Kolumne von Richard David Precht Sintflut und Sinkflug

Kann man den Grünen wirklich vorwerfen, dass sie „zukunftsfähig“ sind und „Realpolitik“ machen? Na ja, man kann. Über den Verrat der Grünen an sich selbst – und was Regierungsfähigkeit mit Realität zu tun hat.
05.11.2017 - 08:35 Uhr 1 Kommentar
Richard David Precht: Kevin Kühnert wechselt die Fronten Quelle: Michael Englert für Handelsblatt Magazin
Richard David Precht

In seiner Kolumne „Das letzte Wort“ widmet sich der Philosoph gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Themen.

(Foto: Michael Englert für Handelsblatt Magazin)

Man muss nicht alles glauben, was man weiß. Zum Beispiel über die Plünderung unseres Planeten. Oder über den Verbrauch an Bodenschätzen und Energie durch die Industrieländer. Oder über den Klimawandel und die neue Sintflut. Dass wir in einigen Jahrzehnten keine von Menschen bewohnbare Erde mehr vorfinden werden, wie so viele Ökologen warnen. Oder dass gewaltige Migrationsströme von Klima- und Umweltflüchtigen nach Europa drängen werden, die kein Zaun und keine Unter- oder Obergrenze aus Stacheldraht und Worten aufhalten wird.

Jeder weiß es, aber keiner glaubt es! Nicht einmal die Grünen. Die rechnen uns lieber vor, wie wir weiter prima leben und Energie sparen können, ohne zu verzichten. Ein Energiesparhaus reicht aus, etwas Carsharing und wennʼs unbedingt sein muss: ein Veggie Day. Keine andere Parlamentariergruppe fliegt so viel wie die Abgeordneten der Grünen, hat der Umweltökonom Niko Paech errechnet. Er fragt, wie oft ein Vielflieger in die USA fliegen darf, bis er das an CO2 verprasst hat, was er ein Leben lang mit seinem Energiesparhaus gespart hat. Die Antwort: ein einziges Mal! Und schon vor Erreichen des Atlantiks geht’s steil im Sinkflug nach unten.

Als Grüner hört man das gar nicht gern. Denn wenn man glaubt, was man weiß, ist man nicht regierungsfähig. Regierungsfähig zu sein bedeutet heute, die Realität nicht allzu ernst zu nehmen.

Dieser Text ist entnommen aus dem Handelsblatt Magazin N°6 – November 2017. Weitere Themen im neuen Heft sind u.a.:

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  • Bild der Frau: Wie der Pirelli-Kalender von der Spind-Deko zum Kulturgut werden konnte.
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    Deshalb stellen die Grünen auch, wann immer es geht, den Außenminister. Wer so einen tollen Posten kriegt, kann den Rest seiner Forderungen nicht mehr durchsetzen. Dann braucht man also gar keine grüne Politik mehr zu machen und kann ständig fliegen. Und ein E-Auto muss der künftige Außenminister auch nicht fahren. Denn das gibt es im Auswärtigen Amt gar nicht. Übrigens ebenso wenig wie beim Bundesnachrichtendienst. Der hat 614 Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor und – jetzt kommtʼs – sogar drei Wohnmobile! Denn wo lässt sich der Terrorist besser aufspüren als auf dem Campingplatz? Wennʼs um Duschen und Abwasserstationen geht, ist jeder eines jeden Feind. Der ideale Platz für die Blitzradikalisierung.

    Kaum kommt man auf der Wiese an, schon ist man ein Taliban.

    Aber Ernst beiseite. Kann man den Grünen denn wirklich vorwerfen, dass sie „zukunftsfähig“ sind und „Realpolitik“ machen? Na ja, man kann. Denn was immer grüne Politik an Zukunftsfähigem in den nächsten vier Jahren hervorbringt, enkeltauglich ist sie nicht. Wird man den innerdeutschen Luftverkehr abschaffen, wie man einst wollte und heute mehr müsste denn je? Wird man die Kühe und Schweine aus den Stehsärgen der Massentierhaltung befreien? Oder zumindest Frieden schaffen mit immer weniger Waffen?

    Nein, kein Eisberg wird durch die Grünen gestärkt, nur ein paar Egos. Kein Eisbär gerettet, nur ein paar Pensionen. Kein Rüstungsetat gekürzt, nur ein paar Ideale. Realpolitik besteht darin, die Realität nicht zu sehen, nicht mal die der eigenen Kinder und Enkel.

    Doch warum sollen ausgerechnet die Grünen hier eine Ausnahme machen? Die anderen sind ja nicht besser. Schließlich befindet sich die deutsche Wirtschaft in einem Wettbewerb, und der wird global immer härter. Da endet jeder ökologische Wunsch schnell als Traum. Und der Konsument will alles, und zwar sofort, bis der letzte Traum in ihm zu Staub verdorrt. Den Konsumenten darf man um nichts in der Welt verschrecken, denn der soll einen ja wählen.

    Nein, so, wie die Grünen es jetzt machen, machen sie es richtig. Und sie werden es noch immer richtig gemacht haben, wenn sie hochbetagt auf der Schwäbischen Alb in ihren voll isolierten Energiesparhäusern sitzen, sich mit Bionade zuprosten, dem in den Fluten versunkenen Jamaika nachträumen und dem Weltuntergang zusehen.

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    1 Kommentar zu "Kolumne von Richard David Precht: Sintflut und Sinkflug"

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    • " dem in den Fluten versunkenen Jamaika nachträumen und dem Weltuntergang zusehen."
      Der Herr 'Philosoph' ist in seinem Elfenbeinturm so von der Wirklichkeit isoliert, dass er noch nicht einmal weiß, dass es sich bei Jamaika NICHT um ein Atoll handelt.

      Im Grunde ist der ganze Textbrei nebbich.

      Was mich wirklich aufregt: wieso bezahlt das HB solch einen Dampfplauderer, der sich offenbar auf dem Standpunkt alles oder nichts ausruht, da jemand, der nicht alles richtig macht, für ihn inkonsequent ist und daher besser gar nichts richtig zu machen sei, so wie er es treibt, Das ist dann zwar hahnebüchener Bockmist, aber konsequent und daher zu loben.

      Wieder ein Grund, die Finanzierung dieses Blattes nicht zu übertreiben ;-)

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