Wertanlage Wie ein 140.000 Euro teurer Brief eine Handtasche zum Anlageobjekt macht

Drei Quadratzentimeter misst das eingearbeitete Stück eines Originalbriefes, den Queen Victoria 1855 an Henry Lord Hardinge schrieb.
(Foto: Uli Funke)
Düsseldorf Vor einer Woche hatte Thomas Huber ein sehr befriedigendes Schlüsselerlebnis. Bei einer Versteigerung von Schmuck, Mode und Luxusaccessoires wechselte eine seiner „Mistery Bags“ für 7000 Euro den Besitzer. „Limitiert auf 33 Stück, erschienen Mai 2019. Ausverkauft. Startpreis inkl. Aufgeld: 1200 Euro“ beschrieb das Stuttgarter Auktionshaus Eppli die edle Handtasche mit dem Markennamen Sekrè. Ihr Verkaufspreis lag noch im Frühjahr, als sie auf den Markt kam, bei 2450 Euro. Damenhandtaschen, die sich zum wertstabilen Anlageobjekt entwickeln – gemessen am Stuttgarter Erfolg könnte Hubers Konzept aufgehen.
Edles Design, hochwertige Materialien und aufwendige Verarbeitung haben auch die luxuriösen Taschen von Dior, Gucci oder Hermès. Doch Thomas Huber, Chef der erst vor gut einem Jahr gegründeten Gesellschaft Mystery Bag International mit ihrer Luxusmarke Sekrè, hat noch ein Alleinstellungsmerkmal draufgesattelt: Jede Tasche veredelt ein 3 x 1 cm großes Stück eines historischen Briefes.
Im Fall des Stuttgarter Exemplars war es das Fragment des handgeschriebenen Briefes, den Queen Victoria am 26. November 1855 an Henry Lord Hardinge adressierte, den britischen Feldmarschall im Krimkrieg. Absender im Briefkopf: Windsor Castle.
Der Zuschlag ging an „eine Privatperson“, ließ sich eine euphorisierte Eppli-Sprecherin entlocken, die guter Dinge war, demnächst eine weitere Sekrè-Tasche anbieten zu können. „Alle anderen Taschen der Auktion von Chanel, Louis Vuitton, Gucci oder Hermès haben prozentual viel weniger erlöst“, sagte Thomas Huber mit Blick in die Ergebnisliste. „Zu diesem frühen Zeitpunkt werte ich das als starkes Signal für die Werthaltigkeit unserer Taschen.“
Denn sein Start-up hat der 59-Jährige erst vor einem guten Jahr gegründet. Im Mai kamen die ersten drei Editionen auf den Markt, darunter in einer Auflage von 33 Stück „Viva Victoria No. 1“ mit eben jenem Brief der britischen Königin. Nach Unternehmensangaben war sie nach wenigen Tagen ausverkauft. Auf 160 Exemplare bringt es dagegen „In Love with Countess Auguste No. 1“ mit Stücken eines Schreibens, das Preußen-König Friedrich Wilhelm III. 1829 an seine zweite, 30 Jahre jüngere Ehefrau schrieb.

Am Entwurf der Mystery Bag waren 160 Frauen beteiligt.
(Foto: Uli Funke)
In Hubers Businessplan stehen bis April 2020 13 weitere Editionen mit Briefen von Schauspielerin Marlene Dietrich, den Schriftstellern Alexandre Dumas und Charles Dickens oder des Fürsten von Metternich. Alle Artefakte liegen bereits im Tresor des Unternehmens. Die höchste Auflage hat derzeit die geplante Edition „Belle Femme du Monde No.1“ (Brigitte Bardot) mit 322 Exemplaren, die geringste „Christmas Dream No.1“ (Charles Dickens) mit nur 26 Taschen.
Die zunächst teuersten Exemplare werden je knapp 4000 Euro kosten, heißen „Giacomo Grande Seduttore“ und schmücken sich mit Stücken eines Briefs von Casanova aus dem Jahr 1791. Mit ihm übermittelte der Frauenheld am 3. Januar Neujahrsgrüße an den Grafen Collalto und beklagte sich dabei über die Kälte im böhmischen Schloss Dux, wo er seine Memoiren schrieb. „140.000 Euro haben wir für den Brief bezahlt“, rechtfertigt Thomas Huber den stolzen Taschenpreis, der schon fast den der kultigen wie raren Birkin Bag von Hermès erreicht. Die ist ab knapp 5000 Euro zu haben, aber eigentlich immer und überall ausverkauft.
Dass Glaubwürdigkeit Grundlage dieses Geschäftsmodells ist, versteht sich von selbst. Die Schriftstücke erwirbt Huber auf Auktionen, aus Sammlungen oder von renommierten Fachhändlern. Behilflich sind ihm Experten des Schweizer Bundesverbands Freier Sachverständiger, der internationalen Autograph Fair Trade Association oder der amerikanischen Professional Autograph Dealers Association. Die Organisationen beraten weltweit Museen beim Ankauf wertvoller Schriftstücke oder treten als Gutachter vor Gerichten auf.
Dass die historischen Artefakte zerschnitten werden und damit dem Urzustand unwiederbringlich entrissen sind, entsetzt Kunsthistoriker, die Hubers Konzept am liebsten verbieten lassen würden. Der entgegnet, dass sie meist in den Tresoren, Alben und Bilderrahmen vermögender Sammler oder privater Stiftungen aufbewahrt und weggeschlossen werden. „Damit sind sie der Öffentlichkeit für lange Zeit nicht mehr zugänglich.“
Nach der Zerstückelung werden die Fragmente in einem Acrylglas-Panel gegen UV-Strahlen, Feuchtigkeit und mechanische Beschädigungen gesichert und fest in die Handtaschen eingearbeitet. Den gesamten Prozess lässt Huber notariell überwachen.

„Die Tasche unterliegt keinen Modetrends“, sagt der Gründer des Start-ups Mystery Bag.
(Foto: Mystery Bag International)
So wird ein sonst verschlossenes Stück Weltgeschichte zwar öffentlicher, doch die Tasche heißt nicht ohne Grund „Mystery Bag“. Das Fragment ist stets unter der Lasche des Verschlusses eingearbeitet und damit nicht auf Anhieb sichtbar. „Die Besitzerinnen wollen es lieber als kleines Geheimnis behandelt wissen“, sagt Huber. Das hat sich beim Designprozess der Tasche herausgestellt, bei dem er das aus dem Automobilbau bekannte und im Fashion-Betrieb allemal unübliche Conjoint Measurement-Verfahren anwendete.
Das hieß in diesem Fall: 160 Frauen kamen an einen Tisch, als Grundlage ihrer Überlegungen diente eine Excel-Tabelle, in der die Features aller mehr als 1000 Dollar teuren Damenhandtaschen erfasst waren. Heraus kam ein rechteckiges Produkt mit drei Hauptfächern und zwei Henkeln, in die auch ein Laptop passt – und eben die Erkenntnis, dass die Frauen das eingearbeitete Artefakt nicht protzig zur Schau tragen wollen. „Die Tasche unterliegt keinen Modetrends“, sagt Huber. „Eine Mutter soll sie auch an ihre Tochter vererben können.“
Dass Huber die Sache so akribisch angeht, kommt von einem früheren Leben als Geschäftsführer der französischen Agentur Euro RSCG, die heute Havas Worldwide heißt. Anfang der Neunzigerjahre war er für das Below-the-Line-Geschäft in verschiedenen europäischen Ländern verantwortlich, unter anderem betreute die Agentur damals weltweit den Uhrenhersteller Swatch. Von Frankfurt aus führte die Agentur den „Swatch Collectors Club“, der das Sammelthema der Uhren gesteuert hat.
„Swatch-Chef Nicolas Hayek wollte die Uhren werthaltiger machen und hatte die Idee, sie in Sammler-Editionen zu vermarkten. Es gab einen riesigen Hype“, erinnert sich Huber. Der Gedanke daran, wie sich dieses Prinzip auf den Fashion-Markt anwenden lässt, ließ ihn nicht mehr los.

Die Briefe werden in 3 x 1 cm große Teile zerschnitten.
(Foto: Uli Funke)
Als „hochinteressant“ stuft Claudia Schulz den Ansatz von Mystery Bags ein. Die Mode- und Kommunikationsexpertin, die unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit für den Bundesverband der Schuh- und Lederwarenindustrie leitet, nennt Hermès als herausragendes Beispiel dafür, wie Verknappung im Modebereich ein Produkt werthaltiger macht. „Hermès stellt seine Taschen sehr selektiv her, das macht sie schon mal per se wertvoller“, sagt Schulz. „Man kann das mit hochwertigen Oldtimern vergleichen, die es ja auch nur in sehr begrenzten Stückzahlen gibt.“ Auch im Bereich von Sneakern sei diese Entwicklung zu beobachten.
Derzeit beschäftigt Huber sechs eigene und 22 externe Mitarbeiter, die unter anderem in Deutschland die Taschen produzieren – made in Germany also. Ende 2018 stieg Nordrhein-Westfalen über seine Förderbank als Gesellschafter ein, „das Land sieht eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine gute Rendite“, sagt Huber. Beteiligt sind zudem eine Deutsch-Schweizerische Holding und die Düsseldorfer Consultingfirma Unternehmensverkauf.
Derzeit bereitet das Start-up laut Huber eine zweite Kapitalrunde mit weiteren potenziellen Investoren vor. Im Zuge dieser Runde soll auch ein eher ungewöhnlicher Vertriebsweg für die Taschen ausgebaut werden: Huber will sie über Vermögensberater an die Frau bringen. Mit zwei Unternehmen, unter anderem dem Finanzkontor NRW in Krefeld, wurden laut Huber bereits Vertriebsvereinbarungen getroffen.
„Wegen der niedrigen Zinssituation nimmt die Nachfrage nach Sachanlagen als Alternative zu Wertpapieren deutlich zu. Das kommt unserer Strategie zugute“, sagt Huber. Verkaufsargument Nummer eins seien die eingearbeiteten Artefakte: „Dadurch sind unsere Taschen sehr stark limitiert und lassen sich nicht mehr nachproduzieren. Das macht sie besonders wertstabil.“
Viel zitiert ist in diesem Zusammenhang eine Untersuchung des US-Taschenhändlers Baghunter von 2016, die einen stabileren Wertzuwachs bei Handtaschen feststellte als bei Gold oder Aktien. Die Birkin Bag etwa von Hermès kam in dem berechneten Zeitraum von immerhin 35 Jahren auf eine Rendite von 14,2 Prozent; auch bei Turbulenzen an den Börsen nahm ihr Wert real nie ab. Stets lag der Ertrag zwischen 2,1 und 25 Prozent. Da konnten Gold und Aktien nicht mithalten.

140.000 Euro ließen sich Thomas Huber und seine Mitstreiter das Artefakt von 1791 kosten.
(Foto: Uli Funke)
Ein weiteres Plus: Luxushandtaschen lassen sich schnell zu Geld machen. Auf der Plattform Vestiaire Collective stand eine Birkin Bag gerade mal 17 Sekunden im Angebot, bevor sie verkauft war. Die bezahlten Preise steigen ohnehin ins teils Exorbitante. Eine Himalaya Birkin Bag aus mattweißem Krokodilleder, mit 18-Karat-Goldschnallen und diamantenbesetzten Henkeln verkaufte Christie’s in Hongkong vor zwei Jahren für umgerechnet 338.000 Euro.
Natürlich kennt auch Thomas Huber diese Preise. Einstweilen aber freut der Unternehmer sich noch über die 7000 Euro, die in Stuttgart bezahlt wurden. Genügend Strahlkraft zumindest für weitere Wertsteigerungen hat die Mystery Bag offenbar schon entwickelt.
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