Buchrezension Alexej Nawalny: Vom Kleinaktionär zum inhaftierten Oppositionsführer

Der russische Oppositionsführer ist Putins wichtigster Gegner.
Berlin Der Hochsommer bietet an Russland und an Wirtschaft interessierten Lesern nicht nur hochspannende Nachrichten aus dem Land vor einer weichenstellenden Dumawahl im September, sondern auch zwei lesenswerte Bücher: eines über den inhaftierten Oppositionellen Alexei Nawalny, eines mit Reden bei seinen Verurteilungen von ihm selbst. Sie ergänzen sich gut.
Denn das von drei Politikwissenschaftlern aus Deutschland, Frankreich und England verfasste Buch „Nawalny. Seine Ziele, seine Gegner, seine Zukunft“ liefert ein differenziertes und aufschlussreiches Bild des derzeit trotz seiner Inhaftierung wichtigsten Widersachers von Kremlchef Wladimir Putin. Aber es fehlt das ebenso beißende wie treffende Wort Nawalnys selbst, das in „Schweigt nicht! Reden vor Gericht“ dafür umfassend zu Gehör kommt.
Es gelingt den Autoren, Nawalny als „komplexe Figur“ vorzustellen und zu ergründen: von einem Kleinaktionär, der mit seinen furchtlosen Nachfragen auf Hauptversammlungen die mauernden Vorstandschefs großer russischer Konzerne in die Ecke treibt und zumindest kleine Blicke hinter die Mauern aus Korruption und Verschwendung firmeneigenen Kapitals erlaubt, bis hin zum wichtigsten Oppositionellen.
Der recherchiert mit seinem – inzwischen als „terroristisch“ (!) – verbotenen Anti-Korruptionsfonds die milliardenschweren Machenschaften führender Politiker aus dem Putin-Umfeld, ranghoher Beamter und der Oligarchen genannten Superreichen mit ihren Beziehungen zum Kreml und führt sie in spannend erzählten und gut belegten Videos einem immer wütender werdenden Volk im Internet vor. Denn in den zumeist staatlich kontrollierten Medien werden Nawalny und seine hervorragende investigative Enthüllungsarbeit totgeschwiegen.
„Um in diesem Umfeld ein ernsthafter Herausforderer der Macht(haber) zu werden, benötigt es Mut, Kreativität und Witz. Nawalny besitzt alle diese Qualitäten – und genau deshalb sticht er hervor“, attestieren ihm die drei Autoren. Und löblicherweise räumen sie auch mit der vom Kreml verbreiteten Behauptung auf, Nawalny sei ein rassistischer Ultranationalist.

Jan Matti Dollbaum, Morvan Lallouet, Ben Noble: Nawalny. Seine Ziele, seine Gegner, seine Zukunft.
Hoffmann & Campe
Hamburg 2021
288 Seiten
20 Euro
Um darzustellen, wie Nawalny zu einer „echten ,Alternative‘, einem Mutmacher, jemand, der die Fähigkeit hat, Menschen zu motivieren“, geworden ist, hätten dem analytisch starken Buch mehr Details von Nawalnys Aktivitäten, mehr Gespräche mit Mitstreitern des von ihnen als „kompromissloser Realist“ Bezeichneten gutgetan. Und eine weniger akademische Sprache.
Wie Nawalny in scharfzüngigen Plädoyers bei seinen jüngsten zwei Verurteilungen in Moskau die politisch gelenkte Justiz seiner Heimat ebenso markig wie juristisch feinziseliert auseinandernimmt, liest man in „Schweigt nicht! Reden vor Gericht“. Hier brandmarkt er Putin als „diebischen Opa, der in seinem Bunker sitzt und vor Angst schlottert“.

Alexei Nawalny: Schweigt nicht! Reden vor Gericht.
Droemer Knaur
München 2021
96 Seiten
8 Euro
Das Schlimmste, mahnt der frühere FDP-Innenminister Gerhart Baum, sei „das Vergessen“ der „Menschenrechtsverteidiger“ wie Nawalny, wenn sie jetzt lange im Gefängnis sitzen. Aber eben auch Nawalnys Erkenntnis: „Dieses Regime basiert auf Angst.“
In der Tat ist dies das Prinzip aller autoritären Herrscher, die wissen, dass ihre Macht sehr schnell zerbröselt, wenn die Unterdrückten ihre Angststarre überwinden. Diese Erkenntnis ist ebenso ernüchternd wie die Prognose der drei Politologen, dass Russland „zu einer voll entwickelten Diktatur zu werden“ droht.
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