Shortlist zum Wirtschaftsbuchpreis 2021 Beispiele aus dem ganz alltäglichen Kapitalismus

Der Kapitalismus hat auch seine Tücken.
Berlin Wie das so läuft mit dem Kapitalismus im praktischen Leben, was das Geld aus Menschen macht, in diesem Fall aus ihr, Ehemann und Sohn, beschreibt die brillante US-Schriftstellerin Eula Biss in ihrem Essayband. Es geht in „Was wir haben“ um ein Selbstexperiment, um Selbsterforschung, ja um „Selbstentblößung“, wie die Autorin schreibt. „Having and Being Had“ heißt das Werk im Original, „Haben und gehabt werden“, was die ganze Doppeldeutigkeit ihrer Erfahrung beschreibt.
Kapitalismus ist hier nicht einfach Glück, sondern permanenter Zweifel, Konsum wird nicht nur gelebt, sondern auch erlitten, schließlich bedeutet „consumption“ im Englischen nicht nur Verzehr und Verbrauch, sondern auch Schwindsucht. Wenn man im System nicht aufpasst, schwinden einem die Sinne, das ist so in etwa die tiefer gelegte Moral dieses Buches.
Eula Biss schreibt– ins Deutsche übersetzt von Stephanie Singh –, wie das ist, viel Zeit in Arbeit zu stecken, um sich wichtige und schöne Dinge leisten zu können, und damit ein Leben, das Entspannung und Reflexion zurückschenken soll. Im Grunde ist es ein ewiger Tausch zwischen guter und schlechter Zeit.
Biss, die preisgekrönte Schriftstellerin, schreibt hier über ihren eigenen Erfolg und Misserfolg: Groß geworden in einem Armenviertel von Chicago, jahrelang sich irgendwie als Künstlerin in New York durchgewurstelt, immer nur Aushilfsjobs und ein Jahresgehalt von 10.000 Dollar, dann die ersten Buchverkäufe und eine Karriere als Universitätsprofessorin, schließlich ein Ziegelbungalow für 500.000 Dollar in einem gentrifizierten Stadtteil Chicagos, in dem Schwarze ausziehen müssen, weil die Weißen kommen, die zu Geld gekommen sind.
Wir erleben also Szenen aus jenem Traumland „Suburbia“, wo man mit 125.000 Dollar Haushaltseinkommen besser an der Distinktion arbeiten kann, an dem eigenen Platz in der „Gesellschaft der Singularitäten“ des Soziologen Andreas Reckwitz. Es gebe eben keine Klassen mehr, sondern nur Hunderte Klassen, beschreibt die Autorin. Und jede von diesen Klassen häufe ihre eigenen Möglichkeiten zu Bildung und Fertigkeiten an, ein „opportunity hoarding“.

Eula Biss: Was wir haben. Über Besitz, Kapitalismus und den Wert der Dinge.
Hanser
München 2021
320 Seiten
24 Euro
Biss kann – und muss – sich nun eine polnische Putzfrau und einen Eislauftrainer für den Sohnemann leisten, fühlt sich aber damit nicht sehr wohl. Der Kauf solcher Dienstleistungen gehöre ja zu jener „weißen Privilegiertheit“, die sie eigentlich ablehnt. Für Menschen aus ihrer Schicht sei „sich etwas leisten zu können“ meistens gleichbedeutend „mit einer Zurschaustellung meiner Werte, nicht meiner finanziellen Möglichkeiten“.
Mit wunderbarer Ironie und Lakonie erledigt Biss den selbst gestellten Auftrag, die Fallen und das Überleben im Kapitalismus zu beschreiben, um so ein Buch geschrieben zu haben, das sich wirtschaftlich trägt und so gewissermaßen noch mehr kapitalistischen „Masochismus“ in „Suburbia“ erlaubt.
Die ganzen Widersprüche begannen ja schon mit jenen 45.000 Dollar, die sie als Starthilfe für die Schriftstellerei von der Guggenheim Foundation bekam, findet die Autorin, Geld von der Familie Guggenheim also, die ihr Vermögen mit Rohstoffminen in ärmeren Ländern machte.
Im neuen Leben der Familie Biss ist der mit Hypotheken belastete Ziegelbungalow erst mal eine heilige Investition: „Wir leben jetzt in unserem Geld.“ Und bei der Finanzierung helfen Erträge eines Investitionsfonds, in den ein Teil ihres Lehrergehalts fließt. Dieser Fonds investiert in konventionelle Landwirtschaft, nicht aber in ethische Geldanlagen.
Hier allerdings wird die schöne Kapitalismus-Leidensgeschichte ein wenig fragwürdig, denn auch Eula Biss hat alle Freiheitsgrade, darauf Einfluss zu nehmen, was mit ihrem Geld passiert. In der doch sehr lang geratenen Reihe der Kapitalismuskritiker, die Biss in ihrem insgesamt inspirierenden Buch zitiert, ist man am Ende doch geneigt, es mit John Kenneth Galbraith zu halten: „Reich zu sein hat seine Vorteile, man hat zwar oft genug versucht, das Gegenteil zu beweisen, doch das ist nie recht gelungen.“
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