Buchtipp Was deutsche Unternehmen bei der Digitalisierung falsch machen

Es kommt nicht nur auf die Effizienz an, meint Gunter Dueck.
Darum geht es: Dass die Digitalisierung bei vielen deutschen Unternehmen noch nicht richtig angekommen ist, will Gunter Dueck gar nicht sagen: „Man nutzt jede ihrer Möglichkeiten, um etwas, was schon immer gemacht wurde, nun digital zu optimieren, um damit einzusparen.“ Heißt aber im Umkehrschluss: Gerade wir Deutschen seien seit rund 35 Jahren Weltklasse darin, Prozesse zu optimieren. Dafür sind uns Roboter und neue Technologien recht und billig.
Doch vor lauter Effizienzwahn sehen wir die Notwendigkeit nicht, Unternehmertum neu zu denken. „Man verweigert sich den grundlegenden Innovationen der Fintechs, Biotechs, Gentechs, Insurtechs, Proptechs, die überall zum Leben erwachen.“ Der permanente Ergebnisdruck lasse kaum noch Zeit, sich auf die Zukunft vorzubereiten.
Die heutige Manager-Riege könne nichts anderes mehr als Prozesse optimieren, formuliert Dueck überspitzt. Das und die maximale Verdichtung des Tagesablaufs ersticken das Potenzial der ausgepressten Mitarbeiter. Wir sind eher Sklaven der neuen Technologien und haben vor allem unsere Managementprozesse viel zu wenig auf die neue Ära umgestellt.
Das ist der Autor: Gunter Dueck kombiniert seit Jahren Wissenschaft, Unternehmergeist und lesbare Schreibe, was zu Bestsellern in Serie führt. Der Professor für Mathematik wechselte nach seiner Lehrtätigkeit zu IBM, wo er zum CTO aufstieg. Der 68-Jährige ist heute unter anderem Business Angel.
Seit 2000 hat er diverse Bücher veröffentlicht – teilweise wissenschaftlich orientierte, zuletzt aber auch populäre Managementratgeber wie „Das Neue und seine Feinde“, „Schwarmdumm“ oder „Flachsinn“. Neben seinem humorigen Schreibstil überzeugt Dueck durch seine Mixtur aus Insiderkenntnissen und gesunder Distanz.

Gunter Dueck: Heute schon einen Prozess optimiert? Das Management frisst seine Mitarbeiter.
Campus Verlag
328 Seiten
24,95 Euro
Das überrascht: Dueck differenziert wohltuend zwischen dem Menschen, wie er als Individuum denkt und agiert, und dem arbeitenden Subjekt in einem verkrusteten, immer mehr von IT bestimmten Betriebsablauf. Per se wüssten die Manager ja, was gemacht werden sollte. Doch im Unternehmen angekommen ginge es immer weiter nach Schema F.
Der Autor beschränkt sich nicht nur auf die bekannten Punkte wie Fachkräftemangel und fehlende digitale Bildung. Er fordert einen völlig neuen Stil bei Führungskräften und dass sich ihre Herangehensweise radikal ändert: weg vom Prozessoptimieren hin zum Innovieren. Weg von einer auf Effizienz ausgerichteten Struktur hin zu einer menschenfördernden.
Dabei braucht es freilich mehr Mut, denn: „Mitten in der technologischen Revolution wird alles abgelehnt, was zu irgendwelchen Nachteilen für irgendwen führt.“ Von pseudo-agilen Schaufenstermaßnahmen hält Dueck wenig, solange alles im „Hastigmodus“ laufe.
Und man brauche statt „Spar-Barhocker auf einer Massentierhaltungsfläche“ einen „klaren Kopf und ruhigen Arbeitsplatz“. Das alles beschreibt Dueck in einem humorvollen, sehr gut lesbaren Schreibstil inklusiver hilfreicher Zusammenfassungen am Kapitelanfang und -ende.
Das stört: Der Autor ist ein Meister darin, den Finger in die Wunde zu legen. Aber er ist kein herausragender Arzt: Die Therapie, die er in seinem letzten Kapitel vorschlägt, fällt dürftig aus. Was man nicht tun sollte, kommt ausführlich zur Sprache. Was zu tun wäre, kaum. Auch Positivbeispiele aus der deutschen Unternehmenswelt, die es ja fraglos gibt, kommen nicht vor.
Dueck nennt ein paar Maßnahmen, die er in seiner Zeit bei IBM als positiv wahrgenommen hat. Die Frage, warum es bei IBM dann immer noch suboptimal läuft, beantwortet Dueck selbst: IBM habe den Kurs halt nicht konsequent fortgesetzt. Am Ende bleibt der Leser entweder mutlos zurück – oder er macht schlicht das Gegenteil von dem, was Dueck gut 300 Seiten lang kritisiert.
Mehr: Führungskräfte-Umfrage: Deutsche Unternehmen fühlen sich noch nicht fit für die Digitalisierung
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