Modeschöpfer Brunello Cucinelli Ein Milliardär als Philanthrop

Brunello Cucinelli in der Schneiderschule seines Unternehmens am Firmensitz im umbrischen Solomeo.
Solomeo Es ist 13 Uhr in Solomeo. Die Uhr im Kirchturm des mittelalterlichen Örtchens im Herzen von Umbrien schlägt, und alle lassen ihre Arbeit liegen: die Designer, die Näherinnen, die Schüler der Schneiderschule, die Mitarbeiter in der Verwaltung.
Mittagspause bis 14.30 Uhr. Der Chef will das so. In der holzverkleideten Firmenkantine mit ihren großen Fenstern wartet schon die Pasta, die wie die flankierende Tomaten-Ricotta-Sauce und das Olivenöl aus eigener Herstellung stammt. Später, um Punkt 17.30 Uhr, ist Feierabend. Danach dürfen – wie auch übers Wochenende – keine Firmen-Mails mehr verschickt werden. Auch das will der Chef so.
Willkommen in der Cucinelli-Welt! „Ich arbeite acht Stunden am Tag, wie alle anderen“, sagt Brunello Cucinelli, Kaschmir-Stylist, der sich in den vergangenen 42 Jahren hier sein eigenes Reich erschaffen hat. „Jeder muss auch Zeit für sich selbst haben. Das sagte schon der Heilige Benedikt von Nursia.“
Und das soll auch für den Patriarchen in Solomeo gelten, wenn er nicht gerade auf der Herrenmodemesse Pitti Uomo, auf der Mailänder Modemesse oder auf Weltreise zu seinen Boutiquen ist – stets elegant im maßgeschneiderten Sakko und in weißen Hosen, seinem Markenzeichen.
„Es ist wichtig, im richtigen, das heißt in einem schönen Ambiente zu arbeiten, denn die Nachhaltigkeit ist Teil der Humanität“, erklärt er seine Philosophie. Dazu gehören für ihn „ein angemessenes, etwas höheres Gehalt, die richtige Arbeitszeit, die richtige Zeit, erreichbar zu sein, und das richtige Gleichgewicht von Profit und Geben“.
Im krisengeplagten Italien staunt man über diesen Unternehmer und seine Ansichten. Und alle wollen bei ihm arbeiten: „Wir haben rund 70.000 Bewerbungen pro Jahr.“
Er umgibt sich mit Philosophen und Kaisern
Das schöne Ambiente für sich und seine 1700 Angestellten hat sich der 66-Jährige nach und nach aufgebaut. Erst kaufte er Mitte der 80er-Jahre im Herzen des Dorfs die Burg, die seit Jahrzehnten leer gestanden hatte. Cucinelli renovierte, kaufte zu, bis ihm der ganze Flecken gehörte. Er richtete eine Boutique ein, Werkstätten und eine Schneiderschule. Dann kam das Hauptquartier hinzu, nicht weit entfernt, im Tal unterhalb der Burg, wo die edlen Kaschmirteile entstehen und die Verwaltung sitzt.
In seinem riesigen, ganz in Weiß gehaltenen Büro mit dem meterlangen Schreibtisch und den mit grauem Kaschmir bezogenen Sesseln empfängt er Geschäftspartner aus aller Welt und Gäste wie den italienischen Premier Giuseppe Conte oder auch Amazon-Chef Bezos.
„Meinem Freund Jeff gefiel die große Büste von Kaiser Hadrian, die vor dem Büro steht, so gut – also habe ich ihm eine Kopie geschenkt“, erzählt er. Cucinelli umgibt sich mit Philosophen und Kaisern. Seine Sätze spickt er gern mit Zitaten von griechischen Denkern, römischen Potentaten und mittelalterlichen Kirchengelehrten.
Übers Geschäft redet er weniger offen, direkten Fragen nach Umsatz und Cashflow geht er elegant aus dem Weg. Immerhin: Im vergangenen Jahr setzte das Unternehmen 608 Millionen Euro um, ein Plus von neun Prozent. In der nächsten Dekade soll sich die Zahl verdoppeln.
Trotzdem spricht Cucinelli lieber über Harmonie, Schönheit, die Schöpfung an sich. „Ich wollte immer Profit machen, aber mit Ethik und moralischer Würde.“ Er kann es sich leisten, denn er ist einer der erfolgreichsten Unternehmer Italiens. Oder brachte gar erst seine Philosophie auch den Umsatz?
Cucinellis Luxusunternehmen floriert jedenfalls. Die Marktkapitalisierung liegt bei 2,3 Milliarden Euro. In den sieben Jahren seit dem Aktienstart ist der Börsenwert im Schnitt um elf Prozent pro Jahr gewachsen. Und weiterhin ist der Konzern fest in der Hand der Familie.

Einblicke in die Produktion der Mode von Brunello Cucinelli.
Acht Prozent vom Umsatz steckt man in neue Investitionen, in Modernisierungen der Boutiquen und der Showrooms, in den E-Commerce und ins Internet. „Aber keiner wird je die Frau ersetzen, die von Hand die Perlen auf die Pullover stickt“, sagt er.
Cucinelli ist ein Philanthrop, der seine Gedanken erlebbar machen will: Während er spricht, zeichnet er mit einem Bleistift die Schlüsselbegriffe seiner Philosophie auf, so, als würde er ein Kleid entwerfen, und malt große Kringel um jedes Wort: Würde der Arbeit, das Gleichgewicht von Geben und Nehmen, Nachhaltigkeit, die Bewahrung der Schöpfung.
Bei ihm sind die Begriffe weder PR-Gag noch „Marketing-Tool“. Er war schon „sustainable“, als die Branche den Begriff noch ratlos beäugte. Und er wird es noch immer sein, wenn auch der Letzte in der Branche erkannt hat, dass das „Greenwashing“ vieler Modeunternehmen kontraproduktiv ist.
Die Kundinnen und Kunden sind nicht dumm. „Ich arbeite mit Kaschmir, weil ich schon damals dachte: Das wirft man nicht einfach weg“, erklärt er. Seine Stücke sind teuer, Luxus eben, aber auch für viele Jahre und von Hand gemacht. Er habe eine eigene Abteilung für Reparaturen, erzählt Cucinelli. Nur selten könne er selbst sich von einem Kleidungsstück trennen.
In München begann der Aufstieg
„Meine Art zu leben und zu arbeiten kommt vom Land, das sind meine Wurzeln“, sagt er und zeigt aus dem Fenster. Sein Großvater und sein Vater, 98 Jahre alt, waren arme Bauern. Brunello wuchs noch ohne Strom und fließendes Wasser auf. Diese Demut verliert man nie. 1978 gründete er – als völliger Autodidakt – sein Kaschmir-Imperium.
Als er neulich in München seinen neuen Flagship-Store in der Maximilianstraße eröffnete, erzählte er, wie er Mitte der Achtziger mit den ersten Pullovern über die Alpen nach Deutschland kam. Und dass mancher Geschäftskontakt von damals längst zu einer Freundschaft geführt habe.
Der Profit ist nicht mehr das einzige Ziel eines Unternehmens, die Humanität ist das Ziel.
Überhaupt legte er in Deutschland den Grundstein für seine Karriere: „Sonst wäre ich heute nicht hier“, sagt er. 1985 fuhr er mit seinen bunt gefärbten Pullovern – eine Idee, wie sie zu jener Zeit auch die Benettons mit ihrer Baumwollware hatten – nach München zur Messe. Er nahm sich eine Suite im Hilton und bat seine Freunde, für möglichst viel Getöse zu sorgen, um die anderen Einkäufer neugierig zu machen. Das funktionierte.
Cucinelli verkaufte seine ganze Kollektion und hatte damit den Grundstock für die Expansion gelegt. Noch heute staunt er über die gute Zahlungsmoral der Deutschen: „Mit der Post kam der Scheck in D-Mark, das war für einen Italiener einfach unglaublich.“ Heute nennen sie ihn in Umbrien „den Deutschen“.
Und der smarte Italiener arbeitet weiter an seinem Ziel, der Würde der Arbeit. Jeder Geschäftspartner bekommt neuerdings einen Zehn-Punkte-Plan, in dem es unter Punkt 1 heißt: „Es würde uns gefallen, wenn eure Arbeitsstätten einladend und liebenswert wären.“ Punkt 4: „Es würde uns gefallen, wenn eure Mitarbeiter in der Zusammenarbeit mit unserem Unternehmen die ‚richtigen‘ Arbeitsstunden arbeiten.“ Und Punkt 6: „Wir halten es für schön, wenn ihr in eurem Handeln immer an den Respekt und die Entwicklung der Region denkt.“

Der Patriarch mit seiner Frau Federica und den Töchtern Camilla und Carolina.
Schon Kaiser Mark Aurel habe gesagt, man müsse nach der Natur leben, fügt er hinzu. Das ist für ihn die Überleitung, um von seiner neuesten Designidee zu sprechen – dem „Projekt für die Schönheit“ („progetto per la bellezza“). Gemeint ist das letzte fehlende Mosaiksteinchen in der Cucinelli-Welt: die Umwandlung der Landschaft rund um Solomeo. Nach der Restaurierung des Örtchens kamen das Hauptquartier, ein Theater, ein „Philosophen-Garten“ – und jetzt eben der große Rest.
Wo vor wenigen Jahren zwischen Feldern noch öde Industriehallen aus den 70er-Jahren standen, sieht die Landschaft jetzt aus wie der Hintergrund eines Madonnenbilds aus der Renaissance: Alles wirkt lieblich, die Wege sind von Zypressen gesäumt, Olivenhaine grenzen an Felder mit Obstbäumen und Getreide, im Hintergrund duckt sich malerisch ein Weinkeller.
„Du musst der Wärter der Schöpfung sein“, sagt Cucinelli dazu. Wie viel er investiert hat, verrät er nicht, das Geld kommt jedoch aus der Familienstiftung, die er zusammen mit seiner Frau gegründet hat. Die jetzige Regierung in Rom verfolge sein Projekt für die ländliche Region mit Interesse.
Jeff Bezos kam zum Lernen nach Umbrien
Bisher ist Cucinelli mit seinem humanen Kurs im Geschäftsleben noch eine Ausnahme in Italien, wo aber auch die Zegnas, Benettons oder Diesel-Gründer Renzo Rosso sich längst nachhaltigen Ansätzen und der Natur ihrer ländlichen Heimat verpflichtet fühlen.
Cucinelli spürt immerhin, dass sich etwas ändert. Mit Amazon-Chef Bezos, einem Citibank-Manager aus New York und anderen Gästen habe er über den offenen Brief jener 200 US-Unternehmer gesprochen, die im vergangenen Sommer erklärten, dass sie nicht länger allein den Aktionären, sondern künftig allen Stakeholdern, dem Allgemeinwohl, verpflichtet sein wollten.

Familie Cucinelli gönnt sich und ihren Beschäftigten parkähnliche Ruhezonen.
„Das ist der größte Wandel des Jahrhunderts“, sagt der Italiener mit Empathie und breitet die Arme aus. „Der Profit ist nicht mehr das einzige Ziel eines Unternehmens, die Humanität ist das Ziel.“ Und dann erzählt er noch ein Detail des Bezos-Besuchs, das für ihn ein Beleg für den Bewusstseinswandel ist: Amazon habe 600.000 Angestellte, habe ihm Bezos erzählt, und er fände es toll, wenn alle unter so außerordentlichen Bedingungen arbeiten würden wie in Solomeo. Das sei zwar schwer, aber das müsse das Ziel sein.
Die Amazon-Welt und die umbrische Idylle – größer könnten die Kontraste nicht sein. Aber vielleicht kann die alte Welt ja auch mal die neue retten.
Dieser Text ist entnommen aus dem Handelsblatt Magazin N°1/2020. Das komplette Handelsblatt Magazin als PDF downloaden – oder gedruckt mit dem Handelsblatt vom 06. März 2020 am Kiosk erwerben.
Mehr: Modedesigner Brunello Cucinelli: Der deutsche Italiener
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