Nudel-König Guido Barilla: „Menschen wissen viel über Essen – aber oft das Falsche“
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Nudel-König Guido Barilla„Menschen wissen viel über Essen – aber oft das Falsche“
Er mag am liebsten Fusilli, aber auch Weißwurst und Altbier, und steckt viel Geld in Ernährungsforschung. Im Interview spricht Nudel-König Guido Barilla über Essen, Verantwortung und den exakten Punkt für Pasta al dente.
Eine Tibetfahne hängt im Büro des Chefs im ersten Stock des nüchternen Funktionsbaus an der Peripherie von Parma – und eine Sammlung von Landschaftsaufnahmen des amerikanischen Fotografen Ansel Adams, die er nach und nach zusammengetragen hat. Um den Besprechungstisch gruppieren sich Vintage-Ledersessel. Guido Barilla, früher mit langen Locken, heute mit Bart, ist ein zurückhaltender Feingeist und muss erst zum Foto mit der Nudel überredet werden. Dann aber nimmt das Gespräch schnell Fahrt auf.
Signor Barilla, können Sie kochen? Klar. Aber meine Frau ist besser, also kochen wir zusammen.
Und was ist ihr Lieblingsgericht? Spaghetti mit Pesto, wie bei Fußballstar Thomas Müller in Ihrem Werbespot? Pasta natürlich, im Moment sind es Fusilli mit Butter und Parmesan. Das ist ein ganz typisches Gericht aus Parma. Es ist zwar einfach, aber man muss es schon richtig machen.
Welche Nudelsorte verkauft sich denn am besten? Fusilli, Farfalle, Spaghetti, Tagliatelle, Penne ...? Die Spaghetti Nummer 5, die stehen weltweit auf Platz eins. Die gibt es genauso in China wie in Deutschland.
Und was mögen die Deutschen am liebsten? Da geht es nicht um die Nudelform. Die Deutschen kochen ihre Pasta gerne etwas länger …
... das ist doch ein Horror für jeden Italiener! Nein, ist doch gar nicht schlimm oder falsch, es geht doch nur um den Geschmack. Jeder kann seine Nudeln essen, wie er will. Was aber wichtig ist, dass das Produkt eine so gute Qualität hat, dass es alle Arten der Zubereitung zulässt. Es gibt natürlich den exakten Punkt, wenn die Pasta gar ist, aber auch wenn man sie lieber al dente oder weicher will, muss die Qualität stimmen.
Vor einigen Jahren existierte das Wort Gluten überhaupt nicht. Heute gibt es unzählige Menschen mit den verschiedensten Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Was ist passiert mit der heilen Ernährungswelt?
Werbespot mit Thomas Müller
Der Fußball-Weltmeister und seine Frau Lisa legen für Barilla die Kochschürze an.
(Foto: obs)
Ich sehe zwei Phänomene: die Möglichkeiten der modernen Medizin, um solche Unverträglichkeiten überhaupt zu entdecken. Das andere ist eine sehr stark gewachsene Sensibilität gegenüber unserem Körper, unserer Gesundheit, unserer Lebenserwartung. Die Menschheit glaubt, für immer und ewig zu leben. Tatsächlich wird ein großer Teil der westlichen Population auch immer älter – hat dabei aber große Probleme mit Krankheiten und Beschwerden.
Und das Essen spielt dabei eine zentrale Rolle? Wir essen dreimal, viermal, fünfmal am Tag. Mit der Zeit haben wir ein Gefühl dafür entwickelt, was beim Essen und unmittelbar danach mit unserem Körper passiert. Die Menschen haben verstanden, welch großen Einfluss die Ernährung auf ihre Gesundheit hat.
Und das, ohne Mediziner oder Ernährungsexperte zu sein. Wir sind keine Mediziner, aber wir sind uns im Klaren, dass Essen viel mehr bedeutet als nur die reine Nahrungsaufnahme. Das Essen muss uns gutgetan haben – auch langfristig gesehen. Und das nicht nur für uns selbst, sondern auch für die Umwelt, den Planeten.
Vegetarier gibt es schon etwas länger. Es gibt auch Veganer und nun auch immer mehr vegane Restaurants. Ist das nur ein Trend, eine Modeerscheinung? Veganer zu sein ist der Ausdruck einer Haltung, einer Überzeugung: Ich esse nichts, was mit dem Tod eines Tiers in Zusammenhang steht. Es geht ja nicht nur um das Fleisch, sondern auch um die Haut, den Pelz. Natürlich ist das extrem, aber jeder sollte entscheiden können, wie er sich ernähren möchte. Veganer zu sein ist eine kulturelle Entscheidung.
Ein anderes Phänomen ist der Bio-Boom. Auch das ist Teil einer kulturellen Haltung. Was ich nicht verstehen kann, ist, wenn jemand nur noch „bio“ isst und alles andere ablehnt. Der Großteil unseres Essens weltweit ist nicht biologisch hergestellt und trotzdem extrem sicher und von außerordentlich hoher Qualität. Nur weil etwas nicht „bio“ ist, muss es also nicht automatisch schlecht sein.
Guido Barilla – zur Person
Guido Barilla, Jahrgang 1958 und der Älteste von vier Geschwistern, übernahm die Familienholding in Parma, als der Vater 1993 starb. Der studierte Philosoph und Sammler von Fotokunst internationalisierte den 1877 gegründeten Nahrungsmittelkonzern, der heute Weltmarktführer im Pasta-Segment ist. Für die rund 8 000 Mitarbeiter führte er als eines der ersten italienischen Unternehmen seit 2013 flexible Arbeitszeiten und Homeoffice-Tage ein.
2002 kaufte Barilla die deutsche Bäckereikette Kamps, eine Akquisition, die nicht funktionierte, 2010 verkaufte er die Kette an einen Finanzinvestor. Jetzt interessieren ihn Nachhaltigkeit und Lebensmittelforschung und der Markt in den USA.
Trotzdem haben Sie vor kurzem eine glutenfreie Pasta auf den Markt gebracht, in der Schweiz produzieren Sie Bio-Nudeln. Warum? Die Industrie sollte den Menschen immer das bestmögliche Essen von höchster Qualität liefern. Ein Stück weit müssen wir dabei auch auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen. Bis Mitte der 1990er-Jahre waren wir eine Firma, die fast nur für den italienischen Markt produziert hat. Danach haben wir weltweit expandiert. Eines haben wir verstanden: Jedes Land hat seine eigenen regionalen Bedürfnisse.
Und warum stecken Sie seit einigen Jahren so viel Geld in Forschung und Wissenschaft? Wer Nahrung industriell herstellt, hat eine riesige Verantwortung. Wir produzieren ungefähr 3,5 Millionen Tonnen Grundnahrungsmittel pro Jahr. Wir haben jahrelange Erfahrung und Kenntnisse über die Produktionsketten in der Landwirtschaft, über die Logistik, die Verarbeitung. Man könnte sagen: Barilla kennt sich mit Nahrungsmitteln ziemlich gut aus. Wir hatten das Bedürfnis, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.
Klingt recht visionär. Sind Sie dabei so gar nicht eigennützig? Wir haben erkannt, dass es ein Bedürfnis nach mehr Informationen über die Ernährung gibt. Die Menschen wissen heute sehr viel über das Essen – aber oft das Falsche. Daher haben wir in Parma das Barilla Center for Food and Nutrition eingerichtet, das von Anfang an ein Zentrum für die Wissenschaft war. Seit der Gründung vor acht Jahren hat es mit mehr als 500 Wissenschaftlern aus der ganzen Welt zusammengearbeitet. Wir haben mehr als 20 Millionen Euro in das Projekt gesteckt.
Das ist ziemlich viel Aufwand, um den Kunden Nachhilfeunterricht in Sachen Ernährung zu geben. Wir wollen die Menschen nicht belehren, aber wir können informieren. Vor eineinhalb Jahren haben wir das Center zu einer komplett unabhängigen Stiftung umgewandelt, die sich nicht nur mit Industrieproduktion, sondern mit allen Fragen der Ernährung beschäftigt. Das Ganze ist für uns ein Akt der Demut, auch eine Art Dank an unsere Konsumenten, die die Marke so groß gemacht haben. Nach dem Motto: Ihr habt der Marke vertraut, jetzt geben wir euch etwas zurück.
Exakt al dente
Die Handelsblatt-Reporter Regina Krieger und Christian Wermke beim Selbstversuch in der Barilla-Akademie.
(Foto: Regina Krieger)
Ganz altruistisch ist die Stiftung aber nicht: Die Ergebnisse der Forschung fließen doch sicher auch in Ihre eigene Produktion ein? Gar kein Zweifel: Wir haben einiges von der Wissenschaft gelernt. Die Firma hat heute sehr viel mehr fundierte Kenntnisse als früher. Alle Produkte werden auf Ernährungsfragen hin überprüft. Viele der Informationen kommen dabei auch aus der Stiftung.
Was haben Sie denn konkret geändert? Wir haben in vielen Produkten den Anteil von Salz, Zucker und Fett verringert. Unser Produktportfolio heute ist das beste, das wir je hatten.
Sie reisen sehr viel. Wie unterschiedlich sind die globalen Geschmäcker? Wir sehen uns als Aushängeschild Italiens, wir sind wie ein Botschafter der italienischen Küche. Aber die Wahrnehmung der italienischen Esskultur ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. Es gibt Länder wie Deutschland, wohin viele Italiener ausgewandert sind. Anders ist es mit Ländern wie China. Kein Italiener ist in den vergangenen 150 Jahren ausgewandert, um in China zu leben. Dadurch ist die Wahrnehmung der italienischen Kultur in China eine ganz andere. Wir mussten und müssen in jedem Land profilierte Studien machen über die Unterschiede, was die Menschen über die italienische Küche wissen. Wir müssen immer daran denken, wie die Barilla-Produkte in den Ländern gekauft, gegessen und zu Hause zubereitet werden.
Also sind die Produkte nicht gleich in allen Ländern? Die Rohstoffe sind identisch. Und die Qualität. Aber die Typologie und Rezepte einiger Produkte können unterschiedlich sein.
Was können die Deutschen von den Italienern lernen bei der Kunst des Essens, Kochens und Genießens? Ich liebe regionale Küche. Ich habe großen Respekt davor. Die Deutschen können von den Italienern lernen, klar, aber auch umgekehrt. Jeder von uns hat doch seine Qualitäten. Die Deutschen sind einzigartig darin, Fleisch zu bearbeiten. Und euer Lebensmittelexport ist, glaube ich, doppelt so groß wie der italienische. Das heißt doch, dass auf der ganzen Welt deutsche Produkte gemocht werden. Wir Italiener haben anderes: Olivenöl, Pasta, Tomaten. Und mir gefallen die deutschen Produkte.
Guido Barilla an seinem Schreibtisch
„Wir wollen der nächsten Generation ein Unternehmen hinterlassen, das noch internationaler ist, und unsere Produkte auf neue Märkte bringen.“
(Foto: Mattia Zoppellaro/Laif für Handelsblatt)
Welche denn? Ich liebe Frankfurter Würstchen, aber mehr noch diese weißen, die man mit süßem Senf isst …
Münchener Weißwürste? Ja, die sind außerordentlich gut. Und ich bin ein großer Biertrinker und muss sagen, das deutsche Bier ist besonders gut. Als wir noch Besitzer von Kamps waren, bin ich in Düsseldorf immer in die Altstadt gegangen und habe „la Altbier“ getrunken.
In Parma gibt es ja nicht nur Pasta, sondern auch den Parmaschinken und den Parmesan-Käse. Gibt es da Konkurrenz? Nein, wir arbeiten gut zusammen. Parma ist das „food valley“ von Italien, denn es gibt Exzellenz und Wissen von der Pasta über den Käse bis zu der Konservierung von Fleisch. Es gibt ja nicht nur Schinken, sondern auch Salami, Coppa, Culatello und so weiter, alles sehr regionale Produkte. Und Parma hat eine Universität und will einen Forschungsschwerpunkt rund um Lebensmittel bilden. Wir sind stolz darauf, ein Teil dieses Projekts zu sein.
Das Kapitel Kamps gehört der Vergangenheit an, jetzt schauen Sie auf die USA. Wollen Sie zukaufen? Ja, das interessiert uns. Nach dem Tod unseres Vaters haben wir vor rund 20 Jahren Barilla außerhalb von Italien bekannt gemacht. Bis 1993 waren wir rein italienisch, jetzt sind 50 Prozent des Geschäfts im Ausland. Wir wollen der nächsten Generation ein Unternehmen hinterlassen, das noch internationaler ist, und unsere Produkte auf neue Märkte bringen. In den USA können Zukäufe besonders spannend sein, aber sie müssen sehr zielgerichtet sein.
Und das nach dem Flop in Deutschland? Die Erfahrungen, die wir gemacht haben, waren schwierig, aber auch gut. Wir haben gelernt, was wir können und was wir nicht können. Wir sind sehr gut darin, Pasta zu machen, trockene, aus Hartweizengries. In Deutschland ist man gut in der Herstellung von frischem Brot. Man könnte meinen, das passt, aber das stimmt nicht. Jede Kategorie und jedes Unternehmen in der Lebensmittelbranche braucht eigene Kompetenzen. Deshalb konzentrieren wir uns jetzt darauf, wo wir Mehrwert erzielen können.
Geht es ein bisschen konkreter? Es gibt viele Projekte, die spruchreif sind.
Aber gibt es denn auf der Weltkarte überhaupt noch weiße Flecken, wo man Ihre Nudeln nicht kennt? Wir haben dieses Jahr viel in Russland investiert, haben dort eine Produktionsstätte eröffnet. Und in Brasilien investieren wir seit drei Jahren. Da gibt es ein eigenes Produkt für die Brasilianer: eine Pasta aus Mehl und Eiern, nicht aus Hartweizengries. Und dann Osteuropa.
Und Asien? Da gibt es Länder, die nicht an unseren Produkten interessiert sind, andere dagegen schon. Es gibt dort andere Traditionen, und es ist schwierig.
Sie haben Erfolg, die Welt gesehen, sammeln Fotokunst – gibt es noch einen Traum für Sie? Abgesehen von der Arbeit will ich als Mensch sehen, wie unsere Gesellschaft Fortschritte macht und dass meine Kinder gesund aufwachsen. Ich liebe meine Rolle als Vater.
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