Rezension: Die dunklen Stunden der Weltwirtschaft: „Wir lernen am meisten, wenn die Gegenwart am düstersten ist“

Der Krieg in der Ukraine war wohl einer der größten Schockmomente im letzten Jahr. Darauf folgten die Energiekrise und eine Megainflation.
Das Einzige, was in Krisen noch Konjunktur hat, sind Krisenszenarien. Erst schrumpfen Wachstumszahlen, dann Prognosen, schließlich die Botschaften der Hoffnung. Wenn, wie derzeit, mit einem geopolitischen kalten Krieg, den Spätfolgen von Corona, dem Ukrainekrieg, den damit verbundenen Energiekapriolen sowie einer Megainflation gleich mehrere Großbedrohungen gleichzeitig auftauchen, ist in der begleitenden Literatur und Publizistik „Armageddon“ nicht weit. Untergangsstimmung.
Mitten in diese prozyklisch prosperierende Negativsicht hinein äußert sich einer der bekanntesten Wirtschaftshistoriker in einer völlig anderen Tonlage. Harold James, 66, britischer Professor an der US-Universität Princeton, analysiert wohltuend unaufgeregt die Auswirkungen großer Wirtschaftskrisen.
Anhand von sieben epochalen Ereignissen – beginnend mit Karl Marx, Hungersnöten und Arbeiteraufständen – schildert er, dass ökonomische Verwerfungen nicht nur neue Probleme schaffen, sondern vielmehr den Keim für Aufschwung und Modernisierung in sich bergen.
Gemeinhin seien neue Institutionen die zu beobachtende Reaktion auf Angebotskrisen und Erschütterungen, erklärt James. Angebotsschocks würden die Globalisierung erst erschaffen und dann neu gestalten.
Er nennt hier die Opec-Kartellkrise vor fünf Jahrzehnten mit steigenden Ölpreisen, die in Japan zur Produktion moderner, benzinsparender Autos führte. Davon zu unterscheiden seien Nachfragekrisen wie die „Great Depression“ der 1930er-Jahre, wo der Staat mit Ausgabenprogrammen einsteigen musste und ein „Entglobalisierungsschub“ folgte, oder aber die Weltfinanzkrise von 2007/08. Ökonomen würden solchen Nachfrageschocks mit dem Denken in großen Aggregaten begegnen, siehe John Maynard Keynes.

Historisch aber, so James, führten einige Globalisierungskrisen „nicht zu weniger, sondern mehr Globalisierung“. Derzeit würden die protektionistische Wende in vielen Staaten (zum Beispiel in den USA) und der schärfere Wettbewerb zwischen den Ländern den Hintergrund liefern für „den erstmaligen aggressiv erpresserischen Einsatz von Energielieferungen sowie für Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine“.
Die Ökonomie 2022 ist in dieser Sicht die Ballung problematischer Wirtschaftsereignisse als Folge gigantischer Angebotsschocks. Sie würden tiefgreifende Engpässe offenbaren wie aktuell etwa beim Gesundheitsschutz in der Ära von Covid oder bei der Energie.
Wir lernen, dass es in dieser Lage auf die Mikroökonomie ankommt (damit auch auf Daten) und auf die relativen Preise. Preiserhöhungen – für knappe Güter wie Erdgas eine logische Konsequenz – würden zusammen mit dem Bedarf an neuen Versorgungsquellen einen Entwicklungsschub bei der Technologie auslösen.
Zum Einsatz kämen Verfahren, die im Grunde schon bekannt seien, nun jedoch – im Moment der Not – ihr umwälzendes Potenzial entfalten könnten. Das seien in den Marx-Jahren die Dampfmaschine, in den 1970er-Jahren Containerschiff und Computer sowie im Jahr 2020 Nanotechnologie, Künstliche Intelligenz und die mRNA-Impfstoffe gewesen, mit Biontech aus Mainz als Pionier.
Unklar in diesem fesselnden Geschichtsbuch bleibt, inwieweit die aktuellen Verwerfungen wirklich am Ende auch wieder zu mehr Globalisierung führen werden. Augenscheinlich ist „Autarkie“, oder abgemildert „strategische Souveränität“, das Wort der Stunde.
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Es entwickelt sich ein Denken in Blöcken von befreundeten Staaten. Solche Machtfragen spart James weitgehend aus – ebenso wie die Frage, ob nicht die rasant angestiegene Verschuldung automatisch zur nächsten Krise, zum nächsten Schockmoment führt.
James, der strikte Marktwirtschaftler, gibt die Hoffnung nicht auf. Er zitiert Keynes aus dem Nach-Weltkriegsjahr 1919 mit dessen Erkenntnis, „dass die Dinge erst schlimmer werden müssen, bevor sie besser werden können“.



Der Autor deutet dies wie ein gelehriger Schüler: „Wir lernen am meisten, wenn die Gegenwart am düstersten ist.“
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