Buchtipp zur Klimakatastrophe Lässt sich der Kampf gegen den Klimawandel noch gewinnen?

Der Autor Jonathan Franzen fordert, konkrete Hilfe zu geben und den Brandschutz zu verbessern.
Düsseldorf Es gibt dicke Bücher, die man einfach so weglesen kann, ohne auf einen einzigen originellen Gedanken zu stoßen. Daneben erscheinen bisweilen eher schlanke Bändchen, die einen durch eine Vielzahl neuer Ideen überraschen.
Und schließlich gibt es Werke wie Jonathan Franzens Essay „Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?“, das eigentlich schon deshalb eine Frechheit ist, weil es acht Euro kostet und der Hardcover-Umschlag fast so dick wirkt wie die 60 Seiten dazwischen. Mehr Pimp-my-Bestsellerautor war selten.
Aber dann fängt man doch an zu lesen und merkt schnell, dass man eigentlich jeden zweiten Satz unterstreichen oder mit Ausrufezeichen am Rand dekorieren möchte wie früher die Reclam-Hefte in der Schule – nur dass das diesmal aus Begeisterung geschieht und nicht, weil dramaturgische Petitessen in „Faust II“ analysiert werden wollen.
Beispiel gefällig? „Dem Klimawandel den totalen Krieg zu erklären, war nur sinnvoll, solange er sich noch gewinnen ließ.“ Genau das bezweifelt Franzen.
Sein pragmatischer Ausgangspunkt: Die Erderwärmung ist nicht mehr aufzuhalten, auch wenn Greta Thunberg noch so zornig schaut, Volkswagen nur noch Elektromobile baut oder Blackrock-Chef Larry Fink von all den Konzernen, an denen sein Unternehmen global beteiligt ist, immer schärfer Nachhaltigkeit fordert.
Klimadebatte: Schluss mit der Hysterie
Franzen meldet wissenschaftliche, ökonomische und sogar psychologische Zweifel an, dass wir auf dem richtigen Weg sind mit der gegenwärtigen Debatten-Hysterie. Nicht dass er den Klimawandel leugnet. Er mutmaßt vielmehr, dass es angesichts der vielen Variablen in der Rechnung sogar noch schneller gehen könnte mit dem Temperaturanstieg.
Und er weist fast freundlich darauf hin, dass selbst die größten Optimisten in der Forschung wissen, dass das hehre Zwei-Grad-Ziel in den nächsten 30 Jahren allenfalls noch „theoretisch“ zu erreichen sei.

Jonathan Franzen: Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?
Rowohlt
51 Seiten
8 Euro
Klimaneutralität als entweder unbezahlbare Illusion oder Selbstbetrug. Für Franzen ist diese absurde Hoffnung mittlerweile die große Schimäre der Jetztzeit, weil sie Unmögliches voraussetzt: Wir müssten nicht nur sofort damit beginnen, den Trend der letzten drei Jahrzehnte umzukehren. Wir müssten den Planeten bis zum Jahr 2050 auch komplett CO2-neutral machen. Dazu wiederum hätte ja nicht nur Trump sofort abzudanken und seine Wählerschaft begeistert ihre SUVs zu verschrotten.
Von allen anderen Ländern würden noch weit größere Revolutionen erwartet – und da sind nicht nur aufgeklärte, demokratisch verfasste Industriestaaten gemeint, die sich Nachhaltigkeit wenigstens leisten können.
Warum sollten Saudi-Arabien oder Russland plötzlich aufhören, Öl zu fördern? Warum sollte China auf Kohlekraftwerke verzichten oder Brasilien auf die Rodung der Regenwälder? Das alles sei „gelinde gesagt, eine Herkulesaufgabe“.
Die größten Umweltverschmutzer des Planeten müssten sofort einen Großteil ihrer Energie- und Transportinfrastruktur stilllegen und ihre Wirtschaft komplett umrüsten. Und das alles setze voraus, dass wir überhaupt schon wirklich wissen, was die richtigen Maßnahmen sind gegen die Erderwärmung.
Franzen erinnert en passant an die „kafkaeske Biodieselverordnung der EU“, die mitverantwortlich war für eine Entwaldung Indonesiens zugunsten neuer Palmölplantagen. Und woher überhaupt sollen eigentlich all die Billionen kommen, die der totale Kurswechsel kostet?
Psychologisch sei der Glaube, es noch irgendwie schaffen zu können, wenn wir nur alle begeistert genug die Ärmel hochkrempeln, leicht erklärbar: Wenn wir die Wahl haben zwischen der Abstraktion eines nahenden Weltuntergang und der „beruhigenden Evidenz“ unserer Sinne, leben wir doch ganz gern in der Gegenwart, zumal der Klimawandel ja nur eine schleichende, über Jahrzehnte näherkommende Katastrophe darstelle.
Franzens Fazit: Entweder hoffen wir weiter, dass sich die Katastrophe noch verhindern lässt – und werden mit jedem Waldbrand, jedem neuen Kohlekraftwerk und jeder Billigwurst in unserem Kühlschrank noch depressiver und frustrierter. Oder wir akzeptieren das Unausweichliche „und denken neu darüber nach, was es heißt, Hoffnung zu haben“ – konstruktiv statt wachsend selbstzerstörerisch.
Emissionen reduzieren statt Klimawandel leugnen
Und dann? Was würde passieren, wenn wir uns, statt die Realität zu leugnen, diese Wahrheit eingestehen würden? Dann könnten wir immer noch und zu Recht versuchen, unsere Emissionen zu reduzieren, findet Franzen.
Aber wir hätten auch noch Geld übrig für andere, mal lokale, mal regionale Rettungsaktionen und Hilfsmaßnahmen: Wälder aufforsten, Dämme bauen, Brandschutz verbessern, Pestizideinsatz oder Überfischung der Meere reduzieren, kurz gesagt, „kleinere Schlachten schlagen, die wir auch gewinnen können“. Dazu gehört auch der Tierschutz, der Franzen besonders am Herzen liegt, gerade weil er dem omnipräsenten Klimathema längst das Feld räumen musste.
Franzen ist zwar kein Wissenschaftler, aber auch kein Idiot, wenngleich seine Begeisterung für Vogelkunde manchem Feuilletonisten wahrscheinlich ähnlich exotisch vorkommt wie ein Faible für rumänische Swingerklubs. Wenn er nicht gerade Bücher schreibt, die zum Besten gehören, was nicht nur die US-Literatur gegenwärtig hervorbringt, dann sitzt er gern irgendwo im Unterholz und lauscht der Nachtschwalbe oder dem Wiedehopf.

„Kleinere Schlachten schlagen, die wir auch gewinnen können.“
Dabei ist ihm eben auch aufgefallen, dass es da draußen immer stiller wird. Aber dass darüber auch immer weniger gesprochen wird, weil das Artensterben damit abgetan wird, dass es ja nur eine der Folgen der Erderwärmung sei und man sich zuerst um den – im wahrsten Sinne des Wortes – wichtigsten Brandherd kümmern müsse: die CO2-Emissionen.
Franzen ist, was seine Einstellung zum Klimawandel angeht, nicht allein. Der dänische Politologe Björn Lomborg etwa warnt in ähnlicher Tonlage und hält Deutschland mit seiner „chaotischen Förderung“ der erneuerbaren Energien für ein „besonders abschreckendes Beispiel“ in der Klimafrage, Zitat: „Die Menschen wollen zwar von Kanzlerin Merkel hören, dass sie das Problem lösen, aber sie wollen nicht dafür bezahlen.“ Auch Ökopionier Michael Braungart warnte gerade in „Bild“ vor zu viel Symbolpolitik, wo es eher unaufgeregten Pragmatismus brauche.
Aber diese Stimmen dringen kaum durch. Und auch Franzens frühere Essays zum Thema brachten ihm vor allem „eine Flut öffentlicher Feindseligkeit der Klima-Community“ – bis hin zu einer Attacke des bekannten US-Klimaschützers Bill McKibben. Andere Romanciers hätten es wahrscheinlich spätestens da gelassen mit den Einmischungen.
Franzen aber ist störrisch – oder einfach nicht überzeugt von den Apologeten des nahenden Weltuntergangs. Und sein aktuelles Essay brachte ihm ein Echo aus der Szene ein, das in seiner Bösartigkeit alles Frühere toppte. Mal wurde er als Klimaleugner beschimpft, mal als Spatzenhirn, mal nur als privilegierter Weißer. Er kämpft einen einsamen Kampf auf einem Schlachtfeld, das ähnlich vermint ist wie sonst vielleicht nur noch die Genderdebatten.
Insofern muss man auch verstehen, dass für ihn zu einem besseren Klima noch andere Faktoren gehören: Faire Wahlen zu gewährleisten ist für Franzen eine sinnvolle Klimaaktion. Und extreme Vermögensungleichheit zu bekämpfen gehört für ihn ebenso dazu wie eine humane Einwanderungspolitik.
Er schlägt sogar vor, „die Hassmaschinen der sozialen Medien abzuschalten“. Und vielleicht stünde das vor allem anderen: dass der öffentliche Diskurs wieder Geschrei produziert. Dass man wieder mehr mit- als übereinander spricht. Auch das hätte klimatisch enorme Konsequenzen.
Mehr: Weltwirtschaftsforum: Wirtschaft fordert Führungsrolle der EU beim Klimaschutz.
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Gibt es nicht Überlegungen, die Sonneneinstrahlung durch eine ausgebrachte Schicht in der hohen Atmosphäre - ähnlich wie die Schichten, die bei schweren Vulkanausbrüchen entstehen - so zu mindern, dass sich die Erdtemperatur nicht erhöht ?