Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Studie Wie sich Fehltage in Unternehmen reduzieren lassen

Wo Unternehmenskultur fehlt, geht auch betriebliche Gesundheitsförderung nach hinten los: Die Krankmeldungen steigen trotzdem. Wie es auch anders geht.
20.04.2019 - 17:42 Uhr Kommentieren
Die veränderte Arbeitswelt ist Hauptursache für die hohen Krankenstände. Quelle: dpa
Druck im operativen Bereich

Die veränderte Arbeitswelt ist Hauptursache für die hohen Krankenstände.

(Foto: dpa)

Hamburg Heute Nordic Walking, morgen „Business-Yoga“, übermorgen Resilienztraining: Mal abgesehen von den Kosten lauern hinter dem sperrig-funktionalen Begriff „Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM)“ mit allerhand Kennzahlen nicht selten
irgendwelche Programme, die wenig mit wirkungsvollen Strategien für ganzheitliche Prävention zu tun haben, aber mit der unausgesprochenen Absicht, die Leistungsschraube bei den Mitarbeitern anzuziehen.

„Das Geld können Betriebe und Krankenkassen vermutlich sparen“, sagt Sabine Hammer. Die Professorin für Sozialforschung an der Hochschule Fresenius in Idstein/Taunus hat mit einem wissenschaftlichen Team Ende 2018 eine – noch nicht veröffentlichte – Untersuchung zum Thema Mitarbeiterzufriedenheit und Krankmeldungen abgeschlossen.

Ein Ergebnis lautet: Wenn Beschäftigte das Gefühl haben, dass Unterstützung beim Stressbewältigen nur im Sinne einer Regeneration angeboten wird, um danach noch leistungsfähiger zu sein, kann das nach hinten losgehen, ähnlich bei wie Sport- oder Ernährungsprogrammen. Mitarbeitergesundheit ist vielmehr ein Schlüsselfaktor einer „gesunden“ Führungskultur. Führungskräfte sind wichtige Vorbilder, wenn es darum geht, Maßnahmen für die Gesundheit zu nutzen und auch zu leben.

Für die Studie wurden in sechs deutschen Großunternehmen ausführliche Interviews mit 180 Angestellten aus Handwerk, Personentransport, Reinigung und Service geführt. Die Zahl ist zwar nicht repräsentativ, allerdings haben die Unternehmen den Forschern tiefe Einblicke ermöglicht und sie unterstützt, gezielt „Schwachstellen“ zu identifizieren.

Somit spiegeln sich recht gut die Erhebungen großer Institute wie das Statistische Bundesamt oder auch Krankenkassen. Demnach ist die Quote der Krankschreibungen in den vergangenen zehn Jahren um rund 30 Prozent gestiegen. Erkrankungen des Muskel-
Skelettsystems, psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen sind die häufigsten Ursachen, letztere haben gegenüber 2008 um 125 Prozent zugelegt.

Der volkswirtschaftliche Schaden ist immens. Durchschnittlich 17,5 Ausfalltage pro Arbeitnehmer entsprachen 2016 laut der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin einem Ausfall an Bruttowertschöpfung von rund 133Milliarden Euro. Und dies, obwohl Unternehmen und Krankenversicherungen im selben Jahr die Rekordsumme von knapp 6,5 Milliarden Euro für die betriebliche Gesundheitsförderung ausgegeben und in Maßnahmen wie Gesundheitstage, Stressmanagement, Entspannungs- und Fitnessangebote investiert haben.

Was ist da los, warum versagt das BGM? Aus Sicht von Sabine Hammer nehmen die untersuchten Gruppen derartige Aktivitäten häufig als unpassend wahr und empfinden sie teilweise als Bevormundung oder Einmischung des Arbeitgebers. „Das lässt sich einfach nachvollziehen, wenn zum Beispiel einem körperlich hart arbeitenden Angestellten Fitnesstrainings als besonderes Angebot angekündigt werden“, sagt Hammer im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Die Sozialforscherin sieht die Ursachen für hohe Krankenstände nicht primär im Gesundheitsverhalten der Arbeitnehmer, sondern in der veränderten Arbeitswelt. Es ist der Effizienzdruck, der auf Firmen lastet und im operativen Bereich besonders spürbar wird: „Unter Effizienzdruck verstehen wir hier, dass Unternehmen ihre Prozesse und Ergebnisse stetig optimieren müssen, also Umsätze steigern und Investitionen gering halten.“

Würden die Mitarbeiter erleben, dass der Druck durch Personalmangel oder -kürzungen, Einsparungen und gestiegene Produktionsanforderungen höher wird, ihre daraus resultierende Mehrarbeit jedoch nicht gewürdigt oder entlohnt wird, steige das subjektive Stressempfinden bei gleichzeitig sinkender Bereitschaft, sich besonders für den Arbeitgeber einzusetzen – zum Beispiel trotz Kopfschmerzen zu arbeiten. Heutzutage würden sie nicht nur häufiger krank, sondern sich auch bei einer „Befindlichkeitsstörung“ eher dafür entscheiden, krankgeschrieben zu Hause zu bleiben.

„Für unsere Gesprächspartner war entscheidend, dass sie das Gefühl haben, mehr zu leisten als sie zurückbekommen“, so Sabine Hammer. Selbstverständlich gäbe es in jedem Unternehmen Leute, die wenig motiviert sind oder zu hoher Klagsamkeit neigen. Die Wissenschaftler hatten jedoch den Eindruck, dass die Befragten grundsätzlich gern arbeiten, stolz sind auf ihre Fähig- und Fertigkeiten. Entsprechend würden sie unter geringer Wertschätzung leiden. „Diese Wahrnehmung ist sehr gut untersucht und erhöht das Risiko erheblich, langfristig krank zu werden.“

Was können Unternehmen also tun, damit sie der Gesundheit und Zufriedenheit ihrer Beschäftigten nicht schaden, sondern im Gegenteil die Zahl der Fehltage reduzieren, bestenfalls minimieren? Prof. Dr. Hammer ist überzeugt: „Die größte Herausforderung wird sein, den Effizienzdruck zu kanalisieren.“

Führungskräfte als Schlüsselakteure

Dies funktioniere nicht ohne Investitionen, vor allem in mehr Personal. Wo das bedingt durch Fachkräftemangel nicht ohne weiteres möglich wäre, sollte unbedingt versucht werden, die Rahmenbedingungen so gut es geht zu optimieren. Schlüsselakteure bleiben die Führungskräfte: Wichtige Hebel seien Organisation, Kommunikation, Information, Vernetzung sowie eine Kultur, die Orientierung vermittelt und Mitsprache einbezieht.

Und sonst? Haben sich aus der Auswertung der Untersuchung folgende Themen als zentral herausgestellt:

Wertschätzung: Mitarbeiter fühlen sich wohl, wenn sie einen Ansprechpartner haben, der gut erreichbar ist, grüßt, ihren Namen kennt und sich Zeit nimmt für die eigentlichen Personalführungsaufgaben: Rückmeldungen, Entwicklungsgespräche, regelmäßiges substanzielles Feedback, positive Fehlerkultur. Sabine Hammer: „Laut Studie können viele ihre Vorgesetzten selten sehen oder erreichen.“

Soziale Bindung: Zufrieden sind Beschäftigte, wenn sie ihre Arbeit in der notwendigen Zeit erfolgreich erledigen können, hierbei die Stimmung zwischen den Kollegen positiv ist, und sie bestenfalls noch vom Chef gelobt werden. Eins wie das andere gilt als wertvolle Ressource, die sich günstig auf die Motivation und Identifikation mit der Firma auswirkt. „Das gelingt am ehesten in kleinen, festen Teams und mit einer Teamleitung, die genug Zeit hat, zu kommunizieren und zu unterstützen.“

Zeit für Gespräche: Ein unterschätzter Faktor ist Zeit für Austausch zwischen Führungskräften und Mitarbeitern sowie Engagement bei sozialen Bedürfnissen, wie Kontakt der Mitarbeiter untereinander. „In diesem Sinne haben kleine Feste, zum Beispiel ein Sommerfest oder die Weihnachtsfeier, eine wesentlich größere Wirkung als die Gesundheitstage in der Kantine. Wichtig: Die Finanzierung sollte vom Arbeitgeber allein getragen werden.“

Kommunikationshürden analysieren: Mitarbeiter kämpfen oft mehr mit dem erzeugten Druck, als mit der realen Arbeitslast. Das heißt, selbst wenn ein Arbeitgeber auf eine wertschätzende Firmenkultur setzt, kommt diese bei ihnen oft nicht an. Druck und geringe Anerkennung erleben sie eher vonseiten höherer und mittlerer Führungsebenen, weniger von direkten Vorgesetzten. Die kennen und verstehen die Situation der Kollegen meist. „Ein Schritt zur Verbesserung wäre die Analyse, auf welchen Hierarachiebenen sich Kommunikationshürden manifestieren und warum.“

Angemessene Arbeitsmittel: Relativ einfach lässt sich das Arbeitsumfeld verschönern: Eine moderne Ausstattung, intaktes und neues Material, gepflegte Räumlichkeiten und gegebenenfalls Berufskleidung werden als Wertschätzung wahrgenommen. Alles andere wirkt demotivierend. „Diesbezügliche Mängel gelten allgemein als Zeichen der Geringgeschätzung.“

Wenn schließlich noch Budget übrig ist dafür, etwas für die Gesundheit zu tun, können die Angestellten im Vorfeld gefragt werden. Auf diese Weise lassen sich relevante Handlungsfelder ermitteln, evidenzbasierte und vor allem sinnvolle Maßnahmen
zielgerichtet angehen und schließlich niedrigschwellig anbieten. So können alle profitieren, Häuptlinge und Indianer.

Startseite
0 Kommentare zu "Studie: Wie sich Fehltage in Unternehmen reduzieren lassen"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%