Debattenbuch Ist der Nationalismus zu unrecht in Verruf geraten?

„Die Reaktionen auf die jüngsten Wahlen sind denjenigen des Jahres 2016 sehr ähnlich“, sagt der israelische Denker Yoram Hazony.
Tel Aviv Auch wenn US-Präsident Donald Trump nach vier Jahren das Weiße Haus verlassen wird: Sein Gedankengut werde in der republikanischen Partei dominierend bleiben, davon ist der israelische Denker Yoram Hazony überzeugt. Vor der Trump-Ära sei die republikanische Partei von Internationalisten dominiert gewesen. „Jetzt“, sagt Hazony im Interview, „geben Nationalisten den Ton an.“
Beim Wort „Nationalismus“ denken die meisten an etwas Böses. Es sei ein „übersteigertes Nationalbewusstsein“, heißt es im Duden, und der Gebrauch sei „meist abwertend“. Kurz: Ein Nationalist ist ein Chauvinist.
Doch Hazony dreht den Spieß um. Mit dem Titel seines Buchs, das soeben in deutscher Übersetzung publiziert wurde, bringt er seine Weltsicht auf den Punkt: „Nationalismus als Tugend“. Er legt die theoretische Grundlage für eine positive Neubewertung der bei vielen in Verruf geratenen Vaterlandsliebe und zeigt deren Vorzüge gegenüber einer liberalen Politik, die auf Globalisierung setzt.
In Washington wurde Hazonys Plädoyer für den Nationalismus, das vor zwei Jahren auf Englisch erschien, als Manifest der Konservativen bezeichnet, zudem als intellektuelle Basis für die Politik unter Präsident Donald Trump und dessen Verhältnis zu anderen Ländern und Kontinenten. In Berlin und Brüssel dürfte man Hazonys Buch hingegen mürrisch zur Kenntnis nehmen: Er zählt die EU zu den Imperien, die die Freiheit der Nationen untergraben.
Sein Plädoyer für den Nationalismus sei wirklichkeitsfremd, weil es im Zeitalter der Globalisierung unmöglich sei, Grenzen zwischen Nationen zu ziehen, werfen ihm seine meist linken Kritiker vor. Nationalismus, relativiert Hazony seine These, sei für ihn kein fehlerloses Konstrukt. Trotzdem sei er aber der festen Überzeugung, dass die Organisation der Welt nach dem Prinzip Nationalismus besser sei, als wenn eine einzige Nation oder ein einheitliches Rechtssystem weltweit dominiert. Er verstehe Nationalismus als Mittel gegen einen Imperialismus, der alle Länder unter einem einzigen politischen System vereinigen wolle, um damit – angeblich – den Wohlstand zu mehren und Frieden zu stiften.
Natürlich, sagt Hazony, gebe es eine moralischen Verpflichtung, bei humanitärer Not zu helfen. Aber daraus dürfe auf keinen Fall das Recht abgeleitet werden, sich weltweit als Polizist aufzuspielen. So sei die Intervention der USA im Irak ein Fehler gewesen, weil man in Washington nicht wisse, wie der Irak regiert werden kann.
Und was hält er von internationalen Kooperationen bei globalen Problemen wie dem Klimawandel? Es sei falsch, sich bei der Lösung solcher Herausforderungen auf internationale Organisationen zu stützen, meint er. Er kenne kein einziges globales Problem, das durch internationale Organisationen gelöst werden konnte.

Yoram Hazony: Nationalismus als Tugend.
Ares
Graz 2020
272 Seiten
25 Euro
Gerade die Coronakrise offenbare die Vorteile, wenn Nationen unabhängig voneinander forschen. Hazony: „Das begünstigt verschiedene Perspektiven, und es ergibt sich eine gesunde Konkurrenz unter den einzelnen Staaten. Die Wissenschaft hat stets vom Wettbewerb der Nationen profitiert.“
Es liege in der Natur des Menschen, dass jeder besser sein wolle als sein Herausforderer, und wenn eine ganze Nation von diesem sportlichen Ehrgeiz beseelt sei, würden sich neue Perspektiven ergeben, was den Fortschritt beschleunige. So sei das auch bei der Suche nach einem Impfstoff gegen Covid-19. Jede Nation mit dem entsprechenden Know-how wolle als erste ein Mittel finden, um erstens Gewinne zu machen und zweitens weltweit Prestige zu akkumulieren.
Hazony, der sich selbst als „sehr, sehr konservativ“ bezeichnet, kam 1964 in Rehovot auf die Welt, einer Kleinstadt südlich von Tel Aviv. Er wuchs in Princeton auf, nachdem sein Vater einen Ruf als Professor für Ingenieurwissenschaften mit Spezialgebiet Roboter erhalten hatte. Derzeit arbeitet Hazony an einem neuen Buch über die konservative Bewegung, das im nächsten Jahr herauskommen soll. Dort will er über seine Sorgen reflektieren, dass traditionelle Werte wie Familie und Unabhängigkeit im Westen an Attraktivität verlieren.
Die anfängliche Weigerung Trumps, das Wahlresultat anzuerkennen, sieht Hazony genau vor diesem Hintergrund. „Die Reaktionen auf die jüngsten Wahlen sind denjenigen des Jahres 2016 sehr ähnlich“, sagt er. Beide Male habe sich ein sehr großer Teil der Wählerschaft geweigert, die Ergebnisse zu akzeptieren.
Dahinter verberge sich ein beunruhigendes Phänomen, meint Hazony, nämlich der Zerfall der amerikanischen Nation: „Die verschiedenen Stämme, aus denen sich die Nation zusammensetzt, sind nicht mehr so loyal zueinander wie noch vor einer Generation.“ Und er warnt: „Es ist ein sehr gefährlicher Moment.“
Mehr: Warnung vor Nationalismus: So positionieren sich europäische Länder zur Verstaatlichung
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.