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Buchtipp: „Die Schande Europas“ So rechnet Jean Ziegler mit Europas Flüchtlingspolitik ab

In Jean Zieglers Schilderungen der Situation auf Lesbos ist Gut und Böse stets klar verteilt. Damit macht es sich der Publizist aber zu einfach.
23.01.2020 - 18:02 Uhr Kommentieren
Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter hat Lesbos persönlich besucht. Quelle: dpa
Jean Ziegler

Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter hat Lesbos persönlich besucht.

(Foto: dpa)

Darum geht es: Das Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos ist zum Symbol einer nicht funktionieren Flüchtlingspolitik in Europa geworden, das Jean Ziegler als „Schande Europas“ bezeichnet. Seine Kritik ist nicht abstrakt, sondern an konkreten Einzelfällen geschildert. Erst kürzlich etwa kam es auf Lesbos zwischen afrikanischen und afghanischen Migranten nach dem Tod eines 20-Jährigen zu Zusammenstößen.

Ziegler schildert zudem das Versagen der Behörden auf der Insel. Der Soziologe und Politiker fordert die EU auf, die Zahlungen an „flüchtlingsfeindliche“ Länder sofort zu beenden. Europa müsse überall auf die strikte Einhaltung des universellen Menschenrechts auf Asyl eintreten. Scharf kritisiert er, dass es Europa nicht geschafft hat, die Flüchtlinge fair auf alle Staaten zu verteilen.

Das ist der Autor: Als bekennender Kapitalismuskritiker schlägt Zieglers Herz weit links. Viele Jahre saß der heute 85-Jährige für die Sozialdemokraten im Schweizer Parlament. Die differenzierte Darstellung zählt nicht zu seinen Stärken. Entsprechend fragwürdig ist das Vokabular, mit dem er auch in „Die Schande Europas“ die Europäische Union verbal attackiert. Die EU-Verantwortlichen beschimpft er als „Übeltäter in Brüssel“, „finstere Bürokraten“ oder „Eurokraten“.

Seine Parteilichkeit zeigt sich auch daran, dass er die linkspopulistische Regierung unter Premier Alexis Tsipras, die jahrelang für die Missstände in Moria verantwortlich war, in seinem Buch praktisch ungeschoren davonkommen lässt. Dennoch: Ziegler besitzt Erzähltalent. Das zeigt sich auch in der deutschen Übersetzung in einer emphatischen Sprache.

Das überrascht: Ziegler berichtet über Erlebtes. Er hat sich im Mai 2019 sehr genau auf Lesbos umgesehen und legt nun zielgenau seine Finger in die vielen Wunden, wenn beispielsweise die Behörden vor Ort nicht einmal in der Lage sind, für genießbares Essen und ordentliche hygienische Verhältnisse in den Olivenhainen zu sorgen.

Überraschend ist aber auch, dass Ziegler die Sprache der Verharmlosung des Flüchtlingsdesasters in der Ägäis durchaus übernimmt. So schreibt er konsequent „Hotspot“ statt Flüchtlingslager. Damit geht er der PR-Maschinerie ein Stück weit auf den Leim.

Jean Ziegler: Die Schande Europas – von Flüchtlingen und Menschenrechten
C. Bertelsmann
144 Seiten
15 Euro

Das stört: Ziegler denkt, schreibt und argumentiert stets binär. In seiner linken Weltsicht gibt es nur Gut oder Böse. Auf der einen Seite die Versager der EU, auf der anderen Seite die Guten von den Nichtregierungsorganisationen und den Vereinten Nationen. Das verwandelt die fundamentale Debatte über die richtige Flüchtlingspolitik in eine Hau-drauf-Veranstaltung.

Auch in seiner politischen Analyse verliert Ziegler bisweilen jedes Maß. Die osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten tituliert er als „Bettlerstaaten“, die von den Milliardensubventionen der EU leben würden. Dahinter versteckt sich nicht nur große Arroganz, sondern auch Ignoranz. Denn beispielsweise Polen, Tschechien, Ungarn oder die Slowakei glänzen seit Jahren mit überdurchschnittlichem Wirtschaftswachstum.

Die Visegrád-Staaten sind längst zum neuen Wachstumsmotor in Europa aufgestiegen. Doch das scheint dem Kapitalismus- und EU-Kritiker Ziegler entweder nicht aufgefallen oder egal zu sein.

Mehr: Seit August 2015 haben über eine Million Kriegsflüchtlinge in Deutschland Zuflucht gefunden. Was ist seitdem geschehen und welche Kosten sind entstanden? Eine Annäherung.

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