Winzer-Präsident Allan Sichel: „Der Klimawandel hilft Weinen in Bordeaux-Region“
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Interview mit Allan SichelWinzer-Präsident: „Deutsche Kunden für Bordeaux-Weine für acht Euro begeistern“
Der Präsident der Vereinigung der Bordeaux-Winzer über die Wirkung von Wetterereignissen, die Veränderungen durch die Pandemie und die Preispolitik der Region.
Seine Vereinigung vertritt heute 5500 Winzer, 300 Händler und 77 Makler.
(Foto: Jean-Bernard Nadeau)
Die französische Weinregion Bordeaux ist nicht nur dafür bekannt, die größte Anbaufläche für Spitzenweine weltweit zu sein, sondern auch für ihre Spitzenpreise. Doch die Weine kommen nur aus einem sehr kleinen Teil der Region rund um die gleichnamige Stadt und den Fluss Gironde. Das gesamte Anbauland des Bordelais liegt auf der Weltrangliste mit seinen 110.000 Hektar Anbaufläche auf Platz elf – vor Deutschland, das mit seinen 13 Weinregionen auf eine Anbaufläche von 102.000 Hektar kommt.
Dennoch ist die Zahl der Superlative enorm: In guten Jahren wie 2019 wurden 649 Millionen Flaschen hergestellt, umgerechnet können also in jeder Sekunde eines Jahres 22 Flaschen weltweit verkauft werden. Laut einem Bericht der Düsseldorfer Weinmesse Prowein setzt die Region insgesamt 3,74 Milliarden Euro um. Vier von fünf Landwirtschaftsbetrieben mit rund 55.000 Jobs leben vom Weinbau.
Wie aber geht die wohl bekannteste Region für Spitzenweine mit dem Klimawandel um? Und wie hat die Corona-Pandemie Bordeaux verändert? Wie sieht es mit den Preisen aus? Über diese und andere Themen sprach das Handelsblatt mit Allan Sichel, dem Vize-Präsidenten des Conseil Interprofessionnel du Vin de Bordeaux (CIVB). Die Vereinigung vertritt heute 5500 Winzer, 300 Weinhändler und 77 Makler und ist die größte interprofessionelle Vereinigung der französischen Weinbranche.
Lesen Sie hier das ganze Interview mit Allan Sichel:
Herr Sichel, wie läuft das Weinjahr 2021 in Bordeaux bislang? Gab es in diesem Jahr wieder den gefürchteten Spätfrost im Frühjahr oder Hagel? Es ist mal wieder ein interessantes Jahr. Wir hatten zwei Nächte Frost im Monat April, die auch viel Schaden angerichtet haben. Allerdings war das nicht so schlimm wie im Jahr 2017. Nach der Blüte gab es jedoch Probleme mit der Befruchtung.
Was heißt das für die Winzer? Viel Arbeit. Sie mussten die Beeren, die nicht reiften, im Sommer von den Weinstöcken aussortieren, um eine bessere Qualität für die gesunden Beeren zu erzielen. In der Konsequenz bedeutet das beim gesamten Volumen eine kleinere Ernte.
Da drängt sich das Thema Klimawandel auf. Als ich vor sieben Jahren Graf Stephan von Neipperg, den bekannten deutschen Bordeaux-Winzer besucht habe, hat er auf die entsprechende Frage geantwortet: Klimawandel gäbe es schon seit 100 Jahren, er könne feststellen, dass die Natur exzessiver geworden sei. Sehen Sie das auch so? Ich kenne Herrn Neipperg sehr gut. Er hat eine feine Art, mit Wörtern umzugehen. Meiner Meinung nach existiert aber der Klimawandel, der natürlich nicht jedes Jahr festzustellen ist. Aber wenn wir auf die vergangenen 15, 20 oder 30 Jahre zurückblicken, dann stellen wir fest: Das Klima in Bordeaux hat sich geändert.
Weinanbau in Bordeaux
Winzer Jean Yves Millaire „erzieht“ die Rebstöcke in seinem Weinberg.
(Foto: Bonnaud Guillaume)
Wie hat es sich geändert? Ist es einfach nur heißer geworden? Die Unsicherheit über das Wetter im gesamten Jahresverlauf ist deutlich größer. Bordeaux liegt am Atlantik, diese geografische Lage sorgt für ausgeprägte unterschiedliche Jahreszeiten, die für komplexe, raffinierte Bordeaux-Weine sorgen. Früher hatten wir kühle Temperaturen bis April. Die Sonne sorgte im Mai für eine Erwärmung und eine Blütezeit Anfang Juni, gefolgt von einem trockenen und heißen Juli, der die Grundlage für eine gute Lese sorgte, die Anfang Oktober begann.
Und jetzt? Dieses Muster gibt es nicht mehr. Wir haben plötzlich heiße Temperaturen im Februar, Regen im März oder im Juli. Die Dinge ändern sich, es ist unvorhersehbar geworden. Und das hängt meiner Meinung nach mit dem Klimawandel zusammen.
Nun dürfen die Bordeaux-Winzer sechs neue Rebsorten anbauen. Was ist denn Ziel dieser Neuanpflanzungen? Wir wollen dadurch den Stil der Bordeaux-Weine, vor allem ihre Frische, Eleganz und Ausgewogenheit, so weit wie möglich erhalten. Wenn Bordeaux angesichts des Klimawandels nicht handelt, werden wir die Kontrolle über das aromatische Profil unserer Weine verlieren.
Sind neue Trauben die alleinige Lösung? Nein, das ist nur ein Element, eher ein kleines. Denn im Kampf gegen den Klimawandel gibt es nicht nur die eine Lösung. Aber man muss auch feststellen: Der Klimawandel hilft dem Bordeaux, weil die Trauben dadurch besser reifen. Auf die Qualität unserer Weine hatte der Klimawandel bisher keinen negativen Einfluss.
Also freuen sich alle Bordeaux-Winzer über den Klimawandel? Natürlich nicht. Denn neben der Qualität ist auch die Quantität wichtig. Aufgrund von Frost, Hagel und zu hoher Hitze ist in manchen Jahren das Volumen der geernteten Trauben gesunken, die Winzer konnten weniger Wein herstellen.
Neue Rebsorten in Bordeaux
Alvarinho kennen Genießer bereits aus Portugal. Die Rebe erweist sich dort als sehr flexibel, kommt mit Hitze zurecht und fällt der Graufäule nicht schnell zum Opfer. Auch das aromatische Potenzial von Alvarinho sorgte für die Zulassung und beugt geschmacklichen Verlusten vor.
Auch Liliorila ist als neue weiße Rebsorte im Bordeaux zugelassen, da sie sehr aromatisch ist. In heißem Klima gelingt es ihr, den Weinen weiterhin einen runden und facettenreichen Geschmack zu verleihen. Wie Alvarinho ist auch Liliorila kein leichtes Opfer für die gefürchtete Graufäule. Die Sorte entstand, indem Experten Chardonnay und Barock miteinander kreuzten.
Die rote Rebsorte Arinarnoa existiert bereits seit dem Jahre 1956 und ist eine Kreuzung aus Cabernet Sauvignon und Tannat. Sie punktet mit vollständiger Resistenz gegen Graufäule, kommt sehr gut mit klimatischen Schwankungen zurecht und fördert reiche Struktur, aromatischen Geschmack und reifes Tannin im Wein.
Castets ist eine südwestfranzösische Rebe, die über die Jahrzehnte hinweg nahezu vergessen wurde. Im Angesicht des Klimawandels allerdings erfreut sich die Rebsorte neuer Beliebtheit. Sie widersteht Mehltau sowie Graufäule recht zuverlässig und bringt vor allem intensive Farbe in den Rotwein.
Genau wie Arinarnoa entstand Marselan in einem französischen Forschungsinstitut. 1961 kreuzten die Wissenschaftler für diese Sorte Grenache mit Cabernet Sauvignon. Als spätreifende, frostbeständige Sorte passt Marselan gut zu den neuen Bedingungen in der Region. Im Wein zeigt sich die Rebe intensiv gefärbt, sehr aromatisch und mit gutem Reifungspotenzial ausgestattet.
Touriga Nacional ist eine bereits gut bekannte Rebsorte aus Portugal. Sie reift besonders spät und umgeht damit Probleme wie Pilzerkrankungen und frühlingshafte Fröste. Charakterlich profitiert der Wein aus Touriga Nacional von einer intensiven Farbe, vollmundiger Struktur und großem Potenzial für längere Reife.
Was können die Winzer noch tun außer neue Trauben anzupflanzen, damit sie auch genügend reife Trauben ernten können? Da gibt es vielfältige Möglichkeiten, die bereits angewendet werden. Die Blätter werden beispielsweise nicht mehr so stark ausgedünnt, um die Trauben vor der Sonne zu schützen. Die Pflanzendichte wird verringert, und die Winzer ernten verstärkt nachts bei kühleren Temperaturen. Das sind nur einige Beispiele. Zudem bringen wir das Thema Nachhaltigkeit voran. Ein wichtiger Aspekt: Dadurch finden wir besser Personal, das im Weinberg arbeitet. 65 Prozent der Weinbergflächen sind bereits als nachhaltig zertifiziert. Die Zahl steigt stetig, und der CIVB fördert die verschiedenen Umweltkonzepte.
Hat sich die Auswahl der Rebsorten verändert? Ja, früher wurde verstärkt Merlot angepflanzt. Das ist eine früh reifende Rebsorte, die einen Wein runder und weicher macht. Nun pflanzen die Winzer lieber Cabernet Sauvignon an, eine später reifende Rebsorte mit mehr Würze und Gerbstoffen. Hinzu kommt ein größerer Anteil der Rebsorte Petit Verdot, die noch später als Cabernet Sauvignon reift und aufgrund der kleineren Beeren einen geringen Ertrag bietet. In früheren Zeiten wurden die Petit-Verdot-Trauben selten reif, doch die geben Bordeaux-Weinen etwas Frische.
Apropos Frische: Wenn ich mich mit Weinfreunden unterhalte, die über Jahrzehnte viele Bordeaux-Weine im Weinkeller lagern lassen, kommen wir schnell auf ein Thema: die deutliche Veränderung des Alkoholgehaltes. Früher waren es mal 13 Volumenprozent, heute sind es eher 14 bis 14,5. Warum ist der Alkoholgehalt so deutlich gestiegen? Das liegt daran, dass die Trauben vollständig ausreifen. Der Klimawandel ermöglicht uns, den optimalen Reifezeitpunkt der Trauben zu erreichen. Das war früher nicht der Fall. Das liegt auch an den Trauben. Beispielsweise Merlot: Das Zeitfenster für die Ernte von Merlot-Trauben ist sehr klein. Wenn die Winzer zwei Tage zu spät ernten, kann das Probleme verursachen. Aber die neuen Rebsorten, die wir anpflanzen, ermöglichen, Weine mit etwas weniger Alkoholgehalt herzustellen.
Hat Corona die Situation in Bordeaux verändert? Beispielsweise haben deutsche Winzer während der Pandemie gelernt, so viele Vertriebskanäle wie möglich zu nutzen. Winzer, die ihre Weine nur an Restaurants verkauft haben, standen vor immensen Problemen. Das war im Bordeaux nicht anders, der Verkauf an Restaurants ist für Bordeaux-Weine ein wichtiger Vertriebskanal, und die Restaurants waren wie in Deutschland geschlossen. Aber die Probleme waren nicht so groß, weil Bordeaux ein anderes System hat. Hier verkaufen Winzer an verschiedene Zwischenhändler, sogenannte Negociants, die wiederum eine Expertise für die jeweiligen Märkte wie beispielsweise Restaurants oder Onlinehandel besitzen. Klar: Der Handel der Negociants mit Restaurants oder Duty-free-Shops in Flughäfen brach vollständig ein. Dafür stiegen die Verkaufszahlen in den Supermärkten und online. Die Veränderungen der verschiedenen Vertriebskanäle waren erheblich.
Wie haben sich die Verkaufszahlen während der Pandemie entwickelt? Wir hatten im Jahr 2020 einen großen Einbruch beim Verkauf der Bordeaux-Weine, sehen aber in diesem Jahr mit der Wiedereröffnung der Restaurants 2021 eine schnelle Erholung. Wir sind noch weit entfernt von einer vollständigen Erholung.
Können Sie das beziffern? Der Verkauf im vergangenen Jahr lag rund 20 Prozent unter dem üblichen Niveau. Unsere aktuellen Marketingdaten zeigen aber jetzt endlich den erwarteten Aufschwung.
Arbeit im Weinberg
Winzer Stefan Massart und seine Mitstreiter im Bordeaux setzten in der Region im Jahr 2019 gut 3,7 Milliarden Euro um.
(Foto: Bonnaud Guillaume)
Welche Auswirkungen hatte der Brexit auf den Verkauf von Bordeaux-Weinen? Überraschenderweise war der Brexit kein Problem. Großbritannien ist der Markt Nummer eins für uns. Die Verkaufszahlen in den Jahren 2019 und 2020 waren gut, und beim aktuellen Jahr 2021 sind die Zahlen bislang sogar noch höher. Dafür musste man sich auf die vielen Zollformalitäten aber gut vorbereiten.
Welche Bedeutung hat denn der deutsche Markt für Sie? Deutschland ist ein sehr wichtiger Markt für uns, auch historisch gesehen. Es ist ein wichtiger Importmarkt mit insgesamt 15 Millionen Hektoliter jährlich, die aus anderen Ländern kommen. Wir wollen auch in Deutschland Marktanteile wiedergewinnen. Unsere Rechnung sieht so aus: Bordeaux steht für 1,5 Prozent der gesamten weltweiten Weinproduktion. Und diesen Anteil von 1,5 Prozent wollen wir auch in jedem Exportmarkt erreichen. In Deutschland sind es derzeit 1,1 bis 1,2 Prozent.
Wie sehen Sie die ungewöhnlich hohe Marktmacht der Discounter in Deutschland? Auch in Frankreich werden Bordeaux-Weine über Discounter verkauft, das ist nicht ungewöhnlich. Das Problem ist: Wir wollen gerne unsere Performance messen, aber die deutschen Discounter geben uns keine Verkaufszahlen. Aber wir haben unser eigenes Research, indem wir die Konsumenten befragen.
Da bin ich aber gespannt. Supermärkte, ohne die Discounter, verkaufen 28 Prozent der Bordeaux-Weine, bezogen auf den Wert. Die Discounter selbst verkaufen 24 Prozent unserer Weine. Wenn wir diese 24 Prozent genauer analysieren, dann werden 42 Prozent in den Aldi-Geschäften verkauft, weitere acht Prozent bei Lidl. Die restlichen Discounter verkaufen die andere Hälfte.
Wie wollen Sie denn den Marktanteil von Bordeaux-Weinen in Deutschland steigern? Bordeaux ist einerseits bekannt für seine großartigen Weine, die teilweise mehrere Hundert Euro kosten. Die sind weltweit bekannt. Unsere Marketingstrategie zielt darauf ab, vor allem neue Weinliebhaber zu gewinnen, die bislang keinen Bordeaux getrunken haben. Viele von denen glauben, Bordeaux-Weine seien zu teuer oder viel zu kompliziert, um einen einfachen Weingenuss zu bieten. Diese beiden Erwartungen wollen wir aufbrechen.
Marie et Sylvie Courselle
Blick vom Stahltank aus auf die geernteten Trauben beim Bordeaux-Weingut Marie et Sylvie Courselle.
(Foto: Bonnaud Guillaume)
Wie hoch ist der Anteil der teuren Bordeaux-Weine? Sie repräsentieren nur drei Prozent unserer gesamten Produktion. Wir wollen die neuen Kunden in Deutschland für unsere anderen Weine begeistern, die zwischen acht und 15 Euro kosten. Dabei können uns die Discounter helfen, einfache Bordeaux-Weine für jeden Tag zu verkaufen.
Ist acht Euro für eine Flasche Bordeaux die untere Grenze? Nein, natürlich gibt es auch Bordeaux-Weine, die deutlich preiswerter als acht Euro sind. Aber wir haben die Erfahrungen bei französischen Discountern gemacht: Wer einen Bordeaux-Wein unter drei Euro kauft, kauft nicht Bordeaux, sondern will nur einen Wein, der weniger als drei Euro kostet.
Aber Ihr Vorhaben, Weine zwischen acht und zehn Euro zu verkaufen, dürfte nicht einfach sein. Denn der durchschnittliche Preis für eine Flasche Wein in Deutschland liegt unter vier Euro. Das ist eine Frage des Konzepts. 80 Prozent der Flaschen, die weltweit getrunken werden, kosten weniger als fünf Euro. Wir wollen die anderen 20 Prozent erreichen, die bereit sind, mehr als fünf Euro für eine Flasche zu zahlen. Das ist natürlich ein ambitioniertes Ziel. Aber wir halten es für möglich, unser Ziel von 1,5 Prozent Marktanteil mit den 20 Prozent der Weinliebhaber zu erreichen. Herr Sichel, vielen Dank für das Gespräch.
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