Das letzte Wort Hat Sigmar Gabriel seine Ideale verraten?

Es gab Zeiten, da verstand sich Sigmar Gabriel als Antimilitarist und empörte sich über hohe Bankergehälter. Inzwischen sieht er offenbar vieles anders.
10.03.2020 - 11:11 Uhr 3 Kommentare
Richard David Precht: Kevin Kühnert wechselt die Fronten Quelle: Michael Englert für Handelsblatt Magazin
Richard David Precht

In seiner Kolumne „Das letzte Wort“ widmet sich der Philosoph gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Themen.

(Foto: Michael Englert für Handelsblatt Magazin)

Irgendwann im Leben eines Sozialdemokraten kommt der Punkt, an dem man merkt, dass Ideale zu haben ein Fehler war. Die mit den Idealen kennt irgendwann niemand mehr. Sie lesen aus ihren mäßig erfolgreichen Büchern in kleinen schwäbischen Buchhandlungen wie Erhard Eppler, reiben sich im Alter an Waffenexporten nach Pakistan auf wie Ottmar Schreiner oder sind irgendwann einfach total vergessen wie Rudolf Dreßler.

Idealisten nennen so etwas: sich treu bleiben. Oder: in Würde alt werden. Aber Würde beschert halt kein Geld, keinen Dienstwagen, keine roten Teppiche und kein Gefühl, auf ewig unglaublich wichtig zu sein. Das beschert nur ein Aufsichtsratsposten bei der Deutschen Bank.

Und jetzt mal ehrlich: Nur weil man als 16-Jähriger unbedarft in die Goslarer „Falken“ eintrat als „Referent für antimilitaristische Arbeit“, muss man nicht sein ganzes Leben lang Sozialdemokrat, Antimilitarist und Idealist sein. Und wenn man schon bis zu seinem sechzigsten Lebensjahr warten muss, um die Fehler und Folgen dieser Jugendsünde abschütteln zu dürfen, so ist man gestraft genug.

Und da der nächste Kanzler definitiv kein Niedersachse sein wird, darf Sigmar Hartmut Gabriel, Ex-Deutschlehrer aus Goslar, Ex-Ministerpräsident, Ex-Popbeauftragter der deutschen Sozialdemokratie, Ex-SPD-Parteivorsitzender und dreifacher Ex-Bundesminister nun endlich tun und lassen, was er will.

Die ehernen Ketten, die ihn an staubige Ortsvereine, verlogene Arbeiterlieder und vermiefte Gewerkschaften schmiedeten, sind gerissen. Und niemand kann weiterhin von ihm verlangen, Reden zu halten, hinter denen man selbst nicht steht, wie jene gegen Rüstungsexporte in die arabische Welt, bei denen Deutschland „mit Blut Geld verdient“, oder solche gegen „verantwortungslose Manager“ mit „unanständigen Gehältern“ bei der Deutschen Bank, „die das Spekulantentum zum Geschäftsmodell gemacht haben“.

Das war schon damals nicht so gemeint, aber SPD-Vorsitzender ist halt SPD-Vorsitzender. Was man so sagen muss, steht halt irgendwie fest. Die „verantwortungslosen Manager“ bei der Deutschen Bank, im Aufsichtsrat die gleichen wie heute, haben das natürlich schon damals gewusst und dem Siggi sofort verziehen. Und dass das mit den „unanständigen Gehältern“ nicht so gemeint war, ist längst per Aufwandsentschädigung von bis zu 200.000 Euro im Jahr bestens dokumentiert.

Sicher, jeder in Deutschland glaubt nun, dass Sigmar Gabriel auch seine Großmutter verkaufen würde. Nur Sigmar Gabriel nicht. Er weiss, dass er seine Großmutter verkaufen würde, und zwar an die Katarer. Die sind schon seit gemeinsamen Volkswagen-Zeiten ziemlich beste Freunde. Und mochte man sie wegen ihrer Unterstützung für al-Qaida und den IS auch international geächtet haben – auf Gabriels Mangel an Idealismus war stets Verlass.

Nein, Sigmar Gabriel hat seine Ideale nicht verraten, jedenfalls nicht mir. Und deshalb darf er auch gerne Aufsichtsrat der Katarer bei der Deutschen Bank werden. Denn Banken, wie der SPD-Chef einst der „Bild“-Zeitung übermittelte, „halten sich nicht an Selbstverpflichtungen“. Und Gabriel eben auch nicht. Und die Katarer sowieso nicht. Da wächst zusammen, was zusammengehört.

Und all die Nörgler und Neider sollen jetzt mal getrost die roten Fäuste senken. Da ist Gabriel unmissverständlich: „Was sollen Politiker eigentlich machen, wenn sie ihre Laufbahn beendet haben? Sie sollen keine vorzeitigen Pensionen beziehen, sie sollen nicht zu Lobbyisten werden, und eigentlich sollen sie auch nicht in die Wirtschaft gehen. Was denn dann?“

Tja, vor dem Problem steht natürlich jeder, der in Rente geht. Wie gibt man der Gesellschaft etwas zurück? Manche engagieren sich bei Amnesty International, manche leisten Nachbarschaftshilfe, manche trainieren Ortsvereine. Jeder findet etwas, was er kann, selbst Gabriel.

1989/90 gab er Deutschkurse für Ausländer beim Bildungswerk Niedersächsischer Volkshochschulen. Da gibt es heute regen Andrang an Geflüchteten, vertrieben auch durch katarische Waffen. An die Arbeit, Siggi!

Dieser Text ist entnommen aus dem Handelsblatt Magazin N°1/2020. Das komplette Handelsblatt Magazin als PDF downloaden – oder gedruckt mit dem Handelsblatt vom 06. März 2020 am Kiosk erwerben.

Mehr: Ist zu viel Glück Gift für die Ökonomie?

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3 Kommentare zu "Das letzte Wort: Hat Sigmar Gabriel seine Ideale verraten?"

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  • Ehrlich gesagt ist es mir ein Rätsel, dass jemand der
    Mathematik für in den Schulen obsolet erklärt, hier eine Bühne erhält. Da kann eigentlich nichts Ernsthaftes mehr kommen.

  • Vielleicht war Herr Gabriel immer nur ein "verkappter" Sozi?
    Herr Schröder hat es halt im Großen vorgemacht. Ich bin da dem Siggi nicht zwangsläufig böse.

  • ...der "arme" Siggi...keinem kann er's recht machen....na jedenfalls mir nicht ;-)

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