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BCG, McKinsey & Co.Wie sich Berater unersetzlich machten

Mariana Mazzucato und Thomas Deelmann analysieren in ihren Büchern die Beratungsbranche. Sie rechnet mit Praktiken ab, er gibt Handlungsempfehlungen für einen besseren Umgang.Tanja Kewes 18.04.2023 - 11:14 Uhr Artikel anhören

Berater sind eine kleine Berufsgruppe. Jedoch haben sie einen sehr großen Einfluss – zu groß, wenn es nach den Autoren geht.

Foto: Getty Images

Düsseldorf. Es ist eine Berufsgruppe, die fasziniert: die Berater. Laut dem Branchenverband BDU gibt es gerade einmal 173.000 Berater in Deutschland. Das ist nicht einmal ein halbes Prozent der Erwerbstätigen. Ihr Beitrag zur Wirtschaftsleistung ist mit knapp 44 Milliarden Euro Geschäftsvolumen im Jahr 2022 aber relativ betrachtet ungleich größer – und ihr Image schillernd. Die Berater sind eine kleine Gruppe mit großem Einfluss.

Da wundert es nicht, dass nun erneut – nach der Skandalsammlung „Schwarzbuch McKinsey“ Ende vergangenen Jahres – zwei Bücher erscheinen, die sich die Branche vornehmen. Das eine, mit einem internationalen, grundsätzlicheren Ansatz, hat keine Geringere als Starökonomin Mariana Mazzucato geschrieben, gemeinsam mit ihrer Doktorandin Rosie Collington. Das andere, mit einem nationalen, nutzerorientierteren Ansatz, stammt von Managementexperte Thomas Deelmann. Gemeinsam haben sie, dass sie mit der Branche hart ins Gericht gehen.

Wie der Untertitel „Wie die Beratungsbranche unsere Unternehmen schwächt, den Staat unterwandert und die Wirtschaft vereinnahmt“ von Mazzucatos „Die große Consulting Show“ schon vermuten lässt, ist ihr Buch eine sehr kritische Auseinandersetzung, vielleicht sogar Abrechnung mit der Branche.

Berater sind eine kleine Gruppe mit großem Einfluss

Auf mehr als 300 Seiten zeichnen Mazzucato und Collington ein düsteres Bild der aktuellen Situation: „Der Umfang der Verträge mit Consultingunternehmen – als Berater, Legitimatoren kontroverser Entscheidungen und bei der Übernahme ausgelagerter Aufgaben – schwächt unsere Unternehmen, infantilisiert unsere Regierungen und verzerrt unser Wirtschaftsgefüge.“

Ausgehend von zahlreichen, in die Kritik geratenen Einsätzen von Beratern in den USA, Frankreich, Großbritannien und auch Deutschland schlussfolgern die Autorinnen, dass „der kumulative Einsatz großer Consultingunternehmen“ „die Innovation und Kapazitätsentwicklung hemmt“, „die demokratische Rechenschaftspflicht untergräbt“ und „die Folgen von politischem und unternehmerischem Handeln verschleiert“.

Mariana Mazzucato, Rosie Collington: Die große Consulting Show Campus Verlag Frankfurt 2023 328 Seiten 26 Euro Übersetzung: Ursel Schäfer, Enrico Heinemann Foto: Handelsblatt

Eine nicht weniger kritische, aber nutzerorientierte Analyse der Beraterzunft liefert Thomas Deelmann. Der 45-Jährige ist Professor für Management und Organisation an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Bonn und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Beraterbranche. Vor seiner wissenschaftlichen Karriere war er in den 2000er-Jahren bei der Deutschen Telekom unter anderem als Manager für den Einkauf von Beratungsleistungen mitverantwortlich.

Von der Berater-Suche zur Berater-Sucht

In seinem Buch „Die Berater-Republik“, das am 18. April erscheint, beschreibt er, wie es Beratern in den vergangenen Jahrzehnten gerade in Deutschland gelungen ist, Milliarden Euro am Staat und an Unternehmen zu verdienen. Seine plakative Frage: ob die Berater „Helden, Helfer oder Halunken“ sind.

Seine Rechnung: Der Umsatz von Consultants mit ihren Kunden in Deutschland habe 2021 rund 40 Milliarden Euro betragen. Analysten zufolge läge die durchschnittliche Gewinnmarge – die je nach Größe und auch Internationalität der Beratungsfirma schwanke – zwischen zehn und 25 Prozent. Selbst bei der konservativen Betrachtung von zehn Prozent seien dies vier Milliarden Euro. Bei 20 Prozent wären es acht Milliarden Euro Gewinn pro Jahr für die Branche.

Wie das gelungen sein soll, das beschreibt Deelmann auf sehr anschauliche und kurzweilige Art. Er legt dar, wie im öffentlichen Sektor aus einer „Berater-Suche“ die „Berater-Sucht“ wurde, bricht das Geschäftsmodell der Beratungsfirmen auf die drei K „Kompetenz, Kunde, Kompensation“ herunter und die Beweggründe für die Beauftragung von Beratern auf die drei B „Brain, Body, Brand“. Demnach werden sich Berater geleistet, um Ideen, Arbeitskräfte und Argumentationshilfen zu erhalten.

Beide Bücher treffen die Branche in einer schwierigen Phase. Das Geschäft der Berater ist in den vergangenen Jahren – nach dem Corona-Schock – stark gewachsen. Vor allem die drei international führenden Strategieberatungen McKinsey, Boston Consulting und Bain legten in den Jahren 2021 und 2022 kräftig zu und stellten jeweils Tausende von neuen Beratern und Mitarbeitern ein.

Sie verdienten sich dabei nach Aussagen von Branchenanalysten wie Beratungsprofessor Dietmar Fink von der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management und Beratung (WGMB) aus Bonn mit Margen von bis zu 60 Prozent sogar „dumm und dusselig“.

Boston Consulting Group, McKinsey & Co.: Bücher treffen Berater ins Mark

Dieser Boom scheint nun zu Ende zu gehen. Die jüngsten Geschäftszahlen sind gut, aber nicht mehr rekordverdächtig. Die Boston Consulting Group legte zuletzt international nur noch um elf Prozent auf 11,7 Milliarden Euro zu, und die weltweite Nummer eins, McKinsey, überprüft derzeit das eigene Geschäftsmodell und schließt erstmals Entlassungen nicht aus.

Vor diesem Hintergrund dürften die beiden Bücher die eigentlich so stolze und selbstsichere Branche ins Mark treffen und ihren Kritikern neue Argumente liefern – zumal sowohl Mazzucatos Worte als auch Deelmanns Einschätzungen durchaus Gewicht haben.

Deelmann ist ein intimer Kenner der Branche, insbesondere was die Beraterengagements bei der öffentlichen Hand in Deutschland betrifft. Und die 54-jährige, italienisch-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Mazzucato erhielt für ihre Bücher zahlreiche Auszeichnungen, darunter 2018 den Leontief-Preis, 2019 den alternativen Nobelpreis und 2021 den Adam-Smith-Preis für marktwirtschaftliche Umweltpolitik.

Im Oktober 2022 ernannte sie Papst Franziskus zum ordentlichen Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben. Zudem ist sie Vorsitzende des Economic Council on Health for All der Weltgesundheitsorganisation.

Deutliche Worte zur Beraterbranche von Mariana Mazzucato

Entsprechend deutlich sind die Worte Mazzucatos und ihrer Co-Autorin Collington: Bei der großen Consulting-Show gehe es zwar „nicht um kriminelle Handlungen“, aber um „Bauernfängerei“. Dabei gebe es den sogenannten „Vertrauenstrick“, den Berater einsetzen würden, um „Aufträge von ausgehöhlten und ängstlichen staatlichen Institutionen“ zu bekommen sowie „von Unternehmen, die nur die Maximierung des Share‧holder-Value im Auge“ hätten.

Thomas Deelmann: Die Berater-Republik Finanzbuch Verlag München 2023 256 Seiten 22 Euro Foto: Handelsblatt

Deelmann beschreibt in seinem Buch nicht nur die in die Kritik geratenen Fälle wie die Berater-Affäre im Bundesverteidigungsministerium, er zeigt auch typische Mechanismen auf. Dazu gehöre etwa die sogenannte „Kettenbeauftragung“. Das seien Aufträge, die sich an einen vorangegangenen oder einen noch laufenden Auftrag fast zwingend anschließen würden. Solche Folgeaufträge wären „der vertriebliche Traum eines Beraters“, schreibt Deelmann.

Erstaufträge würden deshalb gerne häufig niedriger bepreist oder die Berater gingen mit sogenannten Studien erst einmal ohne Entgelt in die Vorleistung, um einen Fuß in die Tür zu kriegen.

Angesichts solcher Praktiken sieht Deelmann „die ernste Gefahr, dass sich die Berliner Republik noch deutlicher zu einer Berater-Republik wandelt“. Auch wenn der Rückgriff auf externe Unterstützung nicht per se schlecht oder verwerflich sei, müsse er doch mit der nötigen Kompetenz auch aufseiten der Kunden erfolgen.

Entsprechend fordert Deelmann, dass die Kompetenz für einen sinn- und maßvollen Einsatz von Beratern in den Ministerien und Verwaltungen steigen müsse. Davon werde es abhängen, ob „die ‚fünfte Gewalt‘ unkontrolliert eine noch einflussreichere Rolle“ einnehmen werde oder ob sie als sorgfältig und sensibel gesteuerter Dienstleister staatlicher Akteure genutzt werde.

Consulting: Thomas Deelmann empfiehlt Checkliste

Ausgehend von der Erkenntnis, dass es ohne Berater auch nicht mehr gehe und Beamte und Berater wohl zu sehr Gefallen aneinander gefunden hätten, empfiehlt Deelmann, anhand einer Art Checkliste vorzugehen: „Consultants nur beauftragen, wenn die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit des Einsatzes nachgewiesen sind und keine Abhängigkeit aufgebaut wird; Beauftragung und Einsatz nachvollziehbar und transparent gestalten; Ergebnisse einzelner Beratungsprojekte, soweit möglich, veröffentlichen, Wirkungen und Ergebnisse des Beratungsmanagements offenlegen und kommunizieren.“

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So klar die Analyse von Mazzucato und Collington der von ihnen so benannten „Consulting Show“ auch ist, so bleiben sie ihren Lesern entsprechende Lösungsansätze leider schuldig. Das geben sie am Ende ihres Buches auch selbst zu.

Dort resümieren sie, dass „mit Kritik allein in der gegenwärtigen Lage wenig zu erreichen ist“. Sie fordern – und das ist durchaus auch selbstkritisch zu verstehen: „Wir müssen auch Alternativen zum Status quo entwickeln.“ Sie zeigen sich sicher, dass „wir es schaffen können“, dass „Regierungen, Unternehmen und Zivilgesellschaft kollektive Intelligenz“ fördern können. Wie das gelingen kann, schreiben sie jedoch nicht.

Denn, so sieht es auch Deelmann: „Die Berater sind ein Spiegel unserer Gesellschaft. Wir haben die Berater, denen wir, also unsere Eliten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, in den vergangenen Jahren vertraut“ und die wir „verpflichtet haben“. Und deshalb gelte letztlich: „Zur Rolle des Helden, des Helfers oder des Halunken gehören nämlich immer zwei. Oder anders ausgedrückt: In der Berater-Republik bekommt jeder Kunde den Consultant, den er verdient.“

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Erstpublikation: 16.04.2023, 11:23 Uhr.

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