Buchrezension Paul Ziemiak und Georg Milde begeben sich auf eine Reise durch Deutschland

Für das Buchprojekt ist der CDU-Generalsekretär in einer Woche 3167 Kilometer durch Deutschland gereist.
Köln Die Sonne senkt sich schon, als Paul Ziemiak und Georg Milde sich aufmachen zum Hambacher Forst. Sie schreiben: „Nun ist es genau umgekehrt: Betraten Umweltaktivisten unlängst diskret die Berliner CDU-Zentrale für Protestaktionen oder seilten sich von deren Dach ab, so laufen wir nun ohne Ankündigung in den Wald der Aktivisten.“
Doch was sie vorfinden, ist eine „seltsame Ruhe im Wald: Die Aktivisten sind ausgeflogen, und wir laufen durch ihr Wohnzimmer.“ Ein einziges Pärchen begegnet ihnen. Mit dem Mann unterhalten sie sich ein wenig über das „System“, wie er es nennt, dann kehren sie um.
Es ist eine von 40 Stationen, die Ziemiak und Milde für ihr Buch „Was anders bleibt“ besucht haben. Die Idee: Ein Politiker (Generalsekretär der CDU) und ein Publizist fahren zusammen in einer Woche 3167 Kilometer, um sich ein Bild vom Zustand Deutschlands zu machen. „Eine Woche Fahrtwind und Zufälle statt Sitzungsroutine und Schreibtisch – ein großes Gefühl“, schreiben sie fast pathetisch.
Ganz so zufällig verläuft die Reise aber nicht. Einige Termine säumen den Weg der Autoren. Bei einem schwäbischen Mittelständler, der mit der Transformation seines Unternehmens kämpft. Oder einem Start-up-Gründer aus der Reisebranche, der in der Krise 20 Mitarbeiter entlassen musste.
Sie sprechen mit bekannten Köpfen wie der Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller, mit der sie in kürzester Zeit die Themen Corona, Reichsbürger, Künstliche Intelligenz, Schulbildung und Identität abhandeln. Oder mit dem Wissenschaftler Harald Lesch (bekannt aus der Sendung „Leschs Kosmos“), der sagt: „In den zurückliegenden Monaten sind 95 Prozent der Bevölkerung der Strategie von Experten und Politik gefolgt. Es wäre großartig, solch ein Befolgen wissenschaftlichen Rates auf andere Themen wie den Klimaschutz zu übertragen.“

Paul Ziemiak, Georg Milde: Was anders bleibt. Reise durch ein herausgefordertes Land.
Herder
Freiburg 2021
192 Seiten
20 Euro
Ziemiak und Milde fahren an symbolträchtige Orte wie das Dortmunder Westfalenstadion (Sinnbild für ein ganz besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl), die Frankfurter Paulskirche (Sinnbild für demokratische Grundfeste) oder das Grab von Ludwig Erhard (Symbolfigur für bessere Zeiten).
Ziemiak und Milde treffen auf Nazis und Corona-Leugner
Was sie aber vor allem wollen, sei „zuzuhören“, schreiben sie. Und so halten sie an der Autobahnraststätte, um zu hören, was der Lkw-Fahrer über den Verkehr der Zukunft sagt („Oasch g’leckt“), oder gehen in eine Schule, um zu erfahren, wie der Talentförderer dort die Bildungschancen der Jugend erhöhen will („Orientieren, Qualifizieren, Motivieren“).
Die Kapitel sind meist nur zwei bis drei Seiten kurz. Das gibt den Autoren die Möglichkeit, viele Stationen unterzubringen. Den Leser lassen sie so jedoch häufig nur an der Oberfläche ihres Besuchs kratzen. Kaum ist die Autotür auf, geht sie auch schon wieder zu.
Für Ziemiak und Milde gibt es jedoch gleich mehrere Aha-Momente. Etwa in einer Kneipe in Halle (Saale), in der eine Runde junger Männer darüber diskutiert, wie man in der Öffentlichkeit am geschicktesten den Hitlergruß zeigen kann, ohne dafür von der Polizei belangt zu werden.
Oder auf ihrer Fahrt von München gen Osten, als sie auf der Landstraße an einem Holzkonstrukt vorbeifahren, das an einen Maibaum erinnert. „Hatten wir daran tatsächlich die Worte ‚Cofick19‘ und ‚Spahnsinn‘ gelesen – mitten in Oberbayern?“ Auf der Suche nach den Hintergründen treffen sie in einer Hofeinfahrt einen Mann, der sich schnell als Gegner der Corona-Maßnahmen outete. „Seine Sicht der Dinge: Der Körper des Menschen ist kräftig genug, um das Coronavirus zu bekämpfen – durch Ausschwitzen.“
Der Mann, von Beruf Umweltingenieur, sei um keine Antwort verlegen gewesen. „Als wir zurück zum Auto gehen, beschäftigt uns die Frage, wie und zu welchem Zeitpunkt unser ‚System‘ (wie es von seinen Kritikern mit negativer Konnotation genannt wird) Menschen verliert, die sich mehr und mehr abkoppeln.“
Ein Schelm, der denkt, es könnte daran liegen, dass es offenbar solch einer Reise bedarf, um diese Frage zu stellen.
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