Agrarkonzern Chefs von KTG Agrar sollen für Pleite haften

Der langjährige Chef des Konzerns sieht sich schweren Vorwürfen ausgesetzt.
Hamburg Es ist das erste gerichtliche Nachspiel seit der Pleite des KTG-Agrarkonzerns vor zwei Jahren. Und es ist die letzte Hoffnung für Tausende Anleger, die dem Unternehmen einst viel Geld anvertraut haben: Ab Donnerstag müssen sich der langjährige Chef des gescheiterten Landwirtschafts-Imperiums, Siegfried Hofreiter, und sieben weitere Ex-Manager in einem Zivilprozess vor dem Landgericht Hamburg verantworten.
Insolvenzverwalter Stefan Denkhaus hat Vorstände und Aufsichtsräte auf insgesamt 189 Millionen Euro Schadensersatz verklagt. Der Prozess soll klären, ob die Manager fahrlässig die Insolvenz des Konzerns um ein ganzes Jahr verschleppt und damit viel Schaden angerichtet haben.
189 Millionen Euro, diese Summe klingt gigantisch. Es sind sämtliche Zahlungen, die im letzten Jahr vor der Pleite noch aus dem Unternehmen geflossen sind. So lange nämlich sollen die Chefs laut der Klage, die dem Handelsblatt vorliegt, die desolate Situation ignoriert und zulasten der Gläubiger verharmlost haben. „Die Mangerhaftung ist für die Gläubigerbefriedigung bei KTG Agrar die größte Einzelposition und daher von großer Relevanz“, so Denkhaus.
Schade nur: Die Summe passt in keiner Weise zu dem, was die Manager wahrscheinlich bezahlen könnten. Ihre Haftpflichtversicherungen, abgeschlossen bei Allianz und Dual Deutschland, decken insgesamt nur Schäden bis zu etwa 40 Millionen Euro ab.
Rechtsexperten vermuten, der Verwalter versuche mit seiner fast fünffach höheren Forderung möglichst viel von der größten und beinahe einzigen Geldquelle im Insolvenzverfahren für die Anleihegläubiger abzugreifen. Denn auch viele Tochtergesellschaften des weitverzweigten KTG-Agrarkonzerns sind pleite. Auch sie werden nach dem 40-Millionen-Topf der Versicherungen greifen.
Bilanzen mit Tricks poliert
Die im Jahr 2000 von Hofreiter gegründete KTG musste nach jahrelanger Misswirtschaft im Juli 2016 Insolvenz anmelden. Von ahnungslosen Anlegern hatte KTG Agrar bis dahin über Unternehmensanleihen insgesamt 340 Millionen Euro eingesammelt, mit Zinsen von bis zu 7,25 Prozent.
Über Jahre hatte Hofreiter riesige Ländereien in Ostdeutschland, Litauen und Rumänien zusammengekauft. Doch laut der Klage funktionierte vieles nicht. Maschinen und Anlagen waren danach in desolatem Zustand. Selbst für die einfachsten Instandsetzungen habe das Geld gefehlt.
Alle möglichen Tricks mussten offenbar her, um den Schein eines florierenden Agrarkonzerns zu wahren. Teil der Verschleierungstaktik: Mit 150 Tochtergesellschaften operierte KTG Agrar kurz vor der Insolvenz – ein völlig undurchsichtiges Firmengestrüpp.
Wie da gewirtschaftet wurde, recherchierten Denkhaus und sein Team laut Insolvenzunterlagen mit teils ungewöhnlichen Methoden. Verdächtig erschienen etwa Forderungsbestände über 154 Millionen Euro. Angeblich geschuldet von außenstehenden Gesellschaften, die alle in der Poststraße in Hamburg ihren Sitz hatten. Die „KTK Getreidehandels AG“ etwa oder die „KTK Getreidelager und Handels AG Elevator and Trading“ hatten dort ihren Sitz.
Laut den Büchern sollten diese KTK-Gesellschaften ein riesiger Umschlagplatz für Getreide sein. Die Poststraße beherbergte damit auf dem Papier die Zentralen mehrerer Zwischenhändler und damit die wichtigsten Kunden des gescheiterten Agrarkonzerns KTG.
Mit Kamera fuhren Denkhaus und ein Kollege an der Adresse vor. Was sie vorfanden: Die angeblichen Handelsfirmen hausten in einem Ein-Zimmer-Apartment unter einem Dach, ein paar verlorene Aktenordner standen als Attrappen herum. Sie wurden bei Besuchen rasch hervorgeholt. Eine Kasse gab es nicht. Eine zufällig anwesende Mitarbeiterin ging selbstverständlich davon aus, dass die KTK-Gesellschaften zu KTG gehörten, also keine außenstehenden Händler waren.
Die Gesellschaften in Hamburgs Poststraße wurden bei KTG Agrar nicht mitbilanziert. Sie waren laut Insolvenzgutachten nur dazu da, Getreide überteuert von dem Konzern abzukaufen, um es dann zu Marktpreisen an echte Kunden weiterzuverkaufen. KTG Agrar hat danach Getreide zu überzogenen Preisen an sich selbst verkauft, um so Umsatz und Gewinn aufzuplustern.
Vorsatz oder Nachlässigkeit?
Solche Aktionen klingen nach absichtlicher Täuschung. Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt gegen insgesamt 13 Beschuldigte. Erst im Frühjahr hat sie Dutzende Büros untersucht. Bislang äußerte sich keiner der Chefs zu strafrechtlichen Vorwürfen.
In dem jetzt anlaufenden Zivilprozess muss das Gericht beurteilen, ob die Vertuschung von einzelnen Managern geplant war oder ob sie die Liquiditätsprobleme fahrlässig ignoriert haben. Manager-Haftpflichtversicherungen zahlen in der Regel nicht, wenn die Manager vorsätzlich gehandelt und die Insolvenz verschleppt haben.
Sollten die Manager nach bestem Wissen alles richtig gemacht haben, bezahlt die Versicherung natürlich auch nichts. „Die Schieflage muss fahrlässig unerkannt geblieben sein“, beschreibt einer der Manageranwälte, Martin Stritz aus Reinbek, die Voraussetzung, unter der der Schutz einer Managerhaftung auch greift. Sprich, die Chefs müssten einfach nur geschlampt und nicht richtig hingeschaut haben, sonst zahlt die Versicherung nicht.
Für seinen eigenen Mandanten, den Betriebschef des Konzerns, verneint Stritz natürlich die Haftungsfrage. Ein Betriebschef kontrolliere ja nicht die Bilanzen, er müsse sich auf das verlassen, was die Wirtschaftsprüfer testiert haben.
Firmengründer Siegfried Hofreiter gab seinem Anwalt keine Erlaubnis zu einer öffentlichen Äußerung. Von den übrigen Managern lag bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme vor. Eine niedrige zweistellige Millionensumme könnte der Prozess den Gläubigern einbringen, schätzen Experten. Damit läge die Gläubigerbefriedigungsquote bei knapp zehn Prozent. Immerhin besser als nichts.
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