Shortlist Wirtschaftsbuchpreis: An der Oberfläche der Cyberkriminalität

Frankfurt. Die Neugier ist geweckt, denn selten kommt es vor, dass Vertreter der Staatsmacht in die Tasten greifen, um „einen persönlichen Einblick in ihre Arbeit“ zu gewähren. Der Murmann-Verlag verspricht einen Blick in verborgene Parallelwelten, aufgeschrieben von „Deutschlands profiliertester Cyberstaatsanwältin“ Jana Ringwald. Sie weiß: „Staatsanwälte können richtig gute Geschichten erzählen. Denn sie haben das Leben auf dem Tisch.“
Wer will daran zweifeln? Ringwald arbeitet bei einer der besten Adressen, wenn es in Deutschland um die Verfolgung von Internetkriminalität geht: der „Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität“, kurz ZIT, bei der Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main.
Die ZIT gibt es seit 2010, und sie dient dem Bundeskriminalamt als erster Ansprechpartner für Internetstraftaten mit ungeklärter örtlicher Zuständigkeit oder bei Massenverfahren gegen eine Vielzahl von Tatverdächtigen bundesweit. In anderen Worten: Hier landen die großen Fälle, die nur durch komplizierte internationale Kooperationen zu knacken sind.
Ihre Erfolge machten Schlagzeilen. Im Dezember 2023 war die ZIT vorn dabei, die Darknet-Plattform „Kingdom Market“ abzuschalten. Zehntausende Kunden hatten dort mithilfe von Kryptowährungen Drogen und Schadsoftware gekauft. Schon 2019 half die ZIT, das vergleichbare Portal „Wall Street Market“ zu zerschlagen. Drei Deutsche mussten ins Gefängnis. Diesen Fall greift Ringwald in ihrem Buch auf.
Warum Unternehmen Anzeigen oft vermeiden
Wer jedoch einen Krimi erwartet oder glaubt, eifrigen Fahndern über die Schulter sehen zu dürfen, wie diese den Tätern mit technischer Finesse auf die Spur kommen, wird enttäuscht. Ihre guten Geschichten erzählen Staatsanwälte nicht in Büchern, sondern in Anklageschriften und in Plädoyers vor Gericht. Ringwald räumt das ganz vorn im Buch sogar ein: „Eine Staatsanwältin ist zur Verschwiegenheit verpflichtet.“
So bleibt „Digital. Kriminell. Menschlich.“ an der Oberfläche. Es ist vielmehr eine Art Einführung in die Cyberkriminalität aus Perspektive der Strafverfolger geworden. Der Leser erfährt, wie das Darknet funktioniert, was mit „double extortion“ bei Ransomware-Angriffen gemeint ist oder warum Kryptowährungen lukrative Straftaten überhaupt erst möglich machen.
Jana Ringwald: Digital. Kriminell. Menschlich. Eine Cyberstaatsanwältin ermittelt
Murmann Verlag
Hamburg 2024
216 Seiten
25 Euro
Aufschlussreich sind die Passagen dazu, warum Unternehmen in vielen Fällen eine Anzeige lieber vermeiden. Nicht dass am Ende zufällig noch herauskommt, wie schlampig man intern mit Kundendaten umging oder wie stiefmütterlich IT-Sicherheit behandelt wurde. Fallbeispiele erläutert Ringwald dazu aber nicht.
Statt pikanter Details von der Jagd nach Kriminellen tauchen im Buch eher Alltagsdetails auf – etwa, dass nicht alle Internetkriminelle immer Kapuzenpullover tragen. Oder dass Akten, die von Gürteln zusammengehalten werden, intern „Gürteltiere“ heißen. Zudem irritiert, wie oft vom „Neuland“ die Rede ist. Als Ex-Kanzlerin Angela Merkel das Internet 2013 so bezeichnete, musste sie viel Spott über sich ergehen lassen. Es war ausgerechnet dasselbe Jahr, in dem das FBI mit „Silk Road“ erstmals spektakulär einen Darknet-Marktplatz hochnahm.
Ein nie endendes Katz-und-Maus-Spiel
Das ist elf Jahre her. Allmählich dürfte sich die Strafverfolgung auf die neuen Herausforderungen eingestellt haben. Ein Indiz: Fast alle Bundesländer haben mittlerweile Zentralstellen bei den Staatsanwaltschaften oder Landeskriminalämtern eingerichtet, die auf Cyberkriminalität spezialisiert sind.

Es gibt auch vorzeigbare Erfolge: Dazu zählen die Schläge gegen den Darknethandel, die Übernahme weiter Teile der Infrastruktur hinter der Schadsoftware Emotet im Jahr 2021 durch die Behörden oder die Abschaltung der kinderpornografischen Plattform „Boystown“ im selben Jahr.
Wie bei anderen Kriminalitätsarten auch müssen sich die Strafverfolger bei der Computerkriminalität auf ein nie endendes Katz-und-Maus-Spiel einstellen, das wird bei Ringwald deutlich. Dabei ändert sich der Fokus der Verfolgung. Den Hacker im fernen Russland zu verhaften mag nicht gelingen, aber vielleicht, ihm seine Kryptowährung wegzunehmen.
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