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Buchtipp: „715 Euro“ Diese Reinigungskraft gibt Niedriglöhnern eine Stimme

Seit einem Fernsehauftritt im Frühjahr ist Susanne Holtkotte die wohl bekannteste Reinigungskraft Deutschlands. Nun schreibt sie über den deutschen Sozialstaat.
11.07.2019 - 12:56 Uhr Kommentieren
Im Frühjahr hatten der Arbeitsminister und die Reinigungskraft einen Tag lang die Jobs getauscht. Quelle: dpa
Hubertus Heil trifft Susanne Holtkotte

Im Frühjahr hatten der Arbeitsminister und die Reinigungskraft einen Tag lang die Jobs getauscht.

(Foto: dpa)

Berlin Etwa jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte in Deutschland verdient um die elf Euro oder weniger pro Stunde und zählt damit zum Niedriglohnsektor: die Putzfrau, der Müllmann, der Frisör, die Pflegehelferin. Reisen, ein Abendessen im Restaurant, große Geburtstagsgeschenke für die Familie? Sind bei diesem Gehalt nicht drin. Und wer sein ganzes Berufsleben für kleines Geld arbeitet, ist im Alter meist auf staatliche Stütze angewiesen.

Als Betroffene will Susanne Holtkotte diesen Niedriglöhnern eine Stimme geben. Das hat sie schon in einer WDR-Dokumentation, im ARD-Morgenmagazin oder bei „Hart, aber fair“ getan. Zu einiger Berühmtheit gelangte die 1970 geborene Reinigungskraft, als sie im Frühjahr einen Tag lang mit Hubertus Heil den Job tauschte und den Arbeitsminister die Betten in ihrem Bochumer Krankenhaus reinigen ließ.

Nun hat die Betriebsrätin und Gewerkschafterin ihre Erlebnisse in einem Buch verarbeitet. „715 Euro“ heißt die kleine Kampfschrift, die mit viel Wut im Bauch und dem Herzen am rechten Fleck verfasst wurde. 715 Euro, so viel Rente wird Holtkotte im Alter bekommen, wenn sie ihren Vollzeitjob noch knapp 20 Jahre weitermacht.

Der Leser erfährt von entwürdigenden Fragen, mit denen sich die Autorin konfrontiert sah: Warum sie, die nach Bandscheibenproblemen aus der Pflege in die Reinigungsbranche wechselte, denn nichts Anständiges gelernt habe. Warum sie sich den Job überhaupt antue, wo sie doch mit Hartz IV kaum schlechter dastünde. Warum sie denn nicht privat fürs Alter vorsorge.

„Alle sollten gut leben können“, schreibt Holtkotte, „aber dass es nicht einmal die können, die arbeiten, ist ein Armutszeugnis für dieses Land.“ Sie will zwar nicht den Kommunismus ausrufen, aber doch „das Klassensystem“ auf den Kopf stellen. Holtkotte macht kein Hehl daraus, dass ihr Herz der darbenden Sozialdemokratie gehört.

Susanne Holtkotte: 715 Euro - Wenn die Rente nicht zum Leben reicht
Riva Verlag
128 Seiten
9,99 Euro
ISBN: 978-3-7423-1112-2

Entsprechend sind die Rezepte, die die bekannteste Reinigungskraft des Landes vorschlägt, den Programmen von SPD und Linkspartei entlehnt: Heils Grundrente einführen, den Mindestlohn erhöhen, die Tarifbindung steigern, Selbstständige und Kapitaleinkünfte zur Rentenversicherung heranziehen, Reiche höher besteuern.

Nicht immer ist Holtkottes Argumentation schlüssig. „Ich möchte mit meinen Abgaben keinen finanzieren, der es selbst könnte“, schreibt sie etwa. Genau das würde aber die von Heil intendierte Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung bedeuten. Manchmal liegt die Autorin auch schlicht daneben, etwa mit dem Vorwurf, dass Arbeitslose unterstützt werden, Geringverdiener aber nicht. Die rund 1,1 Millionen „Aufstocker“, denen der Staat das Arbeitseinkommen mit Hartz IV aufbessert, wissen es besser.

Auch wenn man nicht alle Rezepte teilen mag, so ist es doch Holtkottes Verdienst, all jenen eine Stimme zu geben, die sonst in Armuts- und Lohnstatistiken nur als nackte Zahlen vorkommen. Der Vormarsch der Rechtspopulisten zeigt, was uns blühen kann, wenn niemand auf die Ungehörten hört. „Ich sage, wir dürfen nicht zulassen, dass Arm gegen Reich uns als Gesellschaft trennt“, schreibt die Autorin. Und dafür liefert sie interessante Denkanstöße.

Mehr: Die Arbeitsmarktreformen von Gerhard Schröder sind in die Jahre gekommen. Es ist Zeit für einen Umbau.

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