Ökonom im Interview Andrew McAfee: „Ich möchte nicht, dass Leute sich am Klimawandel schuldig fühlen“

„Ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich Auto fahre.“
München Unter Wirtschaftswissenschaftlern ist Andrew McAfee so etwas wie ein Enfant terrible; ein Störenfried, der mit seinen steilen Thesen dort hinlangt, wo es wehtut. Bereits 2013 prognostizierte der US-Ökonom in einem Ted-Talk, dass künftig Roboter einen Großteil unsere Jobs übernehmen werden – zumindest jene, die wir heute kennen.
In seinem neuen Buch „More from Less“ beschäftigt sich der MIT-Professor mit der Klimafrage. McAfees These: Mehr – und nicht weniger – Wachstum sei die Antwort auf den Klimawandel. Im Gespräch mit dem Handelsblatt teilt er daher auch kräftig gegen Fridays-For-Future-Aktivistin Greta Thunberg aus: „Sie schlägt die falschen Maßnahmen vor“, sagt der MIT-Ökonom. McAfee wolle nicht, dass sich die Leute wegen des Klimawandels schuldig fühlten.
Herr McAfee, was denken Sie über Greta Thunberg und die „Fridays for Future“-Bewegung?
Ich bin ihr unglaublich dankbar dafür, dass sie das vernachlässigte Thema Klimawandel auf die Agenda gebracht hat. Aber sie schlägt die falschen Maßnahmen vor. Ich stimme nicht damit überein, dass wir Wachstum und Wohlstand für den Planeten opfern müssen. Die Fakten aus den letzten 50 Jahren zeigen mir einfach, dass das nicht stimmt.
Anders als Greta sind Sie ein Optimist ...
Ja, ich bin Optimist – aber nicht wegen meiner Persönlichkeit, sondern wegen der Faktenlage. Ich liebe die Website „Our World in Data“. Da sieht man, dass die meisten Dinge besser werden. Wir müssen verstehen, warum das so ist, und diese Faktoren stärken. Am meisten hat mich überrascht, dass wir weniger Ressourcen verbrauchen, obwohl die Wirtschaft ständig wächst.
In Ihrem neuen Buch zeigen Sie Daten für die USA, die das belegen. Aber könnte das nicht einfach eine Ausnahme sein?
Ich habe in meinem Buch jedem eine Wette angeboten, dass das über die nächsten Jahre so weitergeht. Ein Beispiel: Der Energieverbrauch in den USA stagniert seit fast einer Dekade. Für andere Länder fehlen mir schlicht die notwendigen historischen Zahlenreihen.
Vielleicht ist der Grund einfach, dass die Industrie in andere Länder abgewandert ist?
Das ist nicht richtig. Der Produktionssektor in den USA ist groß und wächst. Was schrumpft, ist allein die Zahl der Beschäftigten, aber der Output wächst Jahr für Jahr.
Ihr Präsident Donald Trump sagt da aber was ganz anderes: Er betont immer wieder, China zerstöre US-Industrien mit Dumpingpreisen – etwa bei Stahl.
Hören Sie nicht auf den Präsidenten!
Irrt er?
Jeder, der meint, die Industrie in den USA schrumpfe, irrt. Doch der technische Fortschritt und der Wettbewerb führen jedoch dazu, dass die Zahl der Jobs und auch der Ressourceneinsatz sinken.
Diese Trendwende dürfte in Ländern wie China oder Indien noch Jahre oder Jahrzehnte dauern. Haben wir diese Zeit bei Treibhausgasen?
Es ist offensichtlich, dass wir nicht schnell und entschieden genug handeln. Aber können wir etwa Indien einfach verbieten, mehr Energie zu verbrauchen? Natürlich nicht. Daher müssen wir dem Land helfen, die Umstellung auf effizientere Technik so schnell wie möglich zu schaffen. Das ist keine Magie.
Sie beschreiben in Ihrem Buch nicht Zauberei, sondern den Kapitalismus als Triebkraft hinter dieser Umstellung ...
Genau. Denn das, was ich „Entmaterialisierung“ der Wirtschaft nenne, passiert nicht durch zentrale Planung: Es gibt eben keine Stahlbehörde in den USA, die Material zuteilt. Stattdessen wirken Marktkräfte kombiniert mit kraftvoller Technik. Sparsamere und ressourcenärmere Produktion bringt den Unternehmen schlicht mehr Gewinn. Und es gibt immer mehr technologische Werkzeuge, um zu sparen.
Ja, ich bin Optimist – aber nicht wegen meiner Persönlichkeit, sondern wegen der Faktenlage.
Sind Kosten wirklich der einzige Grund für Unternehmen, zum Klimaschutz beizutragen?
Viele Firmenchefs, die ich kenne, leisten ihren Beitrag – einige aus Überzeugung, andere, um Kunden zu halten, andere, um Kosten zu senken. Ein wichtiger Punkt vor allem in der Tech-Industrie ist der heftige Wettbewerb um Talente. Silicon-Valley-Leute sind klassische amerikanische Liberale, die die Umwelt retten wollen – und die suchen danach auch ihren Arbeitgeber aus.
Welche Unternehmen sind da aus Ihrer Sicht vorne mit dabei?
Die jüngste Ankündigung von Microsoft, sogar CO2-negativ werden zu wollen, ist gut. Davon brauchen wir mehr.
Das ist ein netter Ansatz. Wie aber senken wir die CO2-Emissionen auf breiter Basis?
So, wie wir andere Probleme gelöst haben, die der Kapitalismus mitversursacht hat, nehmen Sie Umweltverschmutzung und Artensterben. Wir brauchen Regulierung und öffentlichen Druck. Es gibt eine ganz einfache Antwort: Emissionen zu besteuern ist unglaublich effektiv.
Wie hoch soll der Preis für eine Tonne CO2 sein?
Dafür bin ich kein Experte. Aber er muss spürbar sein. Die amerikanische Rechte behauptet, das würde die Wirtschaft ruinieren. Unsinn, wenn Sie die Steuer aufkommensneutral gestalten.
Welche Technologien helfen dabei, Ressourcen zu sparen?
Das Smartphone ist das beste Beispiel. Ich nehme an, sie haben kein Fax, Anrufbeantworter, Kassettenrekorder, CD-Spieler, Röhrenfernseher, Videorekorder oder Kleinbildkamera mehr zu Hause. Mindestens zwölf Geräte stecken in einem handlichen Gerät. Zugleich verzichten wir damit auf nichts, um den Planeten zu retten. Im Gegenteil.
Beim Lesen Ihres Buches entsteht schnell der Eindruck, dass man sich beruhigt zurücklehnen kann. Übertreibt Fridays for Future mit Slogans wie „Unser Haus brennt“ und „Wir wollen, dass ihr in Panik verfallt“?
Vielleicht. Ich bin kein Psychologe, der weiß, wie man Leute motiviert. Aber diese apokalyptischen Visionen können schaden, weil die Leute meinen, es gebe eh keine Hoffnung mehr. Ich will den Leuten dagegen zeigen, dass wir etwas ändern können. Ich möchte auch nicht, dass Leute sich am Klimawandel schuldig fühlen.
Das heißt: Sie finden nicht, dass die Leute moralisch verpflichtet sind, weniger zu fliegen oder Auto zu fahren?
Wenn wir CO2 besteuern, erledigt sich das Problem. Ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich Auto fahre. Es geht nicht darum, freiwillig zu verzichten.
Das klingt so, als müsste jeder Einzelne gar nichts mehr tun, sondern der Klimaschutz läuft von allein ...
So ist es nicht. Das Effektivste, was jeder selbst tun kann, ist, sich bei der Politik dafür einzusetzen, dass CO2 endlich einen Preis bekommt. Wir haben als Bürger die Pflicht, uns zu informieren und uns nicht auf unsere Vorurteile zu stützen: Dass Deutschland wegen des öffentlichen Drucks aus der klimafreundlichen Atomkraft aussteigt, ist völlig falsch.
Und was ist mit dem Atommüll?
Gegenfrage: Wie viele Tote gab es durch Atommüll?
Aber ...
Beantworten Sie einfach meine Frage!
120, sagt Ihr Buch.
Das sind sogar alle Toten durch Reaktorunglücke insgesamt. Wie viele Tote gibt es durch die Luftverschmutzung aus Kohlekraftwerken? Etwa eine Million pro Jahr.
Dennoch überlassen wir den Atommüll den künftigen Generationen ...
Was ist die drängendere Frage für künftige Generationen: ein bisschen Atommüll oder ein überhitzter Planet? Ich wüsste, welches Problem ich als Erstes lösen würde.
Neben neuen Atomkraftwerken fordern Sie auch noch den breiten Einsatz von Gentechnik. Es verwundert, dass Ihr Buch politische Dynamiken so wenig berücksichtigt.
Ich versuche, Ideologie außen vor zu lassen und mich von Erkenntnissen leiten zu lassen. Meine Recherche hat mich zu dem Ergebnis gebracht, dass Atomkraft die sicherste Energieform ist und Gentechnik risikolos die Effizienz der Landwirtschaft erhöht.
Auch Fridays for Future betont, die Bewegung wolle sich auf die Wissenschaft stützen. Verbindet sie das?
Ich hoffe, dass sie so viel bewirken wie die klassische Umweltbewegung, die in den 1970er-Jahren entstanden ist. Aber einige der Vorschläge der jungen Leute sind nicht vernunftbasiert. Ich weiß nicht, ob sie für Atomkraft, Gentechnik und CO2-Steuern sind.
Wer ist denn der eigentliche Gegner, gegen den Sie anschreiben? Sehen Sie tatsächlich antikapitalistische Kräfte erstarken?
Auf dem Weg zu diesem Interview habe ich ein Graffiti an einer Wand gesehen: „Smash Capitalism to save the planet“. Die Anti-Wachstums-Bewegung nimmt an Fahrt auf. Viele Leute sagen: Wir haben entweder Wachstum oder retten den Planet. Ich versuche mit meinem Buch, diese Leute vom Gegenteil zu überzeugen.
Weniger Wachstum würde allerdings tatsächlich ebenfalls Ressourcen schonen ...
Wenn jemand freiwillig zurücksteckt: okay. Ich werde niemals eine von der Regierung zentral geplante Rezession unterstützen. Das wäre schlimmer als das Wirtschaftsversagen in der UdSSR oder in Nordkorea.
Sehen Sie starke Kräfte dafür in den USA? Bernie Sanders, Elisabeth Warren?
Nein, nicht so sehr bei den Präsidentschaftskandidaten. Aber es gibt eine wachsende neomarxistische Bewegung in den USA, die sich zum Teil mit der Umweltbewegung überschneidet. Kapitalismus wird unpopulärer, Sozialismus populärer. Ich versuche in meinem Buch, die Debatte zu versachlichen. Deshalb bestehe ich nicht auf dem Begriff Kapitalismus, der für einige Menschen ein Reizwort ist. Aber was ich auf keinen Fall will, ist eine zentrale Wirtschaftsplanung. Das klappt nicht...
... wie wir an der DDR gesehen haben.
Schlimmer noch: Es macht Leute unglücklich.
Viele sehen die chinesische Wirtschaft als Vorbild. Dort herrscht die Kommunistische Partei.
Für ein kommunistisches Land ist China sehr kapitalistisch. Das Land nutzt auch Technologie vorbildhaft – anders als etwa die Demokratie Indien. China schützt seine Einwohner inzwischen gut vor Luftverschmutzung. Aber das System ist nicht perfekt: Es macht etwa nichts beim Thema Plastik – anders als die entwickelten Demokratien.
Wie kommt es, dass auch die US-Umweltpolitik unter Trump vom Gleis abgekommen ist? Die Amerikaner wollen doch ebenfalls den Planeten nicht zerstören.
Ich bin nicht in Trumps Kopf. Er will uns wieder zum Kohleland machen und Umweltstandards senken. Das sind furchtbare Ideen.
Warum kann er damit Unterstützer mobilisieren?
Ich weiß nicht, was die Anti-Umweltschutzbewegung so erfolgreich macht. Es könnte die politische Polarisierung in den USA sein: Die Liberalen sind für Umweltschutz, also lehnen ihn die Konservativen reflexartig ab. So weit ist es in Amerika gekommen. Dieses Klima macht mir mehr Sorgen als der Ressourcenverbrauch.
Warum das?
In unsicheren Zeiten suchen die Leute einfache Antworten. Mit der industriellen Revolution kam Marxismus, in der Wirtschaftskrise der Faschismus. Beides furchtbare Ideen.
Wie lässt sich die Gefahr weiterer Radikalisierung bannen?
Wir brauchen eine Rückbesinnung darauf, was wir gemeinsam haben. Niemand will Tiere ausrotten oder Kinder vergiften. Von dort aus müssen wir die Debatte beginnen.
Apropos Rückbesinnung: In Ihrem Buch zitieren Sie vor allem die Klassiker – Adam Smith, Alexis de Tocqueville, an einer Stelle sogar Otto von Bismarck. Ignorieren Sie die jüngere Debatte absichtlich?
Ich habe Adam Smith ein ganzes Kapitel gewidmet, um eines zu zeigen: Wir kennen seit 150 Jahren die richtigen Antworten, aber wir setzen sie bis heute nicht um. Lassen wir die wirtschaftliche Freiheit wirken und sie durch marktgerechte Regulierung zügeln.
Herr McAfee, vielen Dank für das Interview.
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