Buchrezension Frauenquote, Shareholder Value, Coronakrise: Ex-Siemens-Chef von Pierer gibt Managementtipps

Zeitweise wurde der ehemalige Siemens-Chef sogar als Kandidat für das Bundespräsidentenamt gehandelt.
München Ein guter Anekdotenerzähler war Heinrich von Pierer schon immer. In seiner Zeit als Siemens-Chef schlurfte er gern abends noch durch die Gänge, setzte sich irgendwo dazu und erzählte Geschichten.
Oft handelten die von seinen Reisen nach Asien. Als die Verhandlungen in China mit dem Ministerpräsidenten Zhu Rongji über den Transrapid einmal stockten, sei er aufgestanden und habe seine leeren Hosentaschen nach außen gestülpt, um zu zeigen, dass nicht mehr herauszuholen sei. Das habe die Gastgeber amüsiert und überzeugt – man sei sich handelseinig geworden.
Diese Anekdote, die Pierer gern erzählte, findet sich auch in seinem neuen Buch. „Die Kunst des Machbaren“ heißt das Werk und verspricht „Lehrreiches und Heiteres aus dem Leben eines Topmanagers“. Eine gut lesbare Mischung aus Anekdoten und Management- und Verhandlungstipps ist es geworden.
Bescheiden solle ein Topmanager auftreten, empfiehlt er da, sich gut mit Assistenten und Betriebsräten halten und Unternehmensprogramme nicht um ihrer selbst willen auflegen, sondern um Innovationen voranzutreiben. Verhandlungen mit Chinesen – da brauche es viel Geduld – müssten anders geführt werden als mit Franzosen.
In den vergangenen Jahren hatte sich Pierer weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Als Tennisspieler geht er in seine 71. Verbandssaison, gelegentlich berät der Asienkenner Start-ups und andere Firmen, verbringt viel Zeit mit der Familie und folgt den Spielen des FC Bayern genau.
Es ist eine große Karriere, auf die der 80-Jährige nun zurückblickt. Pierer war der Modernisierer von Siemens, der Außenminister der deutschen Wirtschaft, sogar als Kandidat für das Bundespräsidentenamt wurde er zeitweise gehandelt.

Heinrich von Pierer: Die Kunst des Machbaren.
Redline Verlag
München 2021
192 Seiten
14,99 Euro
Im Zuge des Schmiergeldskandals musste er 2007 allerdings seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender räumen. Zwar war er nach allem, was man weiß, nicht persönlich in die Machenschaften verwickelt. Auch wurde ihm hierzulande keine Kenntnis nachgewiesen. Doch wurden die schwarzen Kassen im Konzern teilweise in seiner Zeit als Vorstandschef aufgebaut.
Bei Siemens war Pierer in der Zeit der radikalen Aufklärung zeitweise eine Art Persona non grata. Doch mit der Zeit rücken seine Verdienste wieder stärker in den Vordergrund.
Historisch gesehen seien die Umsätze unter Pierer am stärksten gewachsen, sagte Joe Kaeser bei seiner Abschiedsrede auf der Siemens-Hauptversammlung im Februar. „Auch deshalb, weil er früh die Potenziale des asiatischen Markts, vor allem des chinesischen, erkannte.“ Auch wenn „in den späten Teil seiner Amtszeit ein dunkles Kapitel der Unternehmensgeschichte fiel“, sei es doch angemessen, seine Lebensleistung ausdrücklich zu würdigen.
So sehen das inzwischen bei Siemens wieder viele. Und so werden manche vielleicht ein paar Tipps aus dem neuen Buch holen.
Mehr als mancher Managementcoach, erzählt er da zum Beispiel, habe ihm oft ein Spaziergang über den Markt in Erlangen oder ein Match auf dem Tennisplatz geholfen. „Weißt du eigentlich, was in deinem Unternehmen vor sich geht?“ Topmanager seien häufig vom wirklichen Leben und Geschehen im Unternehmen isoliert, lautet sein Urteil.
Auch über die Frauenquote (er sieht sie eher skeptisch), den Shareholder Value („Gute Ergebnisse werden sich nachhaltig nur dann einstellen, wenn eine zufriedene Belegschaft an die Zukunft ihres Unternehmens und ihrer Arbeitsplätze glaubt und entsprechend motiviert ans Werk geht“) und die Lehren aus der Coronakrise schreibt Pierer.
Dem Thema Schmiergeldskandal geht er nicht ganz aus dem Weg. Pierer spricht es aber eher am Rande an, zum Beispiel wenn er über sein Verhältnis zur Presse spricht.
Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ fragte Pierer kürzlich, ob ihn der Abschied 2007 geschmerzt habe. „Das ist Vergangenheit. Natürlich hätte ich mir nach der wirklich tollen Zeit ein anderes Ende gewünscht, aber ich habe mich damit arrangiert“, antwortete er. Er habe sich, statt jahrelang Prozesse zu führen, für ein selbstbestimmtes Leben entschieden und sich mit Siemens außergerichtlich geeinigt. „Das war die bessere Lösung, auch für Siemens.“
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