Restaurants Der unheimlich grüne Trend in der Gastronomie

Ein nachhaltiger, dennoch gehobener Gastronomiestil verbreitet sich.
Biberach Es ist ungefähr vier Jahre her, das weiß Simon Kaiser noch. Da stand bei dem Koch aus dem oberschwäbischen Mittelbiberach, eine halbe Stunde südlich von Ulm, der Landwirt Heinrich Baur vor der Tür. Eine Kiste Salat unter dem Arm, eine Frage auf dem Herzen. „Er wollte wissen, ob ich damit etwas anfangen kann“, erinnert sich Simon Kaiser.
Und Kaiser konnte. Nicht nur mit den Salaten, sondern auch mit vielen anderen Köstlichkeiten, die Baur und seine Partnerin Gesi Christ in der Nachbarschaft von Kaisers Restaurant Esszimmer anbauen: Erlesene Spezialitäten alter Schweine-, Schaf- und Rinderrassen, ausgefallene Gemüse, wenn Kaiser das möchte, auch Artischocken, die sonst eher nicht in Deutschland wachsen.
Daraus wuchs eine enge Zusammenarbeit. Die auch von gegenseitigem Input liebt.
Das Esszimmer, das Simon Kaiser und seine Frau Sarah betreiben, ist kein ganz gewöhnliches Restaurant. Der renommierte „Feinschmecker“ führt es als eines der 500 besten in Deutschland. Vor allem aber pflegt es eine Spitzenküche, die streng regional und nachhaltig ausgerichtet ist. Und das hat derzeit Aufwind.
Hinter der Gastronomie liegen schwere Monate. Die Politik schloss während der harten Corona-Phase die Betriebe faktisch. Zwar gab es finanzielle Entschädigung, aber der Schaden ist immens: Die Bindung zu Stammgästen und Lieferanten, vor allem aber zu Mitarbeitenden wurde stark strapaziert. Doch nun, wenige Monate nach den Lockdowns, melden gerade viele Spitzenrestaurants, deren aufwendige Menüs sich während des Lockdowns nicht so einfach per Lieferdienst verkaufen ließen: Rekordnachfrage.
Dabei fällt auf: Vor allem die nachhaltige Gastronomie, die vor Corona eher ein absolutes Nischendasein führte, freut sich über Zuspruch. Das analog zum klassischen Lebensmittelhandel: Dort wächst alles, was „bio“, „regional“ oder ähnliches für sich beanspruchen kann, seit Monaten. Um 22 Prozent allein im vergangenen Jahr.
Nachhaltige Initiativen auf dem Vormarsch
In der Gastronomie ist das aber ungleich schwerer. Die Gastronomie-Bibel Guide Michelin führte zwar zuletzt einen grünen Stern ein, mit dem nicht nur exklusive sondern vor allem nachhaltige Küche belobigt wird. Auch wuchs die Zahl weiterer Initiativen mit entsprechendem Ziel: Es gibt die Slow Food Chef Alliance, die Green-Chefs, die Bio-Spitzenköche und der Gastronomieführer des Vereins Slow Food avancierte zum meistverkauften in Deutschland.
Doch insgesamt entwickelte sich die Zahl der Gastronomien, die auf den allgemeinem Nachhaltigkeitstrend aufsprangen, lange Zeit zäh. Schließlich ist der Aufwand für einen Profikoch, der nicht einfach die Bio-Ware im Discounter kaufen kann, ungleich höher. Das ist seit einigen Monaten anders.

Bei Simon Kaiser sieht das dann so aus: Auf der Karte, die jeweils ein vegetarisches und ein nicht-vegetarisches Sechs-Gang-Menü anbietet, finden sich Zutaten von bis zu einem Dutzend Höfen aus der Region. Statt Steinbutt und Langustinos gibt es Felchen aus dem Bodensee und Garnelen aus dem Allgäu, statt Rinderfilet auch mal geschmortes von Nachbars Schaf oder den Rücken einer alten Schweinerasse.
Küchenchefs netzwerken untereinander
Kaiser tauscht sich regelmäßig mit Kolleginnen und Kollegen, die sich in der Chef Alliance der Lebensmittelorganisation Slow Food zusammengeschlossen haben aus. 64 sind da, seit fünf Jahren gibt es die in Deutschland. Neben Kaiser gehören auch der Hamburger Shooting-Star Sebastian Junge oder der Hubert Hohler, Küchenchef der renommierten Überlinger Buchinger-Wilhelmi-Klinik – einem beliebten Manager-Retreatment am Bodensee – zu diesen Kollegen.
Landwirte erzeugen eine Vielfalt an Produkten, Köche zaubern daraus Gerichte, machen diese bekannt. Gäste lernen dies schätzen und fragen die Produkte verstärkt nach. Das ist, stark vereinfacht, eines der Kernanliegen der Chef Alliance. „Nicht zuletzt die Lockdowns während der Corona-Pandemie haben vielen von uns verdeutlicht: Restaurants und Lokale sind mehr als „nur“ Orte des Essens und Genießens; sie sind Orte für soziales Miteinander und kulinarische Schaufenster
einer Region“, sagt Alliance-Leiterin Luka Lübke, die in Norddeutschland kocht. „Hier machen sie ihren Gästen klimafreundliche Ernährung schmackhaft und bieten ihnen Genuss, aus dem eine ganze Menge Verantwortung wächst.“
Und das geht am einfachsten mit Produkten, die aus der Region direkt in die Küchen kommen. Gastronom Simon Kaiser etwa kauft bei 15 bis 20 Erzeugern am Handel vorbei direkt seine Waren ein. „Am erfolgreichste und harmonischsten ist das, wenn beide Seiten Interesse haben, was der jeweils andere macht. Das passiert bei immer mehr Erzeugern, dass die wissen wollen: Was passiert mit meinen Produkten“, sagt er. „Ich mach das gerne, mich am freien Tag damit zu beschäftigen, was gibt es denn jetzt gerade?“
Mittlerweile muss auch kein Landwirt mehr bei ihm klingeln, wenn er Salat verkaufen will. Es ist eher Simon Kaiser, der bei nachfragt. So kam neulich etwa Vulkanspargel auf die Menükarte. Oder oberschwäbische Artischocken, die ins Menü sollten. Baut in der rauen Gegend kein Mensch an. Heinrich Baur hat’s gemacht. 50 Stück hat er im Spätsommer geerntet. Nicht die Welt, aber genug, um sie als Spezialität auf die Menükarten zu nehmen.
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