Zum Tod von Gerd Müller Der Mann, den sie „Bomber der Nation“ nannten

München: "Servus Gerd" heißt auf der Anzeigetafel des Münchner Olympiastadions, wo Gerd Müller (l) an diesem Abend seine sportliche Karriere beendet.
München Die Aufnahme in die „Hall of Fame“, die Ruhmeshalle des Fußballkapitalismus, hat Gerd Müller nicht mehr mitbekommen. Er lebte mit Alzheimer und Demenz im Pflegeheim – der Mann, der einmal der „Bomber der Nation“ war, der Vollstrecker größter Erfolge der Nationalmannschaft und seines FC Bayern München in den 1960er- und 1970er-Jahren.
Es war die Zeit, in der plötzlich Firmennamen oder Logos auf den Trikots der Spieler zu sehen waren, die Stars des rollenden Geschäftsbetriebs bei Werbekampagnen bedeutender Unternehmen auftraten, man Schallplatten einspielte und auch die TV-Rechte des ganzen Ballwesens nicht mehr für einen Apfel und ein Ei zu haben war. Der Fußball war auf einmal nicht mehr nur „Proletensport“, sondern auch für Wirtschaft und Politik interessierte.
Mitten drin und eben doch nicht richtig dabei: Gerd Müller, der Junge aus Nördlingen, stämmig, wendig, gedankenschnell, ein Mittelstürmer, der schon in der Jugend und in unteren Spielkassen durch eine besondere Gabe auffiel: Tore zuverlässig zu liefern.
Diese Tore sollten eine steile Welt-Karriere ermöglichen, heraus aus ärmlichen Verhältnissen (Vater Fahrer, Mutter Putzfrau), heraus aus dieser bayerisch-schwäbischen Provinz und schufen dem Stürmer-Talent ein Millionen-Einkommen.
Das schafft normalerweise in der Wirtschaft keiner mit Hauptschule und Weberlehre. Aber der Fußball, das offenbar immer wichtiger werdende Nationalsymbol, machte möglich, was etwa in den USA afro-amerikanischen, diskriminierten Jung-Talenten in Sportarten wie Basketball oder Football gelang. In Deutschland „müllerte“ es plötzlich, ein neues Verb wie heute „googeln“ entstand. Denn der im November 1945 geborene „Star“ traf und traf.
Die Erfolge des FC Bayern fußen auf Müllers Toren
Der FC Bayern, zu dem der schüchterne Unbekannte aus Nördlingen 1964 für 4000 Deutsche Mark Ablösesumme gewechselt war, stieg dank seiner Tore 1965 in die Bundesliga auf, gewann dann später in Serie den DFB-Pokal und Meisterschaften sowie – von 1974 bis 1976 – dreimal hintereinander den Europapokal der europäischen Landesmeister.

Gerd Müller präsentiert den Europapokal der Landesmeister. Rechts neben ihm Franz Roth und Hans-Georg Schwarzenbeck.
Dabei hielt die bayerische Staatsregierung und die Patronatspartei CSU ganz erfüllt vom Prestige-Gefühl, die schützende Hand über Schwarzgeld- und Steuervergehen. Es müllerte ja so richtig schön.
Die Nation wiederum freute sich über den Gewinn der Europameisterschaft 1972 und der Weltmeisterschaft 1974. Nie hat eine deutsche Auswahlmannschaft besser gekickt. Zuvor schon, 1970 im Mexiko, war Müllers Stern im internationalen Geschäft aufgegangen: Müller schoss zehn Tore in sechs Partien und schoss Deutschland zu dritten Platz.

Gerd Müller (in weiß, Nummer 13), trifft im Weltmeisterschaftsendspiel unnachahmlich aus der Drehung zum Sieg.
Vier Jahre später erkläre Müller, der Unbestechliche mit manchmal einfachem Gemüt, aber nicht unkompliziert, als Weltmeister sofort den Rücktritt aus der Nationalelf, da war er mit 28 im besten Fußballer-Alter. Dass der spießige Alt-Männer-Verein Deutscher Fußball-Bund zum Feiern des WM-Triumphs die Spielerfrauen nicht akzeptierte, hat ihn empört. Schließlich hatte Ehefrau Uschi großen Anteil an seinem Erfolg. Vielleicht spielte auch eine Rolle, dass just dieser DFB 1973 einen Wechsel Müllers zum FC Barcelona verhindert hatte, der die damals beträchtliche Ablösesumme von drei Millionen Mark bot.
Starrummel und die Schickimicki-Welt blieb Müller fremd
Der Verband, der die nationale Ehre in Gefahr sah, drohte mit einer Sperre für die WM 1974. Müller akzeptierte notgedrungen mit dem Hinweis, er vertrete entsprechend des Grundgesetztes den Standpunkt, „dass jeder Mensch in der Bundesrepublik das Recht der freien Berufswahl hat“.
Der Vereinskamerad Franz Beckenbauer, den sie später „Lichtgestalt“ oder „Kaiser“ nannten, war als Zimmerpartner bei der Vorbereitung für die WM 1974 ein wichtiger Impulsgeber für Müller gewesen. Gemeinsam besprach man Strategien, die den späteren Erfolg begründeten.

In den USA wurde Gerd Müller nicht glücklicht.
In der Vermarktung mögen Beckenbauer, aber auch Paul Breitner und Uli Hoeneß die besseren Geschichten zu bieten gehabt haben. Sie wirkten so cool wie die Rockbands, die damals die Bühnen stürmten. Müller jedoch blieb im Grunde immer der Aufrechte aus Nördlingen. Einer, den man unterschätzte, sei es im Leben, sei es auf dem Fußballplatz, wo er plötzlich den Hintern herausstreckte, den Ball sicherte, sich drehte und einschoss.
Klar, er hatte auch Schlager gesungen („Dann macht es Bumm“), aber der Starrummel und die Schickimicki-Welt Münchens blieben ihm doch fremd. „Es war ihm zuwider, diese ewige Selbstinszenierung und diese ewige Schaumschlägerei“, urteilt Biograph Hans Woller: „Das war nichts für ihn.“
Der FC Bayern fing nach seinen Alkoholproblemen auf
Den Rahm seiner Karriere wollte Müller von 1979 an in der US-Fußball-Operettenliga abschöpfen, mit einem gut dotierten Vertrag bei den Lauderdale Strikers aus Florida. Er blieb auch hier auftragsgemäß für zweieinhalb Jahre ein zuverlässiger Tore-Lieferant. Das Experiment, es ganz ohne Englischkenntnisse in den erfolgsmanischen Staaten zu versuchen, hatte sich gelohnt. Danach jedoch reüssierte er als Restaurantbesitzer in Florida weniger – sein Platz war im Strafraum, nicht im Schankraum.

Gerd Müller und Namensvetter Thomas Müller im Jahr 2009.
1984 kehrte Gerd Müller nach Deutschland zurück, und seine Alkoholprobleme kamen immer stärker zum Vorschein. Erst durch die Hilfe der einstigen Mitspieler Hoeneß und Beckenbauer fasste Müller wieder Tritt. Der FC Bayern verpflichtete ihn von 1992 an als Stürmer- und Torwarttrainer – bis zum gesundheitsbedingten Ausscheiden 2014.
Im Fußballkommerz fiel er noch mal auf, als er 2010 mit dem jungen Thomas Müller (weder verwandt, noch verschwägert) einen Werbespot für Müller-Milch aufnahm, ganz nach dem Slogan: „Alles Müller oder was?“
Fußball-Deutschland trauert um Gerd Müller
Am frühen Sonntagmorgen ist der Mann, der für Klein-Erna aus Bottrop „kleines, dickes Müller“ war und für die Nation ein Rekord-Torschütze, im Alter von 75 Jahren gestorben. Die Nachrufe geben ein Gefühl von jener Zeit wider, in der ein „Messi-Wahn“ (der Hype um einen 34-jährigen Spieler) und die Übernahme eines Volkssports durch Petro-Dollars (Manchester City, Paris Saint-Germain) weit entfernt waren.
Müller sei „eine der größten Legenden in der Geschichte des FC Bayern“, sagt Vorstandschef Oliver Kahn: „Seine Leistungen sind bis heute unerreicht und werden auf ewig Teil der großen Geschichte des FC Bayern und des gesamten deutschen Fußballs sein.“
Vom „größten Stürmer, den es je gegeben hat“ und einer „Persönlichkeit des Weltfußballs“ spricht Aufsichtsratschef Herbert Hainer, ohne Gerd Müller wäre der FC Bayern „heute nicht der Klub, wie wir ihn alle lieben.“
Wenn es nicht so ums Geld ginge in diesen Zeiten, müsste die „Allianz-Arena“ in München vielleicht irgendwann „Gerd-Müller-Stadion“ heißen. Das würde passen zu einem Mann, um den herum so etwas wie „Fußball-Romantik“ war.
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Naja, "Gerd-Müller-Stadion" ist wohl unrealistisch, aber eine "Gerd-Müller-Str." sollte doch drin sein.
Ulli Hoeneß ist zweifellos umstritten und hat Fehler begangen, diese "Rettungsaktion" Müllers zeigt jedoch wie groß sein Herz wirklich war und ist. Danke dafür.