständigkeit. Im Sommer 2015 eröffnete er in Hamburg das Restaurant „The Table“. Schwungvoll schlängelt sich ein langer, schmaler Tisch durchs Restaurant in der äußeren Hafencity. 22 Menschen bekommen hier einen Platz gegenüber der offenen Küche.
Was elegant und modern wirkt, ist von Fehling exakt kalkuliert. „Im ‚La Belle Epoque‘ habe ich beobachtet, dass es teilweise in die Stunden ging, wenn unsere Servicemitarbeiter gelaufen sind, nur um Weingläser nachzudecken. Jetzt haben wir kurze Wege.“ Auch auf Silberbesteck und Tischdecken verzichtet Fehling. Damit entfallen Arbeitsstunden, die andernorts fürs Silbern, Tischdeckenbügeln und -stärken draufgehen.
Das Menü ist exakt kalkuliert: „Wir kochen für 22 Personen, also kaufen wir auch nur für 22 Personen ein. Wir haben keine Abfälle“, erklärt er. Das bedeutet auch: Die Gäste haben keine Wahl, es gibt für alle das gleiche Menü. „Auf Unverträglichkeiten können wir uns einstellen, auf Vegetarier weniger.“ Wer eine der begehrten Reservierungen bekommt, verpflichtet sich damit auch, dass im Falle eines Nicht-Erscheinens der Menüpreis in Rechnung gestellt wird.
Eine Praxis, die in der Branche umstritten ist, aber Fehling unumgänglich erscheint: „Wenn drei Personen nicht erscheinen, haben wir keinen Gewinn und damit den ganzen Tag umsonst gearbeitet.“
Damit das Konzept aufgeht, war eines wichtig, sagt Fehling – auch im „The Table“ musste er wieder drei Sterne erkochen. Tatsächlich erhielt er die höchste Auszeichnung vom Guide Michelin schon nach drei Monaten und hält sie seitdem. Auch die Gäste blieben nicht aus. Trotz des rigiden Konzepts ist das Restaurant Monate im Voraus ausgebucht.
Kevin Fehling verzichtete für seine Idee von einem modernen Sternekonzept auf die Suche nach einem Investor. Stattdessen nahm er einen sechsstelligen Kredit auf. So hält er es auch bei seinem neuesten Projekt. Im April will Fehling, ebenfalls in der Hamburger Hafencity, eine Bar eröffnen.

Stefan Hermann renovierte den ehemaligen Freiherren-Sommersitz und eröffnete ein Restaurant.
Kampf gegen die Insolvenz
Dass es unternehmerisch ebenso sinnvoll wie risikoreich sein kann, auf mehrere Konzepte zu setzen, erlebte der Dresdener Gastronom Stefan Hermann. 2007 machte er sich mit seinem ersten Restaurant „bean&beluga“ selbstständig. Früh wurde er vom Guide Michelin mit einem Stern bedacht.
Zum Restaurant gehörten von Beginn an ein Catering-Service, eine Kochschule, eine Weinbar und ein Feinkostladen. Nicht dazu gehörte: eine Baustelle direkt vor der Tür. Der Lärm von Presslufthämmern und dicke Staubwolken schreckten die Gäste ab. Um das Restaurant halten zu können, suchte Hermann nach weiteren Einnahmequellen. Und er wurde fündig: „In der Nähe des Restaurants, direkt am Rand des Waldparks, liegt der wunderschöne Konzertplatz“, erzählt er.
Schnell war die Idee geboren, hier einen Biergarten zu eröffnen. Statt Gourmetküche bietet Hermann deftige Kost an. Damit er in den kalten Monaten nicht auf Kunden verzichten muss, eröffnet er im November eine fast 1000 Quadratmeter große Eisfläche. In einer Almhütte können sich Besucher aufwärmen. Und nicht nur hier, sondern auch auf dem berühmten Dresdener Striezelmarkt schenkt Hermann seit 2009 Glühwein aus.
In der Semperoper kümmert er sich seit 2010 um die Gastronomie: von den Canapés in der Pause bis zum Catering für den Opernball. Auch im Dresdener Schauspielhaus ist er für das gastronomische Angebot zuständig. Saisonbedingt gab es Schwankungen bei den Umsätzen und Gewinnen, erzählt Hermann. Aber insgesamt liefen die Geschäfte gut. Nach wenigen Jahren war er trotz hoher Investitionen fast schuldenfrei.
Dann verliebte Stefan Hermann sich 2015 in die „Villa Sorgenfrei“ im nordwestlich von Dresden gelegenen Radebeul. Der ehemalige Sommersitz eines Freiherrn, der inmitten sächsischer Weinberge liegt, war schon damals ein Hotel. Hermann übernahm es und renovierte es sorgfältig. Er eröffnete darin das Restaurant „Atelier Sanssouci“, das seit 2019 mit einem Stern dekoriert ist.
Doch Hermanns jüngstes Herzensprojekt brachte den erfahrenen Gastronomen trotz der Erfolge in die finanzielle Schieflage. Er hatte sich mit einem privaten Investor zusammen getan, der schon nach kurzer Zeit – für Hermann überraschend – sein Geld zurück wollte. „Ich war blauäugig und hatte diese Option vertraglich nicht ausgeschlossen“, sagt Hermann.
Im April 2017 meldete er Insolvenz in Eigenverwaltung an. „Dämlicherweise war auch mein ganzes Privatgeld in der Firma“, erzählt er. Deshalb kam die Privatinsolvenz noch dazu. „Am Anfang habe ich Rotz und Wasser geheult. Eigentlich war ich ja kurz davor, schuldenfrei zu sein“, erinnert sich der gelernte Koch.
Neben Vorwürfen, die er sich selbst macht, kamen die Unsicherheit einiger Geschäftspartner und die Vorurteile, die ihm begegneten. „In Deutschland haben leider viele die Vorstellung, dass eine Insolvenz bedeutet, dass ein Unternehmen tot ist. Es ging aber darum, einen finanziellen Engpass zu überbrücken“, sagt Hermann. „Es gibt keinen besseren Kunden als den in der Insolvenz.“
Um ihnen Sicherheit zu geben, vereinbarte Hermann mit Lieferanten langfristige Verträge, ging teilweise in Vorleistung. Auch die über 100 Mitarbeiter mussten nicht um ihre Jobs fürchten. All seine Betriebe liefen weiter. Insgesamt hat es dann keine zwei Jahre gedauert, bis Hermann das Ende beider Insolvenzverfahren bekanntgeben konnte. Jetzt steht sein Name in Dresden wieder für erfolgreiche gastronomische Konzepte – und nicht für einen insolventen Unternehmer.

Der Berliner galt lange als Enfant terrible der Kochszene.
Tim Raue – der Koch wird zur Marke
Auch der Berliner Gastronom Tim Raue hat aus seinem Namen eine Marke gemacht, die nicht nur in Deutschland, sondern weltweit funktioniert. Sie steht für vielfältige Restaurantkonzepte – so vielfältig, dass Tim Raue manchmal selbst den Überblick verliert, sagt er. Sein wichtigstes Restaurant „Tim Raue“ liegt im Herzen von Berlin.
2010 hat er sich gemeinsam mit seiner damaligen Frau und Geschäftspartnerin Marie Raue selbstständig gemacht. Hier hat er mit einer asiatisch beeinflussten Küche zwei Sterne erkocht. 2019 war sein Restaurant außerdem das einzige aus Deutschland, dass es in die Liste der „The World’s 50 Best Restaurants“ geschafft hat.
Doch nicht nur mit seinem kulinarischen Können und seinem individuellen Küchenstil hat er für Aufmerksamkeit gesorgt. Vielen galt er lange als Enfant terrible der Kochszene. Aus seiner schwierigen Kindheit und Jugend und seiner Zeit bei der Jugendbande „36 Boys“ hat er selbst nie ein Geheimnis gemacht. Brillanter Koch und gleichzeitig Bad Boy – die Geschichte lies sich medial gut erzählen. Nicht zuletzt die Netflix Doku-Serie „Chef’s Table“ hat Raue – ebenfalls als bisher einzigem deutschen Koch – eine eigene Folge gewidmet.
Auch wenn Raue in dem Bild, das da von ihm gezeichnet wird, sehr viel mehr Klischee als Realität sieht, hat er auch erkannt, dass mit Veröffentlichung weltweit ein großes Publikum auf ihn aufmerksam geworden ist. „Der Effekt bei den Reservierungen war noch stärker als die 50-Best-Liste“, erzählt er.
Inzwischen ist das Interesse an Raues Restaurant so groß, dass er und seine Geschäftspartnerin die Preise problemlos erhöhen könnten und immer noch mittags und abends ausgebucht wären. „Wir dürfen das Finanzielle natürlich nicht außer Acht lassen. Die Frage ist aber, wie viel Wirtschaftlichkeit man möchte. Marie und ich sind beide der Meinung, dass du kein Gastgeber werden solltest, wenn du nicht von Herzen großzügig bist. Ein Restaurant bringt nicht den Profit wie in der produzierenden Industrie“, sagt Raue.
Die Marge läge im einstelligen Bereich. Fünf oder sechs Prozent sind es in einem guten Monat, in einem anderen dafür auch mal ein Prozent, erzählt Raue. Weil sie sich für ihr Restaurant ein gemischtes Publikum wünschen und nicht nur gut betuchte Gourmet-Touristen, wird sich daran auch nichts ändern.
Ein Gespür für gastronomische Konzepte
Der gastronomische Erfolg hat für Tim Raue aber auch einen Preis – 16 Stunden arbeitet er im Schnitt an sechs Tagen in der Woche. „Ich habe mich gefragt, wie ich in zehn oder 15 Jahren noch Geld verdienen soll, wenn ich dieses Pensum nicht mehr leisten kann.“ Freunde hätten ihn dann darauf gebracht, dass er längst vorgesorgt habe.
Schon 2013 entstanden zwei Restaurants, für die Tim Raue mit seinem Namen stand. „Ich hatte tolle Mitarbeiter, die Küchenchefs werden wollten. Der Posten war bei mir aber schon besetzt. Also haben wir gemeinsam neue Restaurant-Konzepte entwickelt.“ Seitdem hat sich das vervielfacht. Vom Finanziellen habe er zwar keine Ahnung, verrät Raue., „aber ich habe ein Gespür dafür, welche gastronomischen Konzepte funktionieren und welche nicht.“
Inzwischen kann man an vielen Orten in Deutschland, aber auch auf einem Kreuzfahrtschiff Restaurants „by Tim Raue“ entdecken. Sein Name soll bei den ganz unterschiedlichen Konzepten für eine ganz eigene Aromen- und Geschmackswelt stehen, außerdem für ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Raue ist – anders als bei seinem Restaurant in Berlin – kein Eigentümer dieser Gastronomien. Er ist Berater, coacht die Köche und steht mit seinem Namen ein. Dafür erhält er von den Betreibern eine Gebühr.
„Natürlich habe ich auch mal Buden auf- und wieder zugemacht, weil sie nicht funktioniert haben. Mal war es der falsche Standort, mal das falsche Konzept. Aber da bin ich amerikanisch. Hinfallen, aufstehen, lernen, bessermachen“, sagt Raue. Denn auch für einen Profi ist die Gastroszene immer wieder eine Herausforderung.
Mehr: Wie der Einzelhandel sich mit Cafés und Bars neu erfinden will.
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