Das Prinzip Wolkenkratzer Himmel ohne Grenzen

Wer an Venedig denkt, dem fallen Gondeln ein, der Markusplatz, die bunten Karnevalsmasken. An Wolkenkratzer denkt niemand. Warum auch, sind die höchsten Gebäude hier doch schwimmende Wohnblöcke, die sich mit Namen wie „MSC Musica“ oder „Aidablu“ durch die Lagune dieseln. Klar, es gibt auch noch den Campanile, den 99 Meter hohen Markusturm – aber das war’s dann auch.
Und doch ist Venedig die weltweite Keimzelle der Wolkenkratzer-Wissenschaft. Hier an der Universität (drei Stockwerke) erforschen sieben Ingenieure und Architekten die Zukunft der Mega-Hochhäuser. Sie schreiben Studien zu Aufzügen, forschen zu Dämpfungssystemen, die Gebäude weniger schwanken lassen, beschäftigen sich mit feuerfesten Fassaden.
Verantwortlich dafür ist Dario Trabucco. Der Architekt lebte 2013 für ein Jahr in Chicago, Geburtsstadt der Wolkenkratzer, 1885 entstand dort das erste Hochhaus der Welt, 42 Meter hoch. Trabucco arbeitete in Chicago für die Non-Profit-Organisation „Council on Tall Buildings and Urban Habitat“, den weltgrößten Zusammenschluss von Baufirmen, Entwicklern und Stadtplanern sowie Hütern der „Skyscraper Database“, der detailliertesten Datenbank über Wolkenkratzer.
Als der Chef der Chicagoer Forschungsgruppe aufhörte, bewarb sich Trabucco. Er bekam die Stelle – und nahm das Research-Center 2014 mit in seine Geburtsstadt Venedig. Anfangs zu zweit, sind sie heute sieben Kollegen. „Wir befinden uns im Jahrhundert der Wolkenkratzer“, sagt der 37-Jährige begeistert.
Die Daten geben ihm recht: 2016 wurden 128 Gebäude fertiggestellt, die höher als 200 Meter sind. Dieses Jahr sollen es 150 sein – so viel wie nie. „Wenn in den Achtzigern ein Wolkenkratzer entstand, war das meist ein Büroturm in den USA“, sagt Trabucco. Heute boomt der Vertikalbau vor allem in China. Neue Millionenstädte entstehen – und mit ihnen der Bedarf an Wohn- und Arbeitsraum, aber auch an Symbolik. Allein in Shenzen kamen 2016 elf Wolkenkratzer dazu. Ein Großteil der Türme sei „mix-used“, erklärt Trabucco. Die Bauherren öffnen ihre Objekte für Hotels, Büros, Apartments, Aussichtsplattformen. Das streut das Risiko. Denn: Je höher hinaus es geht, desto teurer wird es.
„Zwei Hochhäuser mit 200 Meter Höhe zu bauen ist viel billiger als eines mit 400“, weiß Trabucco. Wer sich einen 800-Meter-Bau in die Wüste stellt, will sich vor allem ein Denkmal setzen. So wohl auch in Jeddah, Saudi-Arabien: Der Tower, der dort gerade entsteht, soll einmal einen Kilometer hoch sein. Ein Kilometer, ist das die Grenze? „Nein“, sagt Trabucco. „Rein technisch können wir auch zwei Kilometer hohe Türme bauen.“ Am Ende braucht es wohl nur jemanden, der den Wahnsinn bezahlt.
Dieser Text ist entnommen aus dem Handelsblatt Magazin N°6 – November 2017. Weitere Themen im neuen Heft sind u.a.:
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