Buchempfehlungen: Das sind unsere Favoriten aus dem Jahr 2023
Deutschland: Ost-West-Konflikt
Über wenige Veröffentlichungen wurde 2023 wohl so viel diskutiert: Dirk Oschmanns Buch ist eine kritische Analyse, die die westdeutsche Wahrnehmung und die daraus entstehende Identitätsfremdbestimmung im Osten dokumentiert und hinterfragt. Es erklärt, wie Vorurteile über den Osten entstanden und bis heute bestehen, immer noch Eliten formen und die Annahme von Herkunft behindern.
Dirk Oschmann: Der Osten – eine westdeutsche Erfindung.
Ullstein Verlag,
Berlin 2023,
224 Seiten,
19,99 Euro
Genau diese Identität ist aber Voraussetzung, um neue Narrative und vor allem Haltung zu entwickeln. Haltung, die es für die 2024 anstehenden Landtagswahlen unbedingt braucht. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Thema wird und darf uns nicht erspart bleiben, und Oschmann hat mit seinem Buch die Steilvorlage geliefert. Constanze Buchheim
Wirtschaftsgeschichte: Wenpos Traum von China
Es ist eine wirtschaftspolitische und zugleich sehr persönliche Geschichte, die Felix Lee in seinem Buch „China, mein Vater und ich“ beschreibt. Es ist die Geschichte seines Vaters Wenpo Lee, eines ehemaligen Mitarbeiters von Volkswagen.
Felix Lee: China, mein Vater und ich.
Ch. Links Verlag,
Berlin 2023,
256 Seiten,
22 Euro
Dieser war 1978 Leiter der VW-Forschungsabteilung – und einziger Chinesisch sprechender Mitarbeiter in Wolfsburg. Als eine chinesische Delegation spontan vor dem Werk stand, musste er übersetzen. Und wurde in der Folge zu einem der Architekten des Chinageschäfts von Volkswagen. Das Buch, ausgezeichnet als Wirtschaftsbuch des Jahres 2023, ist eine lesenswerte Mischung aus wunderbaren Anekdoten und geopolitischer Einordnung. Claudia Panster
Belletristik: Herzdame
Es ist ein Kammerstück, aufgeführt in einer Villa am Zürichsee: Ein Greis bittet einen jungen Mann in sein Haus, um seinen Nachlass zu regeln. Mit dabei, wenn auch nur in Öl auf Leinwand, seine vor 40 Jahren verschwundene Verlobte.
Martin Suter: Melody.
Diogenes Verlag,
Zürich 2023,
336 Seiten
26 Euro
Mit „Melody“ liefert der 75-jährige Autor Martin Suter erneut ein kritisches Gesellschaftsporträt. Was ist Schein, was ist Sein? Was geht mit dem Tod? Was bleibt? Dabei bedient er sich seines geübten Schlüssellochblicks in die Schweizer Oberschicht. Das Buch ist tiefsinnig und amüsant zugleich. Es bietet eine mitreißende Handlung, überraschende Wendungen und ein provozierendes Ende. „Melody“ ist ein Muss für alle Suter-Fans – und solche, die es werden möchten. Tanja Kewes
Medizin: KI im Gesundheitswesen
The AI Revolution in Medicine“ ist eine umfassende Analyse der Rolle der Künstlichen Intelligenz (KI) bei der Transformation des Gesundheitswesens. Das Autorenteam um Microsoft-Forschungschef Peter Lee legt in spannender Weise dar, wie KI genutzt werden kann, um die Patientenversorgung zu verbessern, Prozesse effizienter zu gestalten und die medizinische Forschung voranzutreiben.
Peter Lee, Carey Goldberg, Isaac Kohane, powered by Sam Altman: The AI Revolution in Medicine – GPT-4 and Beyond.
Englische Ausgabe.
Pearson,
London 2023,
122 Seiten,
22,47 Euro
Die Autoren zeigen, welche politischen Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen für die Nutzung von KI hilfreich wären, nehmen aber auch die kritische und nicht zuletzt ethische Diskussion über KI in der Medizin auf. Eine Pflichtlektüre für alle, die sich für die faszinierenden Möglichkeiten der KI in der Medizin interessieren. Philipp Rösler
Thriller: Digitale Spuren
Digitaler Fortschritt versus Datenschutz – darum geht es in „Going Zero“. Klingt trocken? Stimmt nicht! Mehr als spannend schildert Anthony McCarten in seinem Politthriller den Wettlauf einer Bibliothekarin gegen den mächtigsten Tech-Konzern der Welt. Insgesamt zehn Menschen inklusive der Bibliothekarin sollen 30 Tage lang unerkannt bleiben und keinerlei digitale Spuren hinterlassen.
Anthony McCarten: Going Zero.
Übersetzung: Manfred Allié.
Diogenes Verlag,
Zürich 2023,
464 Seiten,
25 Euro
Doch ist das in Zeiten von öffentlicher Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung und massenhafter digitaler Spuren im Netz überhaupt noch möglich? Wo liegt die Grenze zwischen Nutzen und Missbrauch von Daten? Ein Buch, das zum Nachdenken und Hinterfragen der eigenen digitalen Nutzungsgewohnheiten anregt. Victoria Wagner
Karriere: Der Lohn harter Arbeit
Mein erster Berufswunsch war Musiker, ich wollte Geige studieren und hatte in meiner Jugend auch einige kleinere Erfolge. Es gab unter meinen Freunden damals vor allem zwei Gruppen von Musikern. Die, die überdurchschnittlich talentiert waren. Und die, die überdurchschnittlich hart gearbeitet haben. Auf lange Sicht, das war die interessante Beobachtung, hat die zweite Gruppe die erste überflügelt.
Adam Grant: Hidden Potential.
Englische Ausgabe.
Verlag WH Allen,
London 2023,
304 Seiten,
30,74 Euro
Wir überschätzen tendenziell den Faktor Talent und unterschätzen, wie weit harte Arbeit einen Menschen tragen kann. In der Musik, aber auch bei allem anderen. Warum das so ist und mit welchen Strategien Menschen erfolgreich werden, beschreibt der weltbekannte Organisationspsychologe Adam Grant in seinem höchst lesenswerten Buch, das gerade auf Englisch erschienen ist. Sebastian Matthes
Novelle: Reise zu sich selbst
England 1946. Robert macht sich auf die Reise. Er will das Meer sehen, doch im Grunde flüchtet er vor dem Leben, das ihn in seiner Heimat erwarten würde. Ein Leben als Bergarbeiter, so wie sein Vater, Großvater und alle anderen Männer im Dorf. Er reist durch ihm unbekannte Gegenden und verdient sich als Tagelöhner.
Benjamin Myers: Offene See.
Übersetzung: Klaus Timmermann,
Ulrike Wasel.
Dumont Buchverlag,
Köln 2021,
272 Seiten,
13 Euro
Er trifft Menschen, die vom Krieg gezeichnet sind, während er selbst hungrig nach neuen Erfahrungen ist. Bei Dulcie Pipers bleibt er statt nur zur Tasse Tee gleich mehrere Wochen. Aus einer Reise, bei der er das Land kennenlernen wollte, wird eine Reise, bei der er sich selbst kennenlernt. Eine Geschichte über Beziehungen, das Leben, die Freiheit und die Kraft, sich selbst zu verwirklichen, die auch 2023 noch nichts von ihrer Faszination verloren hat. Janina Kugel
Emotionale Intelligenz: Maschinen mit Gefühl
„Menschenversteher“ von Kenza Ait Si Abbou ist eine faszinierende Auseinandersetzung mit der wachsenden Verflechtung von „emotionaler Künstlicher Intelligenz“ mit dem Alltag. Die Robotikexpertin zeigt, wie die fortschreitende Entwicklung der Künstlichen Intelligenz unsere Emotionen erkennt und nutzt.
Kenza Ait Si Abbou: Menschenversteher.
Droemer HC,
München 2023,
611 Seiten
256 Seiten,
20 Euro
Hochauflösende Kameras und Sensoren können heute Mimik, Gestik und Hirnströme analysieren.Die Relevanz erstreckt sich über den technologischen Diskurs weit hinaus. Das Buch wirft wichtige Fragen nach dem Nutzen und den potenziellen Risiken für das menschliche Miteinander auf, die nicht nur die heutigen, sondern insbesondere die nächsten Generationen betreffen. Hauke Schwiezer
Klassiker: Kampf um die Macht
Eine Wiederentdeckung: Deutschland in den 50er- und 60er-Jahren, die ungestüme Gründungsphase der Bundesrepublik, die geprägt wird von zwei Politikern, die charakterlich unterschiedlicher kaum sein konnten, die gemeinsam zunächst große Erfolge erzielten, ehe sie sich in einem kleinteiligen Machtkampf verzettelten: Die Rede ist vom ersten deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer und seinem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard.
Der „Kampf ums Kanzleramt“ des Berliner Historikers Daniel Koerfer ist im besten Sinne des Wortes ein hoch spannendes Lehrbuch über die politischen Zustände der jungen Bonner Republik und vor allem darüber, wie der fränkische Wissenschaftler Erhard zum Begründer der Sozialen Marktwirtschaft aufstieg – und in der Folge seine wettbewerbsrechtlichen Grundsätze immer wieder gegen Anfeindungen aus der Opposition, teils aber auch aus den eigenen Reihen ordnungspolitisch verteidigen musste.
Daniel Koerfer: Kampf ums Kanzleramt.
Benevento Verlag,
Elsbethen 2020,
992 Seiten,
32 Euro
Und sich dabei einen zermürbenden und fintenreichen Machtkampf mit dem mehr als 20 Jahre älteren Adenauer lieferte, der voller Argwohn die Popularität Erhards beäugte. In Gänze ein kolossales Werk von etwa 1000 Seiten, das kürzlich gründlich überarbeitet und um neue Aspekte ergänzt wurde (wie Erhards Rolle im Dritten Reich sowie die Einführung der bis heute gültigen dynamischen Rente) – und das „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein in seiner ersten Fassung 1987 wie folgt rezensierte: „Zwar wusste er (Adenauer, d. Red.), dass er irgendwann sterben würde, aber wie so viele bedeutende Leute wollte er unterstreichen, dass es für ihn keinen Ersatz gibt.“ Peter Brors
Biologie: Ein System der Schönheit
Nach „Der König aller Krankheiten“ (über den Krebs) oder „Das Gen“ hat der Pulitzerpreisträger Siddhartha Mukherjee ein neues Meisterwerk geschaffen. Er beschreibt darin die Entdeckung und Erforschung von Zellen – und warum sie die Basis von Leben und Krankheiten sind.
Siddhartha Mukherjee: Das Lied der Zelle.
Übersetzung: Sebastian Vogel.
Ullstein Verlag,
Berlin 2023,
672 Seiten,
32,99 Euro





In Zeiten rasanter Durchbrüche in der Zell- und Gentherapie sowie der Einzelzellen- und Räumlichen („Spatial“) Analytik ist dieses Buch von höchster Aktualität. Es ist bezeichnend, dass seine Bücher kaum Grafiken beinhalten. Selbst komplexeste Phänomene erklärt er klar – und führt in die Brillanz der Biologie, das komplexeste System, das die Menschheit kennt – ein System der Schönheit, Heroik und Tragik zugleich. Peer Schatz
Mehr: Aufsteiger, Absteiger, Visionäre – das sind die Menschen des Jahres im Überblick
Erstpublikation: 14.12.2023, 22:20 Uhr.





