Shortlist des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises: Was die DNA der USA über die Entfremdung in Amerika verrät
Die Präsidentschaft des Milliardärs und Reality-TV-Stars Donald Trump habe Amerika für immer verändert.
Düsseldorf. Landesweite Proteste gegen Polizeigewalt, der Sturm auf das US-Kapitol, das Kippen des Rechts auf einen Schwangerschaftsabbruch: In den USA ist gesellschaftlich vieles aus der Balance geraten. Das Land, das einst Vorbild für andere Nationen war, versinkt aktuell in einer Spirale aus Extremismus und Unversöhnlichkeit.
So, wie die beiden großen Parteien, die Republikaner und die Demokraten, sich unversöhnlich in Washington gegenüberstehen, so finden auch die US-Amerikaner nicht mehr zueinander. Sie haben sich von sich selbst entfremdet. Beobachter von außen blicken besorgt auf die Präsidentschaftswahlen 2024, bei denen sich der amtierende demokratische US-Präsident Joe Biden und sein republikanischer, populistischer Vorgänger Donald Trump erneut ein Duell liefern könnten.
Doch erst eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit macht verständlich, wie Amerika an diesen Punkt in seiner Geschichte kommen konnte – und lässt erahnen, wohin das Land in den kommenden Jahren steuern könnte. Genau das macht Sandra Navidi in ihrem Buch.
Die deutsche Rechtsanwältin lebt seit mehr als zwei Jahrzehnten in den USA, hat eine Beratungsfirma gegründet und arbeitet außerdem als Finanzexpertin. Navidi analysiert in ihrem Buch „Die DNA der USA – wie tickt Amerika?“ auf gut 300 Seiten, wie nahe die USA an einem Bürgerkrieg stehen und was das Land an diesen Punkt gebracht hat.
In sieben Kapiteln versucht sie die Ursachen für die gesellschaftlichen Spannungen zu greifen. Obwohl die Autorin schon seit über 20 Jahren selbst in den USA lebt, hat sie sich den Blick von außen bewahrt.
Die „Alles-ist-möglich-Mentalität“
So bringt sie das Selbstverständnis der Amerikaner, das Gefühl, etwas Besonderes und besser als andere zu sein, und ihre „Alles-ist-möglich-Mentalität“ auf den Punkt. Der feste Glaube an den „American Dream“, daran, dass jeder aufsteigen könne, wenn er nur hart genug arbeite, hat dazu geführt, dass die Amerikaner einen Hang zum Wunschdenken entwickelt haben.
Sie glauben selbst dann noch daran, wenn Armut und fehlende staatliche Hilfen für viele Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner einen Aufstieg kaum möglich machen. All das hat die Menschen besonders anfällig für Fake News und Verschwörungstheorien gemacht – und solche Ansichten bis in das Weiße Haus gebracht.
Die Präsidentschaft des Milliardärs und Reality-TV-Stars Donald Trump hat Amerika für immer verändert. Noch immer leidet das Land unter dem gestiegenen Hass und der angewachsenen Gewalt gegeneinander sowie dem Misstrauen gegenüber politischen Institutionen.
Doch wer denkt, Trump sei der Anfang des gesellschaftlichen Zerfalls gewesen, irrt. Navidi legt schlüssig dar, dass die Republikaner bereits seit Jahrzehnten ihre Macht ausbauen. Sie bescheinigt den konservativen Politikern einen „Killerinstinkt“, der sie Politik nicht zum Wohl des Volkes, sondern nur zum eigenen Wohl machen lasse.
Dieser Logik folgend haben sie auch Trumps Skandale akzeptiert und geschwiegen – weil er ihnen zur Macht verholfen hat. Die republikanischen Politiker besäßen kein Rückgrat und hätten sich von Ehrlichkeit, Anstand und Ehre abgewandt, schreibt Navidi.
Scharfe Analyse der amerikanischen Gesellschaft
Diese zentrale Entwicklung ist auch mit dafür verantwortlich, dass andere Gruppen wie die radikalen Christen – die den Supreme Court, das oberste Gericht, „übernommen“ haben – und die Waffenlobby immer mehr an Einfluss gewinnen.
In ihrem Buch überzeugt Navidi mit einer scharfen Analyse der amerikanischen Gesellschaft. Die große Stärke der Autorin: Ihre Wortwahl ist schonungslos; sie hat keine Angst, die Dinge offen zu benennen: Der Sturm auf das Kapitol sei ein Putsch gewesen; die Republikaner arbeiteten an der Zerstörung der Demokratie.
Dabei gelingt ihr das Kunststück, nicht in Populismus zu verfallen oder sich mit einer Seite gemeinzumachen. Vielmehr ist ihre Analyse gut und tief recherchiert und mit vielen seriösen Quellen belegt. Das macht dieses Buch enorm lesenswert.
Auch wenn Personen wie Trump, der republikanische Fraktionsvorsitzende im Senat Mitch McConnell und Senator Lindsey Graham die Schlagzeilen der nationalen und internationalen Medien beherrschten: Die Spaltung Amerikas wäre nicht ohne die vielen republikanischen Politiker in den Bundesstaaten möglich gewesen, so Navidi.
McConnell beherrscht mit unter die Schlagzeilen der nationalen Medien.
Ein jeder von ihnen habe die Grenze des Sagbaren und Machbaren immer weiter nach rechts verschoben. Navidi nennt viele Beispiele für diese Republikaner aus der zweiten Reihe und zeigt damit einmal mehr, wie tief sie recherchiert hat. Sie hat wirklich versucht zu verstehen, wie Amerika tickt.
Navidis Analyse ist erschreckend, weil sie die Gefahr für die amerikanische Demokratie schlüssig und schonungslos aufzeigt. Dennoch verbreitet sie keinen Pessimismus, sondern den Appell, dass man mit der Verharmlosung der Ereignisse aufhören muss.
Die Amerikaner selbst hatten ihren Weckruf mit dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021. Und auch die Deutschen sollten ernst nehmen, was dort passiert. Noch gibt es laut Navidi Hoffnung, denn die Mehrheit der Amerikaner wolle weiter an der Demokratie festhalten und dafür kämpfen.
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