Kaum schien die Personalfrage zur Spitze von Volkswagen geklärt, wirft der Skandal um Abgasmanipulation von VW-Modellen in den USA erneut die Führungsfrage in Deutschlands größtem Konzern auf. Noch ist offen, ob VW-Chef Martin Winterkorn persönlich für den Verstoß gegen die Umweltvorschriften in den USA verantwortlich ist, die eine Geldstrafe von bis zu 18 Milliarden Dollar und Schadensersatzklagen nach sich ziehen kann. Winterkorns Vertrag soll auf der Aufsichtsratssitzung am Freitag vorzeitig um zwei Jahre bis Ende 2018 verlängert werden. Doch nach den Worten des mächtigen VW-Betriebsratschefs Bernd Osterloh würde Winterkorn zurücktreten, wenn sich herausstellen sollte, dass er selbst an dem Betrug beteiligt war.
Für den Posten des Vorstandschefs kämen mehrere Spitzenmanager in Frage:
Der 56 Jahre alte Münchner wechselte am 1. Juli von BMW zu Volkswagen und übernahm von Winterkorn die Führung der schwächelnden Hauptmarke VW. Er kam Insidern zufolge auf Betreiben des Firmenpatriarchen Ferdinand Piëch nach Wolfsburg. Der VW-Miteigentümer hatte im Frühjahr versucht, Winterkorn zu kippen und war als Aufsichtsratschef zurückgetreten, nachdem sich die anderen maßgeblichen Eigner und der Betriebsrat hinter Winterkorn gestellt hatten. Mit Diess an der Spitze könnte VW einen konsequenten Neuanfang demonstrieren. Ein Nachteil ist allerdings, dass Diess die Mechanismen und Netzwerke in dem Riesenkonzern mit zwölf Marken und über 600.000 Beschäftigten noch nicht lange kennt.
Auch gibt es unter den Arbeitnehmern Vorbehalte gegen den Manager, der den Ruf eines knallharten Kostendrückers hat, der Sparprogramme kompromisslos gegen Kritik der Belegschaft durchsetzt. Bei BMW rückte der promovierte Maschinenbau-Ingenieur nach rund zehn Jahren 2007 in den Vorstand als Einkaufschef auf, um mit Milliardeneinsparungen die Rendite hochzutreiben. Zeitweise galt er als möglicher Nachfolger von Konzernchef Norbert Reithofer, doch dazu wurde dann Produktionschef Harald Krüger bestimmt.
Der 62-jährige Chef der VW-Tochter Porsche war im Frühjahr als Kandidat für eine Übergangszeit gehandelt worden. Er könnte den Konzern führen, bis ein jüngerer Manager wie Diess den Vorstandsposten übernimmt. Müller ist seit bald vier Jahrzehnten im VW-Konzern: Er lernte bei Audi in Ingolstadt Werkzeugmacher und kehrte nach dem Informatikstudium dorthin zurück. Als Winterkorn 2007 als Chef von Audi an die VW-Spitze wechselte, ging Müller als Produktstratege mit ihm nach Wolfsburg. Nach der gescheiterten Übernahme von Volkswagen durch Porsche, die schließlich mit der Unterordnung von Porsche als VW-Marke endete, übernahm er 2010 die Porsche-Führung und trieb den Absatz auf neue Rekordhöhen.
Vergangene Woche noch erklärte Müller im Interview mit Reuters, in einer neuen Konzernstruktur gerne die Leitung der Sportwagengruppe übernehmen zu wollen. Volkswagen sei mit Winterkorn an der Spitze in guten Händen. „Ich bin ein Konzernzögling“, betonte das VW-Vorstandsmitglied. Daher würde Müller seine Stuttgarter Wahlheimat wohl aufgeben, sollte der Aufsichtsrat ihn rufen.
Als Kronprinz gilt auch schon lange der 52-jährige Audi-Chef Rupert Stadler. Sein Aufstieg im Konzern begann 1997 als Büroleiter des damaligen VW-Chefs Piëch. Bei Audi übernahm er 2003 zunächst das Finanzressort und rückte 2007 an die Spitze der Premiumtochter, die zusammen mit Porsche den Löwenanteil zum Konzerngewinn beiträgt. Unter seiner Führung hat Audi als zweitgrößter Premiumhersteller weltweit aber damit zu kämpfen, vom Platzhirsch BMW in den Schatten gestellt zu werden. Zuletzt wurde Stadler als Nachfolger von VW-Finanzchef Hans Dieter Pötsch gehandelt, der neuer Aufsichtsratschef von VW werden soll. Dass Stadler Winterkorn beerben könnte, bezweifeln Experten allerdings mit dem Hinweis auf die VW-Tradition, wonach ein Ingenieur an der Spitze des Konzerns stehen muss. Stadler ist Betriebswirt.
Ein radikaler Neuanfang wäre es, wenn zum ersten Mal ein Außenseiter direkt zum Vorstandschef würde. Er hätte aber noch stärker als Diess das Manko, sich in die komplizierte Struktur des Konzerns erst hereinfinden zu müssen und die Chefs der geplanten vier Markengruppen zu führen.
Quelle: Reuters