Buchkritik Acht Bücher, ein Appell: Was wir gegen den Klimawandel tun können

Zu lange wurde der Klimawandel ignoriert.
Düsseldorf Alle scheinen sich einig, dass die Klimakrise das drängendste Thema ist, die wichtigste Aufgabe der kommenden Jahre. Ziele gibt es. Über den Weg aber gehen die Meinungen auseinander – wie ein Blick auf acht aktuelle Bücher zur Klimakrise zeigt.
1. Annette Kehnel: „Wir konnten auch anders“
Der Aachener Dom ist das beste Beispiel für Baustoffrecycling. Mehr als 20 verschiedene Naturwerksteine wurden verwendet, dazu zahlreiche großformatige Steine von älteren Bauten, die als sogenannte Spolien wiederverwendet wurden. So funktionierte Kreislaufwirtschaft schon im Mittelalter.
Der Aachener Dom ist nicht das einzige Beispiel aus der Historie, anhand dessen Annette Kehnel in „Wir konnten auch anders“ zeigt, was der Mensch aus seiner eigenen Vergangenheit in Sachen Nachhaltigkeit lernen kann. Klöster waren schon vor anderthalb Jahrtausenden eine Gemeinschaft, die sich in Sharing-Economy übte.
Schon in der Vormoderne zeugten Secondhandmärkte in Paris davon, wie die damalige Mode von Upcycling und Trödlern geprägt war. Und allen geläufig ist wohl der Philosoph Diogenes in der Tonne, der den freiwilligen Verzicht als Weg zur Freiheit und zum guten Leben begründete.
Historikerin Kehnel, die mit ihrem Buch auf der Shortlist des NDR-Sachbuchpreises steht, frönt jedoch keinesfalls einem „Früher war alles besser“. Sie will die Perspektive weiten, sich der Vergangenheit zuwenden, „um die Zukunft besser in den Blick nehmen zu können.

Annette Kehnel: Wir konnten auch anders.
Blessing
München 2021
488 Seiten
18 Euro.
Denn nichts sei problematischer als die „Kurzfristigkeit der Gegenwart“. Klar, das ist bequem, schließlich hat man sich in der Gegenwart ganz gut eingerichtet. Es hätte schlimmer kommen können. Aber wie könnte es bessergehen?
Fortschritt, Wachstum, Wohlstand – diese Zauberformeln aus dem 18. und 19. Jahrhundert sind laut Kehnel mittlerweile überholt. Die Zeiten des Homo oeconomicus, des rationalen Nutzenmaximierers, seien vorbei. Dabei sei nicht das Wirtschaften das Problem, „sondern unser eindimensionales Verständnis davon, was Wirtschaften heißt“.
2. B. Grant, T. Dougherty: „Unsere Erde vorher und nachher“
Benjamin Grant und Timothy Dougherty haben die Perspektive gewechselt. Sie blicken von oben auf die Erde – und zeigen anhand von 250 Satellitenaufnahmen, wie die Menschen die Welt verändert haben und wie diese dadurch ins Ungleichgewicht geraten ist.
Der Band ist Teil eines Projekts, das den Menschen den sogenannten Overview-Effekt nahebringen will: jenes Gefühl, das Raumfahrer empfinden, wenn sie aus dem All auf die Erde hinabblicken – voll Ehrfurcht und Dankbarkeit für den Planeten.

Benjamin Grant, Timothy Dougherty: Unsere Erde vorher und nachher. Deutsche Übersetzung: Nina Goldt.
Dumont
Köln 2021
288 Seiten
38 Euro
Entsprechend kommt das Buch ohne viele Worte aus, die Bilder sprechen größtenteils für sich. Sie zeigen, wie durch Brandrodung Agrarflächen entstehen, wie durch neue Staudämme ganze Landstriche mit der Zeit unter Wasser verschwinden, wie Ackerflächen und Wiesen innerhalb weniger Jahrzehnte Betonwüsten weichen mussten. Die Auswirkungen von Konsum, Urbanisierung, Transportwesen und Umweltkatastrophen werden hier auf einen Blick erschreckend sichtbar.
3. Akshat Rathi: „Klima ist für alle da“
Aber wo sind die Positivbeispiele? Hat sich wirklich noch nichts gewandelt? Doch, sagt Akshat Rathi, in London ansässiger Journalist bei Bloomberg News, der nicht nach Sündenböcken sucht, sondern nach Vorbildern. Nach jenen, die den Klimawandel als Chance begreifen, etwas besser zu machen.
In „Klima ist für alle da“ zeigt Rathi 60 junge Menschen aus 50 Ländern aller Kontinente. Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten, die als Vorbilder taugen. Jedem ist ein Kapitel gewidmet. Es sind engagierte, rührende, ermutigende Geschichten.
Von Raina Ivanova etwa, einer Schülerin aus Hamburg, die 2019 mit Greta Thunberg und 14 weiteren Jugendlichen in New York eine Beschwerde beim UN-Kinderrechtsausschuss einreichte. Von Lesein Mutunkei, einem Schüler aus Kenia, der jedes Mal, wenn er beim Fußball ein Tor geschossen hat, einen Baum pflanzt – und schon Hunderte überzeugt hat, es ihm gleichzutun.

Akshat Rathi (Hrsg.): Klima ist für alle da. Deutsche Übersetzung: Larissa Rabe.
Blanvalet
München 2021
320 Seiten
18 Euro.
Von Carlos Zackhras, Student von den Marshallinseln, dessen Heimat nur 0,00001 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verursacht. Aber in dessen Heimat die Menschen nicht nur gegen Dengue-Fieber und Grippe kämpfen, sondern auch mit den immer höher werdenden Wellen, die die Insel überschwemmen. Sie allein können das Klima nicht retten, das weiß auch Rathi, aber sie machen Mut – und stecken womöglich an.
4. Marc Engelhardt: „Die Klimakämpfer“
Manche Menschen „lamentieren nicht über drohende Gefahren. Sie warten nicht darauf, dass jemand anderes für sie aktiv wird. Sie lassen sich nicht lähmen aus Angst vor dem, was auf uns zukommt. Sondern sie kämpfen für das Klima, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln.“
Und genau dabei haben der freie Journalist Marc Engelhardt und seine Kolleginnen und Kollegen vom Journalistennetzwerk Weltreporter diese Menschen begleitet. Das Engagement gegen den Klimawandel, das wird in „Die Klimakämpfer“ deutlich, ist nicht nur Angelegenheit der jungen Generation.
Die Autoren berichten auch von Florence Nishida, 83, die den Menschen in ihrem Viertel in Los Angeles beibringen will, wie man Obst und Gemüse anbaut, um ihnen zu zeigen, wie sehr ihr Leben von dem der Erde abhängig ist. Oder von Seu Fiado, brasilianischer Kleinbauer ohne Schulbildung, der jahrelang mehr Wald rodete, um mehr Felder zu schaffen, dann aber anfing umzudenken.

Marc Engelhardt (Hrsg.): Die Klimakämpfer.
Penguin
München 2021
336 Seiten
16 Euro.
Der Titel erscheint am 9. November.
Heute hat er sich als Klimawärter verpflichtet, seine Plantage aufzuforsten, „gut ein Hektar Land, auf dem jetzt ganz natürlich CO2 in Sauerstoff umgewandelt wird.“ Fast alle Protagonistinnen und Protagonisten des Buchs verdienen mittlerweile ihr Geld mit dem Kampf gegen die Klimakatastrophe. Das macht Hoffnung, dass es sich lohnt, sich zu engagieren.
5. Fred Vargas: „Klimawandel – ein Appell“
Dabei ist das jetzige Leben auch gemütlich. „Wir würden gerne so weitermachen, denn es leuchtet ja ein, mit blinkenden Turnschuhen in ein Flugzeug zu steigen ist entschieden lustiger, als Kartoffeln zu hacken. Das auf jeden Fall. Aber nun sind wir angekommen. Bei der Dritten Revolution.“
Die Dritte Revolution, das ist für Fred Vargas der Klimawandel, den die Menschheit stoppen muss. Genau, die bekannte Krimiautorin aus Frankreich, die seit ihrer Rede beim Klimagipfel in Helsinki 2008 auch als wichtige Stimme des Klimaaktivismus gilt.
Vargas, promovierte Archäozoologin, hat diesen Text als Ausgangspunkt genommen für ihr Buch, in dem sie an die Menschen appelliert, sich selbst zu informieren und nicht alles einfach der Regierung zu glauben. Diese Trennung jedoch treibt sie etwas zu weit.

Fred Vargas: Klimawandel – ein Appell. Deutsche Übersetzung: Waltraud Schwarze.
Limes
München 2021
288 Seiten
14 Euro.
Wir, die guten Bürger, sie, die bösen Politiker – ist der Klimawandel nicht eher eine Gemeinschaftsaufgabe? Doch, das gibt dann letztlich auch die Autorin zu. Und stellt von der Bekämpfung des internationalen Steuerbetrugs bis zu Isolierschäumen in Gebäuden eine lange Liste an To-dos zusammen.
6. Elizabeth Kolbert: „Wir Klimawandler“
Und noch eine große Autorin: Elizabeth Kolbert, Pulitzerpreisträgerin. Die amerikanische Wissenschaftsjournalistin hält sich nicht mit langem Vorgeplänkel auf, sondern geht sofort rein in ihre Kapitelstruktur, für die sie sich der Elemente bedient – Wasser, Erde, Luft. Ihr Buch ist eine große Reportage, sie geht hin zum Problem, beobachtet, beschreibt. Wie die Menschen immer wieder die naturgegebenen Zustände an ihre Bedürfnisse anpassten. Und die Natur sich zurückholte, was sie braucht.

Elizabeth Kolbert: Wir Klimawandler. Wie der Mensch die Natur der Zukunft erschafft. Deutsche Übersetzung: Ulrike Bischoff.
Suhrkamp
Berlin 2021
239 Seiten
25 Euro.
Kolbert erzählt von einem Besuch in Islands Lavafeldern, wo Expertinnen und Experten um Edda Aradóttir versuchen, CO2 in Gestein zu speichern. Oder von Ruth Gates, die in einer Bucht nahe dem Marine Corps Base Hawaii daran forscht, stressresistente Korallenriffe für Australien zu züchten. Kolbert erlebt viele solcher Geschichten, mal Augen öffnend, mal Hoffnung gebend, die den Leser vor allem eines lehren: Demut.
7. Svend Andersen: „Der Weg aus der Klimakrise“
Die hat Svend Andersen schon von Berufs wegen. Andersen, ein in Kanada lebender Deutscher, ist Treibhausgasbuchhalter. Ja, diesen Beruf gibt es wirklich. Andersen hat sich den Klimaschutz zur Lebensaufgabe gemacht, beschäftigt sich tagtäglich „mit dem Kern des Problems“, mit den Emissionen, mit ihren Ursachen und mit Methoden, sie zu reduzieren.
Er blicke verwundert auf die Untätigkeit der Masse, schreibt er in „Der Weg aus der Klimakrise“. Womöglich sei es spannender, über Waldbrände zu berichten, Wirbelstürme oder Dürren. Doch dies seien Auswirkungen des Problems, nicht die Ursachen.

Svend Andersen mit Marc Bielefeld: Der Weg aus der Klimakrise.
Quadriga
Köln 2021
320 Seiten
20 Euro
Andersen berät mit seiner Agentur Städte, Gemeinden und Regierungen, wie sie das 1,5-Grad-Ziel einhalten können. In seinem Buch hat er nun alle aus seiner Sicht wichtigen Aspekte der Treibhausgasproblematik zusammengetragen – und nimmt dem Leser auch die Illusion, die Emissionen allein „durch unser persönliches Verhalten ausreichend reduzieren zu können“. Dazu brauche es eine größere Kraftanstrengung – von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Die Wege zeigt Andersen konkret auf.
8. C. Figueres, T. Rivett Carnac: „Die Zukunft in unserer Hand“
Das tun auch Christiana Figueres und Tom Rivett Carnac. Die Autorin und der Autor von „Die Zukunft in unserer Hand“ sind die maßgeblichen Architekten des Pariser Klimaabkommens von 2015. Figueres, Tochter des dreimaligen Präsidenten von Costa Rica, war sechs Jahre lang Generalsekretärin der UN-Klimarahmenkonvention. Rivett Carnac, britischer Umweltökonom, damals ihr leitender Berater.
Gemeinsam gründeten sie nach ihrer Zeit bei der UN das Beratungsunternehmen „Global Optimism“. Der Name ist Programm. Denn trotz aller Dramatik der Situation, so ihre Auffassung, müsse man eine Art mutiger Entschlossenheit an den Tag legen, um Herausforderungen bewältigen zu können.

Christiana Figueres, Tom Rivett Carnac: Die Zukunft in unserer Hand. Wie wir die Klimakrise überleben. Deutsche Übersetzung: Henning Dedekind, C.H. Beck.
Suhrkamp
München 2021
216 Seiten
22 Euro.
In „Die Zukunft in unserer Hand“ prägen sie entsprechend den Begriff des „sturen Optimismus“: Wenn alle mitmachen, könne das Projekt Klimawandel gelingen. Dafür entwerfen die Autoren einen konkreten Zehn-Punkte-Plan mit Vorschlägen, die jeder befolgen könne, gar solle. Für sofort, heute, morgen, diesen Monat, dieses Jahr, bis 2030.
Klimawandel sei nicht die Aufgabe einer einzelnen Person, einer einzelnen Nation, Klimawandel sei die Aufgabe der gesamten Welt. Seit ein Staat nach dem anderen das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet habe, sind die Autoren optimistisch, dass das Projekt gelingen kann. Wenn jeder seinen Beitrag leistet.
So praxisorientiert das Autorenduo über weite Strecken auch ist, am Ende fordert es den Leser ein wenig pathetisch auf, eine neue, ganz eigene Geschichte zu erzählen: „Die Geschichte unseres Überlebens. Und eines blühenden Daseins.“
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