Nahaufnahme Christian Louboutin: Der Mann mit den roten Sohlen

Der Designer verlässt sich auf sich und sein Team. Digitalisierung, KI, Banken? Braucht er nicht.
Paris Es schreit selbst hier in dieser dunklen Ladenpassage kurz vor dem Eingang ins Allerheiligste. Dieses kräftige, klare, keinen Widerspruch duldende Rot der Markenbezeichnung Pantone 18-1663TP. Es ist die Farbe von Liebe und Blut, Stoppschildern und Tomaten. Und es ist die Farbe des Schuhdesigners Christian Louboutin.
Die rote Sohle ist seit bald 30 Jahren sein Markenzeichen. Und hier in der Galerie Vero Dodat in der Nachbarschaft des Louvre hat alles angefangen. In diesem neoklassizistischen Kleinod aus dem 19. Jahrhundert eröffnete er 1991 sein erstes Geschäft. Und er hat es bis heute.
Denn so klar wie sein Rot ist auch sein Geschäftsgebaren: Louboutin ist ein Designer alter Schule. Er vertraut seiner Kreativität und seinem kleinen Team, das warʼs. Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Marketingkampagnen, Strategieberater, Banker, Investoren – nichts für ihn.
„Louboutin ist Louboutin“, sagt er und lacht. So einfach, so kompliziert sei es. Der 57-Jährige präsentiert sich an diesem Vormittag mit sich, seinen Kreationen und der Welt an sich im Reinen. Seine großen, braunen Augen strahlen Ruhe aus und Neugier.
Sein Büro, das eigentlich eher eine Dachkammer ist, liegt direkt neben dem Eingang zur Galerie Vero Dodat.
Er und seine Mitarbeiter erreichen es über einen engen Hinterhof. An Gummibäumen und Yuccapalmen vorbei geht es durch eine Glastür ins Atelier. Überall liegen, stehen, stapeln sich Schuhe, Puppen, Bügel, Kleider, Kartons und Kataloge. Aus dem Atelier führt eine schmale, steile Holztreppe hinauf in sein Büro, das kaum größer ist als eine Schuhschachtel.
Auf dem Parkettboden liegt ein Teppich des Designers Diego Giacometti, an der Wand hängt eine Aktfotografie von David Lynch, in der Mitte des Raums steht ein antiker Sessel mit einem lebensgroßen Steiff-Teddy – natürlich mit roten Pfoten.
Drumherum ein Sammelsurium wie in einem verwüsteten Kolonialwarenladen: Regale voller Bücher, Stofftiere und Nippes, Pinnwände mit Skizzen, Stoffproben und Fotos, Schaukästen mit Skulpturen, Schmuck und toten Schmetterlingen. Einzig Louboutins Schreibtisch ist freigeräumt. Der Patron spricht überlegt, wechselt fließend zwischen Französisch und Englisch, witzelt auch auf Deutsch. Er ist aufgewachsen in Paris, aber groß geworden in der Welt.
Aus dem Nichts baute der Sohn eines Tischlers und einer Hausfrau, der drei ältere Schwestern hat und früh die Schule verließ, mit zwei Partnern ein weltweites, unabhängiges Schuhimperium auf: Laut dem französischen Wirtschaftsmagazin „Challenge“ rangiert der Schuhdesigner mittlerweile auf Platz 109 der 500 reichsten Franzosen, mit einem Vermögen von angeblich 850 Millionen Euro.
Sein Partner und CEO der gemeinsamen Firmen, Bruno Chambelland, ist auf Nummer 152 platziert, mit einem geschätzten Vermögen von 600 Millionen Euro. Der dritte im Bunde, Henri Seydoux Fornier de Clausonne, Sohn des Filmpotentaten Jérôme Seydoux, schied 2016 aus, um sich seiner Drohnenfirma Parrot zu widmen.
Unabhängige Größe
Das Glück ihrer Kundinnen hat sie reich gemacht. „Louboutins“ zu besitzen – wie die Schuhe mit den roten Sohlen kurz genannt werden – ist für Frauen spätestens seit der US-Fernsehserie „Sex and the City“, in der die Hauptdarstellerin Sarah Jessica Parker sie trug, zu einem Statussymbol geworden wie für Männer eine Rolex.
Die rote Sohle ist ein selbstbewusstes, feminin-erotisches Signal. So berühmt, dass das Palais de la Porte Dorée ihrem Erfinder bis zum 26. Juli eine Retrospektive seiner spektakulärsten Entwürfe widmet. Dazu gehört etwa das Modell „Pensées“, für das sich Christian Louboutin von Andy Warhol inspirieren ließ und das Caroline von Monaco im Jahr 1995 trug.

Es müssen nicht immer hohe Absätze sein.
Das Museum zeigt zudem auch jene Objekte, die Louboutin bei seiner Arbeit beeinflussten und die er in seinen Domizilen in Ägypten, Frankreich und Portugal aufbewahrt. Der Titel der Ausstellung ist wortspielerisch Programm: Exhibition[niste].
Kultobjekt und zugleich gutes Geschäft sein – das schließt sich bei Louboutin nicht aus: Der Pariser ist bis heute unabhängig – wie sein schärfster Konkurrent, der Spanier Manolo Blahnik. Andere Schuh-Macher wie Stuart Weitzman oder Jimmy Choo gehören mittlerweile zu Holdings oder Luxuskonglomeraten.
Louboutin betreibt inzwischen weltweit 165 eigene Geschäfte, beschäftigt 1reich800 Mitarbeiter und produziert jedes Jahr rund eine Million Paar Schuhe. Keines kostet weniger als 500 Euro. Und auch wenn High Heels sein Markenzeichen bleiben wie die rote Sohlenfarbe, es gibt inzwischen auch viele Modelle mit niedrigeren Absätzen. Selbst Sneaker hat Louboutin, dem Zeitgeist gemäß, seit einigen Jahren im Programm.
Seine Schuhe inszeniert er dabei nicht wie andere Luxusmarken mit aufwendigen Marketingkampagnen. Er mischt lieber diskret im internationalen Showbusiness mit – und wirbt quasi an den Füßen berühmter Schauspielerinnen wie Cameron Diaz, Kirsten Dunst, Angelina Jolie oder Nicole Kidman. So macht er aus Fans Familienmitglieder und aus Filmgöttinnen Werbeträgerinnen.
Eine Schuhkollektion ist wie die Speisekarte, sie muss alle Gänge und Geschmacksrichtungen anbieten.
Zudem sucht Louboutin von jeher die Nähe zu Kunst und Kultur. Seit 30 Jahren kauft er etwa zeitgenössische afrikanische Kunst und investiert in Fotografie und Designobjekte. 2007 arbeitete er mit dem Filmemacher David Lynch zusammen. Für dessen Ausstellung „Fetisch“ entwarf er extreme, bewusst untragbare Schuhe. Das Modell „Ballerina Ultima“, einen Ballettschuh mit einem 21 Zentimeter hohen Absatz, trieb er im wahrsten Sinne auf die Spitze.
Im vergangenen Jahr übernahm Louboutin zudem gemeinsam mit seinem CEO Bruno Chambellan die Sponsorenschaft für das ihm seit seiner Kindheit im 12. Arrondissement vertraute Museum im Palais de la Porte Dorée. Hier stand einst – zum Schutz des Parketts – auch das Verbotsschild für Stilettos, das Louboutin erst irritierte, dann inspirierte und später zum Schuhdesigner werden ließ.
Für ihn sind Schuhe mehr als ein profanes Kleidungsstück. Er überhöht, verklärt, verehrt sie. „Die Frau trägt ihre Kleidung, aber die Schuhe tragen die Frau. Das Schuhwerk ist ein Sockel“, sagt er. Schon beim ersten Entwurf denke er daran und zeichne „immer das Bein oder eine Haltung zum Schuh, denn der ist ein elementarer Teil der Silhouette, der Gesamthaltung“.

Die rote Sohle ist das Markenzeichen von Christian Louboutin. Längst kreiert er nicht mehr nur High Heels.
So exaltiert seine Kunst bisweilen wirkt, so bodenständig präsentiert Louboutin sich selbst. Er leistet sich weder Fahrer noch Assistent. Für jede Kollektion verbringt er eine Arbeitswoche in seiner Fabrik in der Nähe von Mailand und überwacht dort die Produktion. In dieser Zeit wohnt er eigenen Angaben zufolge in einer kleinen Wohnung über der Fabrik: „Ich bin zum Arbeiten dort. Alle Annehmlichkeiten würden mich nur ablenken.“
Inspirationsquellen findet er ja ohnehin überall. Seinen Blick dafür hat er seit dem Karrierestart nur immer weiter geschärft.
Den ersten Job bekommt Louboutin als Assistent am Kabarett Folies Bergère in Paris, wo er zunächst für die Requisite arbeitet. Eine Ausbildung startet er Ende der Siebzigerjahre an der Akademie Roe‧derer in Paris, wo er Zeichnen und dekorative Künste studiert.
Als er nach langen Auslandsaufenthalten 1982 nach Paris zurückkehrt, weiß er, was er will: Schuhe designen. Seine Entwürfe kommen an. Er erhält Aufträge bei den längst legendären Schuhdesignern Charles Jourdan und Roger Vivier. Später arbeitet er als Freier für die Modehäuser von Coco Chanel und Yves Saint Laurent. Doch erst die rote Sohle macht ihn selbst zum Star.
Auch Männer sehen Rot
Die Idee dazu kommt ihm während der Arbeit. Als er in seinem Atelier über einem seiner Schuhentwürfe grübelt, fällt ihm der rote Nagellack seiner Assistentin ins Auge. Spontan ergreift er das Fläschchen und bestreicht damit die ganze Sohle: „Mir war sofort klar: Das ist es. Das Rot auf den Sohlen ist das Pendant zu den Lippen. Wenn eine Frau mit einer roten, hohen Sohle davongeht, ist das wie ein Abschiedskuss. Die Frau ist frech und feminin zugleich.“

Das „Musée National Le Palais de la Porte Dorée“ in Paris widmet Christian Louboutin bis 26. Juli eine Ausstellung. Sie zeigt spektakuläre Entwürfe wie das Modell „Pensées“, das einst Caroline von Monaco beim Rosenball 1995 trug.
Seit 2009 gibt es die „Louboutins“ nicht mehr nur für Frauen. Jedes dritte Paar wird inzwischen von einem Mann gekauft – und getragen. In Asien soll es sogar jedes zweite sein. Dort sind vor allem auch die sehr dekorativen Entwürfe mit Nieten, Federn, Perlen und Juwelen beliebt.
In den drei Boutiquen in Deutschland, in Hamburg, München und Berlin, sind eher die klassischen Modelle in Schwarz, Braun und Gold gefragt. Louboutin sieht es pragmatisch: „Eine Schuhkollektion ist wie die Speisekarte, sie muss alle Gänge und Geschmacksrichtungen anbieten.“
Trotz seiner artifiziellen Kunst: Seine liebste Inspirationsquelle ist die Natur. „Wenn ich die Augen schließe, stehe ich in einem schönen Garten. Dort gibt es so unendlich viele Farben und Formen. Das ist schon bizarr“, erklärt er. Privat ist er denn auch ein ähnlich passionierter Landschaftsgärtner wie Dries van Noten. Louboutins Haus an der französischen Atlantikküste bei La Rochelle ist von einem Garten umgeben, mit dem er es schon in die Fachpresse geschafft hat.
Nur über eines spricht er ungern: Geld. Investoren lehnt er ab. Das englische Kürzel für Börsengang, IPO für „Initial Public Offering“, muss ihm erst erklärt werden. „Nein, nein, was sollte uns ein Börsengang bringen? Wir wachsen seit 28 Jahren aus eigener Stärke und haben mehr als genug Ideen und inzwischen auch Geld. Ich genieße diese Freiheit“, erklärt er. Die rote Sohle sei nun mal die DNA seiner Marke – wenn auch eine umkämpfte.

In der Ausstellung ist auch jenes Verbotsschild zu sehen, das den jungen Louboutin einst inspirierte, überhaupt Schuhdesigner zu werden.
So musste Louboutin in den vergangenen Jahren einige Gerichtsprozesse anstrengen, um sein wichtigstes Kapital zu verteidigen. Für Schlagzeilen sorgte zuletzt der Rechtsstreit mit Deichmann. Der deutsche Schuhdiscounter hatte 2012 in den Niederlanden über seine Tochtergesellschaft van Haren hochhackige Pumps mit knallroter Sohle angeboten – zu einem Zehntel des Preises von Louboutin. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entschied am Ende zugunsten des Originals.
Louboutin selbst beschäftigen diese Auseinandersetzungen wenig, sagt er selbstbewusst. Das Original bleibe das Original. Und er selbst? „I am a happy man!“ Wie ein Spieler im Casino hat er alles auf Rot gesetzt – und gewonnen.
Dieser Text ist entnommen aus dem Handelsblatt Magazin N°1/2020. Das komplette Handelsblatt Magazin als PDF downloaden – oder gedruckt mit dem Handelsblatt vom 06. März 2020 am Kiosk erwerben.
Mehr: Gerichtsurteil: Designer Louboutin darf als einziger Schuhe mit roten Sohlen verkaufen
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