Daniel Brühl im Interview „Ich bin selbst mein größter Kritiker“

Geboren in Barcelona, aufgewachsen in Köln, erfolgreich in Hollywood: Daniel Brühl spricht über Golden Globes, Unternehmertalent und seine Tapas-Bar.
25.04.2019 - 19:55 Uhr Kommentieren
Der Schauspieler in seiner Tapas-Bar in Berlin Kreuzberg. Quelle: Daniel Hofer
Daniel Brühl

Der Schauspieler in seiner Tapas-Bar in Berlin Kreuzberg.

(Foto: Daniel Hofer)

Er gehört zu den stilleren, zu den unauffälligeren deutschen Schauspielern, zugleich aber ist Daniel Brühl aktuell der international vielleicht erfolgreichste. Einst spielte er schon in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ mit. Zuletzt war er unter anderem in dem Blockbuster „The First Avenger“ zu sehen.

Vor wenigen Monaten erst erhielt er eine Nominierung bei den Golden Globes. Aber zwischen seinen Auslandseinsätzen ist er immer auch wieder in seiner Berliner Heimat, wo er für das Handelsblatt Magazin in eine ganz andere Rolle schlüpfte: die des Gastwirts. Der Grund: In Kreuzberg betreibt Daniel Brühl die Tapas-Bar „Raval“. Dort nahm er sich zwei Stunden Zeit, um über das Filmgeschäft und die eigene Karriere zu sprechen.

Herr Brühl, wie groß war Anfang des Jahres Ihre Enttäuschung, zwar für die Golden Globes als bester Hauptdarsteller in einer Miniserie nominiert worden zu sein, den Preis für Ihre Rolle in der Netflix-Reihe „The Alienist“ dann aber doch nicht zu bekommen?
Zunächst war es vor allem eine große Freude und Ehre für mich, nach „Rush“ (einem Film über Niki Lauda, d. Red.) wieder nominiert zu sein. Als Deutscher ist es nicht so einfach, da hinzukommen. Aber in dem Moment, wenn der Umschlag geöffnet wird, juckt es einen schon. Lustiger- beziehungsweise tragischerweise hat sich die Dame, die den Preis überreicht hat, versprochen und erst „Daniel“ statt „Darren“ (Criss) gesagt.

Gibt es bei solchen Top-Preisen vorher Anhaltspunkte, wer gewinnt?
Man spürt, in welche Richtung es läuft, wer die Favoriten sind. Als neue Serie muss man sich erst etablieren, aber zum Glück drehen wir ja bald die zweite Staffel von „The Alienist“, dann können wir wieder angreifen. Ehrlich gesagt, denkt aber keiner von uns bei der Arbeit an Auszeichnungen. Wenn man das täte, hätte man ein Problem. Und am Ende ist es ja mit den Preisverleihungen relativ oft so, dass man die Entscheidungen nicht ganz nachvollziehen kann, vor allem, wenn man den Preis selber nicht bekommt.

Wie wichtig ist so eine Auszeichnung?
Es ist ein tolles Gefühl, wenn es passiert, und sicherlich nicht unwichtig, aber viel wichtiger ist das Resultat. Hat die Arbeit mich bereichert? Bin ich zufrieden mit mir und der Arbeit? Haben wir etwas Interessantes hergestellt? Springt das Publikum auf die Serie an?

Hatten Sie in diesem Fall Zweifel?
Da liegt schon eine Last auf den Schultern. Eine Hauptrolle in einer amerikanischen Serie, mit der ganzen Maschinerie, die dahintersteckt, Studio, Network, sehr viel Geld – wenn das nicht funktioniert, dann kann es schon unangenehm sein.

Aber es hat funktioniert.
Zum Glück, ja! Ich war mächtig nervös. Der spannendste Moment war für mich wirklich, als ich die ersten Zuschauerzahlen erhielt. Ich war der Einzige in unserem Team, der in Berlin lebt, also musste ich um vier Uhr morgens aufstehen. In meiner Küche hockte ich dann mit einem Kaffee und versuchte, über SMS und Mails mitzubekommen, wie die Serie in den USA angelaufen ist.

Als dann die Zahlen und Kurven kamen, habe ich erst mal nix verstanden. Daraufhin habe ich noch mal eine SMS geschickt: „Leute, sagt mir einfach: good or bad?“ Zurück kam: „Not good, VERY GOOD!“ Wochenlang saß ich da also jeden Dienstagmorgen mit meinem Kaffee und war gespannt. Am Ende ist „The Alienist“ eine der zehn erfolgreichsten Serien des Jahres geworden. Ein tolles Gefühl für uns alle und eine riesige Erleichterung.

Der Plot ist alles andere als lustig. In einer Szene schlitzen Sie einem toten Jungen im Leichenschauhaus den Bauch auf …
Ja, die Serie ist düster, aber diese Welten haben mich schon immer angezogen. Als Jugendlicher habe ich alles verschlungen, was in diese Richtung ging: Edgar Allan Poe, Jekyll und Hyde, Jack the Ripper, Sherlock Holmes.

Wie sehr beschäftigt einen so eine Rolle?
Sehr, man verbringt ja bei einer Serie wahnsinnig viel Zeit mit seiner Figur, der Vorbereitung, dem Dreh, selbst der Nachbearbeitung. Mit keiner Figur habe ich mehr Zeit verbracht als mit Laszlo Kreizler. Wenn aber eine Figur so spannend und komplex ist wie diese, dann erfüllt einen das jeden Tag aufs Neue. Und am Ende des Drehs denkt man: Was? Das war’s schon? Sieben Monate vorbei?

Mich mit einem traumatisierten Psychologen Ende des 19. Jahrhunderts in New York zu beschäftigen, die ganze Geschichte seiner Wissenschaft zu der Zeit zu ergründen, hat mir irrsinnig viel Spaß bereitet. Meine Frau, die Psychologin ist, hat mich hierbei bestens unterstützt und beraten. Sie hatte aber auch das Feingefühl, mich allein zu lassen, wenn ich das brauchte, um in Ruhe für mich die Figur und die Geschichte zu ergründen. Ich war da ja schon Papa. Meinem Baby wollte ich nicht zumuten, zu viel Zeit mit mir als Kreizler zu verbringen.

Das Alleinsein gehört bei Ihnen also zur intensiven Vorbereitung ebenso wie zum Abschalten von Rollen zwingend dazu?
Es ist sehr wichtig, in voller Freiheit für sich Dinge auszuprobieren, herumzuexperimentieren. Man muss sich ja an seine Figur herantasten und sie für sich erschaffen, die richtige Haltung finden, Sprache, Körpersprache und so weiter, bis es irgendwann klick macht und man sie versteht. Bei Kreizler bedeutete das auch, in sehr dunkle, verstörende Bereiche vorzudringen, da geht es natürlich auch um die Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen im Leben. Da ist man wie gesagt gern allein und brütet, brabbelt, brüllt.

Sie sprechen das Maß der Identifikation mit Ihren Rollen an …
Gerade am Anfang, wenn der Dreh losgeht, muss ich sehr konzentriert sein. Es ist immer ein höchst aufregender Moment, seine erste große Szene zu spielen, das ist der Moment der Wahrheit. Funktioniert all das, was ich mir überlegt habe, im Zusammenspiel? Alle sind darum bemüht, betont auf locker und lustig zu machen, aber man ist ja nicht blöd: Regie, Produzenten, das ganze Team – alle beäugen einen. Wenn ich dann merke, dass es läuft, so nach ein, zwei Wochen, bleibe ich zwar fokussiert, bin aber entspannt. Und abends zu Hause mit der Familie oder bei Treffen mit den Kollegen wird abgeschaltet und gelacht.

Loslassen-Können als Teil der Schauspielkunst des Daniel Brühl?
Genau, gerade bei einem dunklen Sujet wie diesem! Humor ist mir mit das Wichtigste. Ich ertrage nur Leute um mich herum, die humorvoll sind, und mit Dakota (Fanning) und Luke (Evans) habe ich sie gefunden. Unsere Chemie war von Anfang an sensationell, wir konnten nicht voneinander lassen – und haben auch privat fast jedes Wochenende etwas miteinander unternommen. Es ist herrlich, wenn sich echte Freundschaften durch die Arbeit entwickeln, das sieht man dann auch in der Serie.

Wie schwer ist es für einen Deutschen, in einer amerikanischen Serie zu spielen?
Ich habe selten schlechte Erfahrungen gemacht. Die Amerikaner sind offen, kooperativ, neugierig auf Leute, die von anderswo herkommen. Auch bei dem Marvel-Comic-Projekt „The First Avenger“ …

… ein globaler Milliarden-Hit …
… bin ich, obwohl ich am Anfang ziemlich nervös war, mit offenen Armen empfangen worden.

War Hollywood immer Ihr Ziel?
Ach wo, ich habe es mir nie vorgenommen, Hollywood wirkte auf mich als junger Schauspieler surreal, jedenfalls sehr weit weg. Aber natürlich war bei mir, wohl auch wegen der verschiedenen Kulturen in meiner Familie, der Wunsch da, Grenzen zu überschreiten und nicht nur auf einen Markt beschränkt zu sein. Dass sich plötzlich eine Tür in die USA öffnete, habe ich selbstverständlich vor allem Quentin Tarantino und der Rolle in „Inglourious Basterds“ zu verdanken.

Seit 2010 unterhält Daniel Brühl eine Tapas Bar in Berlin-Kreuzberg. Er wollte seine katalanische Heimat nach Deutschland holen.
Daniel Brühl

Seit 2010 unterhält Daniel Brühl eine Tapas Bar in Berlin-Kreuzberg. Er wollte seine katalanische Heimat nach Deutschland holen.

So ein Engagement kommt ja nicht von selbst, wie funktioniert das? Über Berater wie beim Fußball, sprich Agenten?
Ja, klar, die Unterstützung und Betreuung von Agenten ist enorm wichtig. Man geht da eine enge, vertrauliche Bindung ein. Gerade am Anfang muss der Agent stark für einen kämpfen, einem Rollen und Aufmerksamkeit verschaffen. Jungen Kollegen lege ich immer ans Herz, Agenten ganz vorsichtig und mit Bedacht auszuwählen.

Es gibt einige gute, aber auch sehr viele schlechte, die kein wirkliches Interesse am Aufbau einer Karriere haben, sondern eine schnelle Mark machen wollen. Meine Agentin Mechthild Holter etwa, ein Glücksgriff, wollte schon beim ersten Treffen von mir wissen, wo ich mich in zehn Jahren sehe. Sie hat sich wirklich für mich interessiert. Und dann ging es tatsächlich toll weiter, „Goodbye Lenin“, „Die fetten Jahre sind vorbei“ ...

Das klingt, als wäre Ihre Karriere ein Selbstläufer. Aber Sie sind schon auch ziemlich ehrgeizig, oder?
Ich würde mich durchaus als sehr ehrgeizig bezeichnen, ja. War ich ehrlich gesagt auch schon als Kind, als ich mit acht Jahren anfing, Hörspiele zu sprechen, und dann mit zwölf begann, als Synchronsprecher zu agieren. Ich bin da gerne mal ausgeflippt, wenn es nicht so wurde, wie ich es mir gewünscht hatte.

Können Sie mit Kritik leben?
Ich glaube, ich selbst bin mein größter Kritiker. Ich gehe wirklich hart mit mir ins Gericht, die Kritik von außen kann mich deshalb auch gar nicht so treffen. Dakota Fanning hat mich während der Dreharbeiten „Negativus destructivus“ genannt.

Dakota Fanning ist selbst noch jung …
Alter ist da kein Kriterium. Dakota hat schon im Alter von vier Jahren mit dem Job angefangen und mit sieben an der Seite von Tom Cruise in „Krieg der Welten“ gespielt. Sie könnte meine Tochter sein, wirkt aber so reif und erfahren, als wäre sie meine ältere Schwester. In unserem Dreieck mit Luke war sie die Chefin.

Sie selbst haben keine klassische Schauspielausbildung.
Richtig, ich habe früh angefangen zu arbeiten, und von meinen Kollegen gelernt. Ich hatte nie das Gefühl, dass mir fundamental etwas fehlt.

Und Sie waren nie mit Ihrem Schauspiel-Latein am Ende?
Doch natürlich, immer wieder. Das ist ja das Schöne an dem Beruf: Man hat nie ausgelernt. Dann suche ich mir Hilfe, gern auch bei einem Lehrer, Coach.

Hatten Sie für „The Alienist“ auch einen?
In diesem Fall brauchte ich vor allem einen Dialect-Coach. Dieses antiquierte Amerikanisch, das ich da sprechen musste, war nicht einfach. Ziel war es ja, ganz natürlich mit der altertümlichen Sprache umzugehen und nicht hölzern zu klingen. Das Amerikanische ist ja phonetisch ganz anders als das britische Englisch – dafür braucht man eine komplett andere Kieferstellung. Wie laut die Sprache werden kann, was für ein Volumen da im Mund entsteht! Ich habe oft fasziniert auf Dakotas Mund geschaut und gestaunt, was da so rauskommt.

Der Schauspieler erfüllte sich 2010 einen lang gehegten Wunsch.
Vor der eigenen Bar

Der Schauspieler erfüllte sich 2010 einen lang gehegten Wunsch.

Was ist Ihre Lieblingssprache? Machen Sie am liebsten spanische Filme, in der Sprache Ihrer Mutter? Oder deutsche, englische?
Deutsch ist eine großartige Sprache, zu Unrecht wird sie für eine kalte, harte Sprache gehalten. Für mich klingt sie oft weich und romantisch, bei all ihrer präzisen Klarheit. Spanisch ist eine sehr leidenschaftliche, kräftige und emotionale Sprache; ich kann wunderbar fluchen auf Spanisch, es gibt unendlich kreative Schimpfworte, ich fluche im Straßenverkehr oder beim Fußball grundsätzlich nur auf Spanisch. Und auf Englisch kannst du viele Dinge, für die wir Deutsche drei Sätze brauchen, lässig in drei Worten sagen, absolut ideal für Pop und Rock und eben Film.

Also schauspielert es sich anders auf Spanisch als auf Englisch?
Unbedingt. Es macht etwas mit der Gestik, mit der Mimik, wenn ich Spanisch spiele. Ich bewege automatisch meinen Körper stärker, meine Hände und Füße sind in Bewegung, die ganze Körpersprache ist anders. Sogar die Stimme. Meine Freunde, meine Frau sagen immer, ich spräche tiefer und männlicher, wenn ich Spanisch rede.

Das erinnert uns an eine Szene in dem Film „Ein Freund von mir“ mit Jürgen Vogel. Da sitzen Sie zunächst zu dritt auf dem Sofa, in der Mitte Sabine Timoteo. Erst reden Sie beide auf Deutsch mit ihr, dann, nachdem Jürgen Vogel gegangen ist, wechseln Sie ins Spanische, um ihr Ihre Liebe zu gestehen. Ein ziemlich starker Effekt …
Dieses Rezept hat bei mir immer super funktioniert. Schon in der Jugend. Vielleicht nicht ganz so heftig wie in dem Film. Aber es kommt immer gut an, ins Spanische zu wechseln, das macht einen interessant.

Hat Ihnen Ihre Vielsprachigkeit geholfen?
Ich bin sehr froh darüber, dass ich in einer vielsprachigen Familie aufgewachsen bin. Ich versuche, das weiterzuführen, und spreche mit meinem Sohn Spanisch. Nehmen Sie die Amerikaner, die kennen ja gar keine Fremdsprache. Als ich zu Tarantino zum Casting für „Inglourious Basterds“ musste, gab es erst mal nur ein Drehbuch auf Englisch, obwohl meine Szenen auf Deutsch und Französisch gedreht werden sollten.

Und ich hatte keinen guten Flow, war sehr nervös. Tatsächlich grantelte Tarantino ein wenig, „such a shame, I would love to listen to you doing it in French“. Und dann habe ich einfach gesagt: „Kein Problem, ich kann das ad hoc ins Französische übersetzen“ – und habe daraufhin gemerkt, dass ich viele Worte auf Französisch doch nicht kannte. Ich habe einfach teilweise auf Spanisch gesprochen. Noch am selben Tag hatte ich die Rolle.

In dem Polit-Drama spielte Daniel Brühl mit Schauspielkollegin Julia Jentsch. Quelle: ddp images
Die fetten Jahre sind vorbei

In dem Polit-Drama spielte Daniel Brühl mit Schauspielkollegin Julia Jentsch.

(Foto: ddp images)

Fühlen Sie sich eigentlich als Deutscher? Als Katalane? Oder als Spanier?
Ich bin Europäer und wirklich betrübt über die nationalistischen Tendenzen. Es hat für mich nie eine Rolle gespielt, aus welchem Teil genau ich komme, die verschiedenen Kulturen auf diesem großartigen Kontinent haben mich gleichermaßen geprägt. Als ich aufwuchs, wurden Mauern abgerissen und Grenzen geöffnet, heute weht ein anderer Wind.

Woher kommt der Bruch in den Gesellschaften?
Wir zahlen jetzt die Quittung für eine Politik, die in den letzten Jahren versagt hat, Stichwort Neoliberalismus, und die Schere ist immer weiter auseinandergegangen. Wenn dann eine Krise über uns kommt wie zum Beispiel die Flüchtlingskrise, bietet das natürlich den perfekten Nährboden für die einfachen Parolen der Nationalisten und Populisten. Und das erleben wir jetzt überall in Europa. Alte, anachronistische Ressentiments kochen wieder hoch, es wird sich an der ehemaligen Größe etwa als Welt- oder Kolonialmacht berauscht, und man meint, die Probleme allein lösen zu können – aber die sind heutzutage globaler Natur. Das schafft man nur mit Verbündeten.

Wie sehen Sie das in Ihrer zweiten Heimat, in Spanien?
In Spanien ist es so, dass die Politik in Madrid lange versagt hat, respektvoll auf die Autonomiebestrebungen zu reagieren. Die Wut und die Enttäuschung der Katalanen kann ich also durchaus verstehen, aber es geht auch um Solidarität, und Spanien ist nicht und war nicht Mariano Rajoy.

Ich habe viel im Baskenland gedreht, habe viele Freunde in Andalusien, die genauso gegen die Politik der Zentralregierung waren und sich genauso abgehängt und nicht respektiert fühlten wie die Katalanen. Und trotzdem geht es darum, so etwas gemeinschaftlich zu meistern und an einer europäischen und auch nationalen Identität mit all ihren Koexistenzen festzuhalten. Man muss nicht gleich einen eigenen Staat gründen. Ich bin froh, dass ich all das meinem zweijährigen Sohn noch nicht erklären muss.

Was genau?
Wie schnell auch vermeintlich belastbare und gefestigte Gesellschaften wieder ins Wanken geraten können, wie bewährte Wertesysteme plötzlich wieder wackeln, noch dazu in einer derart atemberaubenden Geschwindigkeit.

Wie wichtig ist Heimat für Sie?
Ich habe das große Glück, mehrere Heimaten zu haben: Barcelona, wo ich geboren bin, Köln-Ehrenfeld, wo ich aufgewachsen und im Dreikönigsgymnasium zur Schule gegangen bin, Berlin, wo ich jetzt lebe und von wo aus sich das Schauspielen sehr gut organisieren lässt.

Was steht künstlerisch an in diesem Jahr?
Zunächst London, „Kingsman“, dritter Teil, mit Matthew Vaughn. Eine sehr lustige Rolle, ein sehr großer Film. Und dann kommt Budapest, die zweite Staffel von „The Alienist“.

Und danach?
Dann mache ich meinen ersten Film als Regisseur.

Was verbirgt sich dahinter?
Ich habe mich voriges Jahr an einer Produktionsfirma beteiligt, Amusement Park Films. Vor zwei Jahren habe ich mir gedacht: Du musst deinen Einfluss erweitern. Weil meine Möglichkeiten als Schauspieler dann doch begrenzt sind. Ich wollte etwas wirklich Eigenes auf die Beine stellen, eigene Ideen verwirklichen.

Eigene Ideen?
Einen selbst gewählten Stoff umzusetzen. Ich habe das Glück, dass ich Daniel Kehlmann gewinnen konnte, wir sind befreundet.

Worum geht es in dem Projekt mit dem Bestsellerautor genau?
Das kann ich noch nicht verraten. Aber Daniel war sehr angetan von meiner Idee, da war ich sehr froh. Wir werden idealerweise Anfang nächsten Jahres in Deutschland drehen.

Daniel Brühl (M.) Schauspielkollege Eli Roth (l.) und Inglourious Basterds-Regisseur Quentin Tarantino. Quelle: FilmMagic
Filmfestspiele Cannes 2009

Daniel Brühl (M.) Schauspielkollege Eli Roth (l.) und Inglourious Basterds-Regisseur Quentin Tarantino.

(Foto: FilmMagic)

Viele Ihrer Schauspielkollegen hangeln sich von Job zu Job. Waren Sie eigentlich schon einmal arbeitslos?
Ich habe mich nie arbeitslos gemeldet, auch wenn es mal Abschnitte gab, in denen ich nichts zu tun hatte.

Mit der Produktionsfirma gehen Sie jetzt auch ins unternehmerische Risiko …
Ja, aber es ist sehr überschaubar, weil gut kalkulierbar.

Wie gehen Sie generell mit einem ökonomischen Risiko um?
Ich mache nichts Riskantes.

Was ist mit Aktien?
Mit Aktien habe ich ganz wenig zu tun gehabt. Davon habe ich auch viel zu wenig Ahnung. Ich achte einfach immer darauf, mein Geld gut und vor allem sicher zu investieren. Vertrauen ist mir dabei wichtig. Wenn ich solche Leute gefunden habe, dann habe ich an ihnen festgehalten, ob bei einer Bank, bei der Steuerberatung, bei der Agentur und anderem.

Dieses Vertrauen und diese Beständigkeit sind mir enorm wichtig. Wer mein Vertrauen missbraucht, mit dem breche ich komplett. Mich erschüttert es, wenn ich höre, dass Freunde oder Bekannte plötzlich alles verloren haben, weil sie windigen Beratern auf den Leim gegangen sind und viel zu viel riskiert haben. Ich würde nie alles auf eine Karte setzen.

Auch Gastronomie gilt als durchaus schwieriges Geschäft. Wir sitzen jetzt hier in Ihrer Kreuzberger Tapas-Bar „Raval“ …
Hier steckt sehr viel Leidenschaft drin, ein lang gehegter Wunsch. Vor knapp zehn Jahren fühlte ich mich reif genug, etwas zu wagen – mit Leidenschaft für Tapas, einem tollen Lokal und einem tollen Team. Ich wollte einen Teil meiner katalanischen Heimat hier bei mir in Berlin haben. Es hat geklappt.

Wenn ich da nur an den Abend der Eröffnung denke … Es war während der Berlinale 2010. Meine Mutter war extra gekommen. Alles war angerichtet. Und dann kam niemand. Nicht um 21 Uhr, nicht um 22 Uhr, aber um 22.30 Uhr ging es so richtig los. Und als meine Mutter dann sagte, dass die Kroketten wie in Spanien schmecken, da war ich wirklich stolz und glücklich. Im Gästebuch stehen etliche meiner Kollegen – und was für welche: Emma Thompson, Sir Ian McKellen, Benedict Cumberbatch, Clive Owen, Michael Fassbender und viele mehr. Diese Abende werde ich nie vergessen.

Herr Brühl, vielen Dank für das Interview.

Dieser Text ist entnommen aus dem Handelsblatt Magazin N°3/2019. Das komplette Handelsblatt Magazin als PDF downloaden – oder gedruckt mit dem Handelsblatt vom 26. April 2019 am Kiosk erwerben.

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