Fondsbilanz Anleger stoßen auf breiter Front Aktienfonds ab

Überraschende Bewegungen bei den Zu- und Abflüssen von Investmentfonds.
Frankfurt Es wirkt paradox. Die Zahlen, die Morningstar-Analyst Tony Thomas in Chicago analysiert, zeigen, dass Investoren auf breiter Front Anteile ihrer Aktienfonds abstoßen. Dabei spiegelt dies in keiner Weise die Stimmung an den Kapitalmärkten wider. Denn die Börsen bewegen sich auf Rekordniveau. In den USA etwa erreichten der Leitindex S&P 500 und das Marktbarometer der Technologiebörse Nasdaq-Index erst am Montag neue Bestmarken.
Doch viele Anleger gehen raus aus Aktien und flüchten lieber in sichere Häfen. „Historisch ist das eine ungewöhnliche Situation: Investoren sollten euphorisch sein, wenn die Kurse ganz oben sind, aber sie sind ängstlich“, sagt der Experte.
Die Zahlen der Ratingagentur Morningstar belegen die Ausnahmesituation. Obwohl einige Bondmärkte im März kollabierten, kauften Anleger weltweit im ersten Halbjahr noch Anleihefonds für netto 50 Milliarden Dollar. Spektakulär war der Ansturm auf Geldmarktfonds: In diese Produkte floss die Rekordsumme von 1,1 Billionen Dollar.
In Aktienfonds hatten Anleger noch vor zwei Jahren beeindruckende 361 Milliarden Dollar investiert. Im ersten Halbjahr dieses Jahres hingegen zogen sie 51 Milliarden Dollar ab. Und das, obwohl sich die US-Börsen auf Rekordniveau bewegen und andere internationale Börsen im Schnitt seit dem Einbruch im März beeindruckende 50 Prozent zugelegt haben. Direktinvestments sind in diesen Zahlen nicht enthalten.
Das überraschende Verhalten der Marktteilnehmer beschäftigt auch den bekannten deutschen Fondsmanager Jens Ehrhardt. „Nur die Angst der Anleger kann erklären, dass von Aktienfonds in Anleihefonds oder sogar Geldmarktfonds umgeschichtet wird“, sagt der Gründer der Vermögensverwaltung DJE Kapital. Ehrhardt ist schon seit längerer Zeit optimistisch für die Aktienmärkte, hatte noch vor dem Coronaschock ein Dax-Ziel von 16.000 Punkten bis Frühjahr kommenden Jahres ausgegeben – und hält daran nach wie vor fest.
Gefragte Geldmarktfonds
Morningstar-Experte Thomas schaut insbesondere auf die Geldmarktfonds, die oft als Parkposition für Kapital dienen. „Es ist jetzt sehr viel Geld darin, das nur darauf wartet, irgendwo angelegt zu werden“, meint er. Insgesamt liegen in den Produkten inzwischen 6,3 Billionen Dollar. Das würde rein rechnerisch ausreichen, um alle Dax-30-Aktien fünfmal zu kaufen.
Der Morningstar-Mann hält es zumindest für möglich, dass Ehrhardts Vermutung Realität wird. „Bei weiter steigenden Aktienkursen könnte es tatsächlich sein, dass Anleger mit ihrem geparkten Geld die Geduld verlieren, weil sie der Hausse nicht mehr hinterherschauen wollen – und dann doch zugreifen“, sagt Thomas. Die Angelsachsen haben für diese Furcht sogar einen Begriff: „The fear of missing out.“
Für Till Budelmann, Kapitalmarktstratege bei Bergos Berenberg, sind die Morningstar-Daten eindeutig: „Privatanleger nehmen nur sehr begrenzt an der Aufwärtsbewegung der letzten Monate teil.“ Diese Einschätzung werde in den USA auch durch Umfragen gedeckt. Langfristig erwartet Budelmann einen Bullenmarkt, also steigende Kurse. Die schlechten Stimmungsdaten mit Blick auf die Mittelzuflüsse und Mittelabflüsse bei den Aktienfonds bestärkten ihn in seiner Meinung, ähnlich wie den Verwalter Ehrhardt.
Budelmann spannt den Bogen noch weiter. Der lange Aktienaufschwung sei im Frühjahr 2009 am Ende der Finanzkrise gestartet. Auch damals sei die Stimmung der Anleger extrem pessimistisch gewesen. „Und der aktuelle Bullenmarkt, der am 23. März begann, geht schon wieder im gleichen Stil los“, erklärt Budelmann. Die schlechte Stimmung betrachtet er auch dieses Mal als Stütze seines optimistischen Ausblicks.
Ähnlich weit denkt Tilmann Galler. Er beobachtet die Märkte bei JP Morgan Asset Management. Für ihn ist der Zinsrückgang am wichtigsten Finanzplatz New York entscheidend. Dieser wirke sich auf alle Anlageklassen aus, sodass die Aktienkurse weiter steigen müssten. In diesem Zusammenhang weist er auf die Problematik negativer Realzinsen hin. Diese liegen vor, wenn die Inflation höher ist als der Zinssatz und das Ersparte unter dem Strich an Wert verliert. Gallers Folgerung: „In den nächsten zehn Jahren kann niemand mehr mit sicheren Anlagen sein Vermögen real erhalten.“ Wer um Aktien oder Sachwerte einen Bogen mache, sei ganz klar im Nachteil, warnt er. Für ihn sind deshalb künftige Nettoinvestments in Aktienfonds eine ausgemachte Sache.
Sparer haben keine Chance
Der bekannte Fondsmanager Bert Flossbach verbreitet diese Botschaft bereits seit vielen Jahren. Angesichts der gigantischen Rettungspakete der Notenbanken und Staaten in der Coronakrise fühlt er sich ein weiteres Mal bestätigt. Die hohe Verschuldung sei nur noch mit extrem niedrigen Zinsen tragbar. Mit dem Sparbuch hätte man keine Chance, das eigene Geld real zu erhalten. Anleger hingegen könnten mit Aktien die Kaufkraft ihrer Ersparnisse mehren und ein Stück mehr wirtschaftliche Freiheit gewinnen. In seinem Flaggschiff-Mischfonds „Multiple Opportunities“ hat Flossbach rund drei Viertel des Anlagevermögens in Aktien investiert.
Viele Anleihen bieten mittlerweile nur noch negative Renditen – selbst ohne Einrechnung der Inflation. Das Volumen dieser Bonds liegt weltweit bei vielen Billionen Euro. In solchen Fällen machen Anleger beim Kauf und Halten der Titel bis zur Endfälligkeit garantiert Verluste. Das betrifft insbesondere Papiere mit guten Ratings. Zehnjährige deutsche Bundesanleihen etwa rentieren mit minus 0,7 Prozent. Die US-Staatspapiere gleicher Laufzeit kamen zu Jahresbeginn noch auf plus eineinhalb Prozent. Inzwischen sind sie auf ein halbes Prozent abgeschmolzen. Diese Trends illustrieren die schwindende Attraktivität der Zinspapiere.
Es bleiben Vorbehalte
Ehrhardt ist deshalb ähnlich aktienorientiert wie Flossbach, hat dabei auch die Mischfonds im Auge. Diese Fondsgruppe mit ihrer Kapitalaufteilung auf Aktien und Anleihen ist gerade in Deutschland beliebt. Ehrhardt rät ab von hohen Anleihebeständen, empfiehlt die Umstellung auf defensive, sichere Aktien mit hohen Dividendenrenditen. Der Fachmann blickt dabei auch auf den Trend zum nachhaltigen Investieren. „In Europa haben davon besonders Versorger und Windkraftaktien profitiert“, so Ehrhardt. Er sieht in diesen Feldern langfristig Chancen, zumal einige Werte Dividendenrenditen von fünf Prozent böten.
Andere Experten warnen jedoch vor zu viel Optimismus. Martin Lück, Kapitalmarktstratege beim weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock, etwa stellt klar: „Die Aktienerholung steht nach den schnellen Gewinnen erst einmal auf tönernen Füßen.“ Aus seiner Sicht denken viele Akteure so: Die Börsen haben sich möglicherweise von der wirtschaftlichen Realität entkoppelt und steigen nur wegen der immensen Rettungsprogramme von Notenbanken und Staaten. Dabei sei zu erwarten, dass es noch mehr Arbeitslose und Firmenpleiten geben werde. Und dies wäre dann keine gute Nachricht für die Börsen.
Ähnlich zurückhaltend bewertet Ernst Konrad die Lage. Der Geschäftsführer des kleinen Vermögensverwalters Eyb & Wallwitz meint zwar mit Blick auf die Morningstar-Daten: „Es ist beruhigend zu sehen, dass genügend Geld da ist, das noch investiert werden kann.“ Doch für einen neuen Aktienaufschwung seien neue Käufer gefragt, außerdem eine bessere Konjunktur und eine bessere Gewinnentwicklung bei den Unternehmen.
Noch zurückhaltender ist Axel Cron, Chef-Anlagestratege bei HSBC Global Asset Management. Er ist kein Anhänger der These, dass die Anleger mit steigenden Aktienkursen wieder kaufen. Cron hält die Kursniveaus für angemessen: „Eine neue Dynamik auf dem Weg nach oben erwarte ich nicht.“
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