Fotograf David Bailey „Ich möchte nicht von Deutschland regiert werden"

Der Fotograf David Bailey hat mit seinen Werken Stars Denkmäler gesetzt – und für den Brexit gestimmt. Ein Besuch bei einer lebenden Legende.
07.04.2019 - 12:21 Uhr Kommentieren
„Im Buch sind mehr als 300 Fotos. Das waren alles magische Momente“, sagt der britische Fotograf. Quelle: Getty Images
David Bailey

„Im Buch sind mehr als 300 Fotos. Das waren alles magische Momente“, sagt der britische Fotograf.

(Foto: Getty Images)

London Vielleicht verrät schon David Baileys Fahrstil einiges über die Wurzeln des Brexit-Dramas, in dem seine Landsleute gerade feststecken: nicht groß umschauen, immer ein bisschen zu schnell, immer ein bisschen schlingernd. Der 81-Jährige macht keine Gefangenen, wie er da in seinem schwarzen Mercedes SL 400 durch das Gässchen vor seinem Londoner Studio donnert.

Wer jetzt nicht ausweicht, hat selbst Schuld. „Ach so, Sie wollen zu mir?! Und ich dachte gerade: Wer ist dieser verfluchte Idiot mit seinem Smartphone?“, raunzt er zur Begrüßung. „Typisch Fußgänger!“ Er hätte auch sagen können: typisch Europäer!

Das ist sie also, die britische Höflichkeit im Jahr 2019. Zu sagen, Bailey sei direkt, wäre eindeutig Understatement. Bevor das Interview losgeht, mustert er seinen Gesprächspartner wie vor einem seiner legendären Fotoshootings. Als London sexyer, glamouröser, frecher und avantgardistischer war als alle anderen Metropolen, kam auch Bailey groß raus.

Damals dröhnten die Swinging Sixties durch die Stadt, die Frauen trugen Miniröcke, Drogen waren ähnlich wichtig wie Sex. Selbst aus einfachen Teenagern von der Straße wurden Supermodels wie Twiggy oder Jean Shrimpton. Und mittendrin in diesem Disco-Hippie-Modehype stand Bailey mit seiner Kamera.

Insofern wirkt sein Studio in der Nähe des Bahnhofs King’s Cross heute wie aus einer Zeitkapsel geplatzt. Das Erdgeschoss beherbergt eine Dunkelkammer, die Bailey immer noch für die Entwicklung seiner Bilder nutzt. Geht man die schmale Treppe nach oben in den Hauptteil des Studios, hängen da seine bekanntesten Aufnahmen: wundervolle Schwarz-Weiß-Fotos von Paul McCartney und John Lennon, Bilder der legendären East-End-Gangster Reggie und Ronnie Kray, sein berühmtes Bild von Mick Jagger im Pelz – und jede Menge schöne Frauen.

Im April bringt der Taschen-Verlag ein Best-of von Baileys Porträtaufnahmen als limitierten Bildband im übergroßen Sumo-Format heraus. Das Ergebnis ist eine fotografische Zeitreise durch die Jahrzehnte, Panoptikum eines Lebenswerks. Baileys Meilensteine sind unter anderem auch Großbritanniens Höhepunkte – von den Beatles bis zur Queen, von den Stones bis zu Kate Moss.

Mister Bailey, was macht man als lebende Legende im Alter?
Ich arbeite immer noch jeden Tag und bin selten krank – und das seit inzwischen mehr als 60 Jahren. Es geht mir ziemlich gut. Man könnte sagen: Ich bin ein verdammter Glückspilz.

Wie viel arbeiten Sie täglich?
Wenn ich arbeite, gucke ich nicht auf die Uhr. Um Ihnen eine Antwort zu geben: Normalerweise komme ich irgendwann gegen zehn Uhr hier rein und gehe nachmittags wieder, wahrscheinlich so gegen vier. Vergangene Woche hatte ich ein zweitägiges Modeshooting. Das war anstrengend. Eine bizarre Erfahrung. Modemenschen sind sehr seltsam.

Sie fotografieren doch eigentlich kaum noch Mode …
Das stimmt. Aber ich war eben neugierig – ein Fehler.

Was ist passiert?
Lange Zeit nichts, das war ja das Problem. Die Bildbearbeiterin war laaaaaaangsaaaam. Sie hat allein zwei Stunden damit zugebracht, einen Schal auszuwählen, mit dem sie das Original auf dem Foto überdecken konnte. Was für ein Unsinn! Das ist einer der Gründe, warum ich Digitalfotografie nicht ausstehen kann.

Sie fotografieren nie digital?
Natürlich mache ich das! Für große Projekte fotografiere ich aber nach wie vor nur auf Film. Aktuell arbeite ich zum Beispiel wieder viel mit Polaroids. Nicht viele haben die Technik noch drauf. Andere würden das, was ich mache, womöglich als Fehler betrachten. Ich sehe darin Kunst. Kunst hat viel mit gesundem Menschenverstand zu tun. Zum Glück wissen das nicht viele Fotografen.

Den Sumo-Bildband „David Bailey“ von Taschen (Größe 50 x 70 cm) gibt es mit Signatur und Buchständer in vier Covervarianten: Jean Shrimpton, John Lennon und Paul McCartney, Andy Warhol – und Mick Jagger. Preis: 2.500 bis 12.500 Euro.(Foto: David Bailey / Taschen)
Groß und schwer

Den Sumo-Bildband „David Bailey“ von Taschen (Größe 50 x 70 cm) gibt es mit Signatur und Buchständer in vier Covervarianten: Jean Shrimpton, John Lennon und Paul McCartney, Andy Warhol – und Mick Jagger. Preis: 2.500 bis 12.500 Euro.

(Foto: David Bailey / Taschen)

Die einzelnen Kapitel in Ihrem neuen Bildband führen durch die unterschiedlichen Phasen Ihres Schaffens. Gibt es eigentlich irgendein Jahrzehnt, in das Sie gerne zurückreisen würden?
Das aktuelle, immer nur das aktuelle. Alles andere ist doch nur Vergangenheit. Henri Cartier-Bresson hat das mal den „entscheidenden Augenblick“ genannt. Es sind diese magischen Momente, die Fotografie als Kunstform besonders machen. Wenn du tot bist, bist du tot, der Rest sind Erinnerungen. Es gibt da ein Lied von Barbara Streisand … (Bailey fängt an zu singen:) Memory-yyyyyy. Egal, was war die Frage?

Haben Sie einen Lieblingsmoment, den Sie noch mal erleben möchten?
Nein, das mit den Lieblingen habe ich aufgegeben, als ich sechs war. Damals war meine Lieblingsfarbe Blau. Heute hasse ich Blau. Im Buch sind mehr als 300 Fotos. Das waren alles magische Momente.

Tatsächlich hat Baileys Arbeit fast etwas Seherisches. Viele der Berühmtheiten, die er früh porträtiert hat, erlebten ihre ganz großen Karrieren erst nach ihrer ersten Begegnung mit Bailey, darunter Rolling-Stones-Frontmann Mick Jagger, der später sogar Baileys Trauzeuge wurde.

Oder der stets seriöse Michael Caine, den Bailey als abgehalfterten East-End-Arbeiterjungen mit Zigarette im Mund inszenierte. „Allein die Tatsache, von Bailey fotografiert worden zu sein, galt für viele als Statussymbol“, schreibt Francis Hodgson, Professor für Fotografiegeschichte an der University of Brighton, über Bailey in dem Taschen-Bildband.

Ihre ersten Bilder von Mick Jagger – wie ist es eigentlich dazu gekommen?
Mick ist ein guter Freund. Er war damals mit der Schwester von Jean Shrimpton zusammen. So haben wir uns kennen gelernt. Es war also Zufall.

Aber Sie müssen ja irgendetwas an ihm sofort interessant gefunden haben.
Sein Aussehen. Er sieht einfach fantastisch aus. Ich habe ihm diese Pelzkapuze angezogen. Viele haben danach das Gleiche probiert, aber es hat einfach nicht gut ausgesehen bei den anderen.

Auch Ihre Bilder von Paul McCartney und John Lennon gelten heute als ikonisch. Was war da der magische Moment?
Ich habe genau in dem Moment auf den Auslöser gedrückt, als sich die beiden nicht angeschaut haben. Schon damals wusste ich, dass sie sich nicht grün waren. Ich habe es womöglich sogar vor ihnen selbst gewusst.

Wie erkennt man einen Superstar, der noch gar keiner ist?
Ich habe in meinem Leben viele gute Models gesehen. Aber die beiden großartigsten, die ich je fotografiert habe, sind Jean Shrimpton und Kate Moss. Sie haben etwas, das ich nicht erklären kann. Die Kamera liebt sie. Ich bin sehr glücklich, dass ich am Anfang und am Ende meines Lebens zwei so einzigartige Models kennen gelernt habe. Dafür gibt es kein Rezept.

Man muss über Frauen sprechen, wenn man über Bailey redet. 40 Jahre lang hat er die Modefotografie geprägt. In den Sechzigern war Bailey einer der wenigen festangestellten Fotografen der „Vogue“ und, das muss man dazusagen, einer der wenigen heterosexuellen Modefotografen überhaupt. Jerry Hall, Isabella Rossellini, Cindy Crawford, Naomi Campbell, Kate Moss – die Liste der Frauen ist lang, die von Bailey in Szene gesetzt wurden.

Der britische „Guardian“ hat einmal über den Fotografie-Altmeister geschrieben: „Bailey hat wunderschöne Frauen fotografiert, schlief mit ihnen und hat sich mit einigen wenigen häuslich eingerichtet.“ Auch mit Shrimpton hatte Bailey mehrere Jahre eine Affäre, für sie verließ er seine damalige Ehefrau Rosemary Bramble. Seit Mitte der Achtziger ist er mit dem Model Catherine Dyer verheiratet. Es ist Baileys vierte Ehe.

Für jemanden, der nicht dabei war – wie müssen wir uns Swinging London vorstellen?
Zunächst einmal: Ich mag den Ausdruck nicht. Der kam von Leuten, die nicht aus London waren und ihren Spaß haben wollten, wenn Sie verstehen, was ich meine. Der eigentliche Kern der Bewegung kam sehr stark aus der Arbeiterklasse. Das waren in London vielleicht 3.000 Leute, würde ich sagen.

Was war das Ziel der Bewegung?
Eine Stimme der Arbeiterschaft zu sein. Wenn Sie damals mit Cockney-Dialekt gesprochen haben, konnten Sie bestimmte Jobs vergessen. Man hätte Sie zum Beispiel nie in einer Bank hinter den Schalter gestellt. Nicht, dass das damals für jemanden erstrebenswert gewesen wäre, aber ungerecht war es trotzdem.

Sie stammen selbst aus einer Arbeiterfamilie. Wie kamen Sie an den „Vogue“-Job?
Das frage ich mich ehrlich gesagt auch hin und wieder. Vielleicht war es mein Charme, hahaha! Was man aber nicht vergessen darf: Ich habe damals auch noch viele andere Dinge gemacht. Zum Beispiel habe ich Regie in Hunderten Werbespots geführt. Das hat das meiste Geld gebracht. Aber darüber spricht keiner.

Ihr eigener Sohn arbeitet mittlerweile ebenfalls als Fotograf. Haben es Fotografen heute schwerer oder einfacher als früher?
Es ist fast zu einfach geworden. Die Leute geben sich mit dem, was ihr iPhone oder was Instagram hergibt, zufrieden. Das ist der neue Standard. Und es ist ein Scheißstandard, wenn Sie mich fragen.

Sie haben doch selbst einen Instagram-Account.
Ja, aber das macht meine Assistenz für mich. Wir nutzen ihn für meine Kunst.Wenn man bedenkt, dass Sie ein wahrer Chronist der britischen Gesellschaft waren …
Ach, hören Sie auf!

Was hat sich abseits der Fotografie an der Seele Ihres Landes verändert?
Ich finde solche Massenbetrachtungen schwierig. Es ist immer der Einzelne, der zählt. Und der Einzelne, der Veränderungen bewirkt.

Und was denkt das Individuum Bailey über den Brexit?
Ich weiß nicht. Für mich sind das nur ein Haufen mittelgewichtiger Politiker, die sich nicht einigen können. Was wir dringend brauchen, ist gesunder Menschenverstand. Und Pragmatismus. Vielleicht sollten wir Herrn Trump fragen, ob er uns nicht unterstützen will. Ich sage nicht, dass er es richtig machen würde, aber er würde sicher einen Haken hinter die Sache bekommen.

Haben Sie beim Referendum eigentlich für oder gegen den Brexit gestimmt?
Ich habe für „Leave“ gestimmt. Ich möchte nicht von Deutschland regiert werden. Nicht dass Sie mich falsch verstehen, ich habe nichts gegen Deutschland ...

... aber?
Ihr dominiert den Binnenmarkt in der Europäischen Union. Und wenn wir weiter ein Teil davon bleiben, werden wir uns Deutschland beugen müssen. Aus meiner Sicht ergibt es keinen Sinn, dafür Geld auszugeben.

Selbst die „Vote Leave“-Kampagne hatte nach dem Referendum zugegeben, dass die Zahlen übertrieben waren.
Nun, alles ist doch irgendwie eine Lüge. Wir leben im Zeitalter der Fake News. Früher haben wir der Kirche die ganze Macht gegeben, heute sind es eben Politiker.

Welche Zukunft hat Ihre Premierministerin Theresa May?
Ich finde, Sie macht einen guten Job. Wer würde denn gerne in ihrer Position sein? Niemand, glaube ich. Ich kann mir zumindest niemanden vorstellen, der sich da nach vorn drängt.

Und Sie selbst: Denken Sie manchmal daran, sich zur Ruhe zu setzen?
Man freut sich doch nur auf den Ruhestand, wenn man etwas nicht gerne macht. Und ich liebe, was ich tue. Alles daran. Ich liebe es, Filme zu machen, Skulpturen zu bauen, zu malen, zu fotografieren. Warum sollte ich mit etwas aufhören, das mir so viel Freude macht? Um vielleicht Tomaten zu züchten? Nein danke, so weit bin ich noch nicht. Ich bin noch nicht bereit zu sterben.

Dieser Text ist entnommen aus dem Handelsblatt Magazin N°2/2019. Das komplette Handelsblatt Magazin als PDF downloaden – oder gedruckt mit dem Handelsblatt vom 22. März 2019 am Kiosk erwerben.

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