Anlegen in Rohstoffen Lockruf des Silbers

Im laufenden Jahr bekommen Edelmetalle einen unerwarteten Schub. Viele Experten glauben an weiter steigende Silberpreise.
Frankfurt Acht Kilo wiegt die Kiste. Das will erst einmal gehoben werden. Darin sind 250 Silbermünzen. Verpackt in zehn Dosen mit jeweils 25 Einzelstücken im Gewicht von 31,1 Gramm – das entspricht einer Unze. „Seit Jahresanfang kaufen die Kunden mehr von diesen Boxen, jeden Tag gehen größere Mengen über den Tisch“, sagt Robert Hartmann, Mitgründer des Edelmetallhändlers Pro Aurum. Jede dieser Kisten kostet mehr als 4000 Euro.
Rund um den Globus kommen die Menschen beim Silber wieder auf den Geschmack. „Im vergangenen Jahr kauften Privatanleger so viel Münzen und Barren wie nie zuvor, auch beim Schmuck gab es einen Rekord“, sagt Erica Rannestad, Analystin bei der Analysefirma GFMS in Chicago. Etwa 292 Millionen Unzen Münzen und Barren bunkerten die Privaten in Tresoren, Schließfächern oder an anderen Aufbewahrungsorten (siehe Grafik). Am Donnerstag legte die Researchfirma zusammen mit der Minenlobby „The Silver Institute“ einen Marktreport vor.
Im laufenden Jahr bekamen die Edelmetalle einen unerwarteten Schub. Nach Jahren der Talfahrt sprang der Goldpreis um mehr als ein Fünftel. Der Silberpreis stieg noch stärker. „Es verhält sich wie Gold, schwankt aber viel stärker – in beide Richtungen“, sagt John Hathaway, Edelmetallkenner bei der US-Anlagefirma Toqueville. Tagesbewegungen von mehreren Prozent sind keine Seltenheit.
Noch weit entfernt vom Spitzenpreis
Preistreiber für beide Metalle sind die unruhigen Finanzmärkte. Das drängt Anleger in sichere Häfen. Gleichzeitig sind Anleihen keine konkurrierenden Anlagen mehr. Bei Tiefzinsen und negativen Anleiherenditen spielen Edelmetalle einen Vorteil aus, denn sie kosten zumindest keine Strafzinsen. Parallel beginnt das Vertrauen in die Notenbanken zu schwinden. Das ist ebenfalls ein Motiv, einen Teil des eigenen Geldes in Alternativwährungen zu lenken.
Die Unze Silber kostet rund 17 Dollar. Das ist noch weit vom Top bei mehr als 40 Dollar vor fünf Jahren entfernt (siehe Chart). Doch es gibt auch Risiken für den anhaltenden Preisaufschwung. „Das Thema sicherer Hafen könnte in den Hintergrund rücken“, nennt Rannestad eine denkbare Ursache. Sie hat aber vor allem die in den Vorjahren von Privatanlegern gehorteten Bestände an Münzen und Barren im Auge: „Die können auch wieder verkauft werden, das könnte weitere Preisanstiege hemmen.“
Bisher ist davon nichts zu spüren. Der jüngste und starke Preisanstieg beim Silber hat die Interessenten nicht abgeschreckt – eher im Gegenteil. „Die kaufen munter bei steigenden Preisen“, berichtet Oliver Heuschuch, Handelschef beim Edelmetall-Handelshaus Degussa. Ähnliches berichtet Ronja Franke, die das Geschäft beim kleineren Konkurrenten Geiger Edelmetalle steuert. „Im April und auch jetzt im Mai sehen wir Neukunden, die Altbesitzer kaufen nach.“
Beim Thema Silber greifen die Anleger vor allem nach Münzen, scheuen die Barren. Das ist anders als beim Gold. „Es hängt mit der Besteuerung zusammen“, erklärt Degussa-Mann Heuschuch. Bei Silberbarren müssen die Anleger die volle Mehrwertsteuer von 19 Prozent zahlen. Für viele ausländische Silbermünzen dagegen wird nach einer Steueränderung vor einigen Jahren nur etwas weniger als die Hälfte dieses Zuschlags fällig.
Unterschied zum großen Bruder Gold
Zu den Favoriten zählen deshalb der „Maple Leaf“ aus Kanada, der US-amerikanische „American Eagle“ und der „Kangaroo“ aus Australien. „Die kanadische und die australische Münze haben die geringsten Aufschläge auf den reinen Metallwert“, sagt Hartmann. Die Münzen kosten in der Standardstückelung von einer Unze rund 19 Euro. Aufsteiger ist das australische Geldstück. Erst seit knapp einem Jahr prägt die Münzanstalt in Down Under dieses Motiv auf das Weißmetall, es wurde extra eine Fabrik gebaut. Die meisten anderen Angebote stehen im Schatten dieser Bestseller. Sie sind teurer. Wer Wert darauf legt, dass er möglichst viel Metall für sein Geld bekommt, hat kein Interesse, teilweise deutlich mehr als 20 Euro für eine Ein-Unzen-Münze zu zahlen. Es sei denn, einen Sammler reizen besonders schöne Motive, häufig Tierabbildungen.
Viele Experten glauben an weiter steigende Silberpreise. Es gibt allerdings einen großen Unterschied zum großen Bruder Gold. Beim Weißmetall kommt etwa die Hälfte der Nachfrage aus der Industrie. Das kann eine Achillesferse sein. „Wenn die globale Wirtschaft deutlich schwächer laufen würde, könnte das die Industrienachfrage und den Preis drücken“, sagt GFMS-Analystin Rannestad. Die Optimisten vertrauen auf den Nachholbedarf beim Preis gegenüber dem wichtigsten Edelmetall. Einige schauen dazu auch auf das Preisverhältnis von Gold und Silber. Es ist heute im Rückblick auf die vergangenen Jahrzehnte recht hoch. Hartmann erwartet tiefere Niveaus. „Wenn Gold stabil bleiben sollte, müsste Silber in den kommenden Jahren Richtung 25 Dollar pro Unze steigen“, meint er.
Beide Märkte unterscheiden sich eben deutlich – nicht nur wegen sehr unterschiedlicher Preise. Sie haben auch eine sehr unterschiedliche Größe. Der Silbermarkt ist klein, nur etwa ein Zehntel so groß wie der Goldmarkt: Im vergangenen Jahr wurde von Anlegern, von der Industrie und den Schmuckherstellern Gold im Gegenwert von 140 Milliarden Dollar nachgefragt, Silber dagegen nur für 16 Milliarden Dollar. Bei der Investorennachfrage nach Barren und Münzen war das Verhältnis ähnlich. Großanleger konzentrieren sich deshalb auf Gold, wenn sie an Edelmetallen interessiert sind. Kleine Märkte sind ihnen zu unsicher. Außerdem ist Gold die reine Alternative als sicherer Hafen. Silber dagegen ist auch ein wichtiges Industriemetall, so dass der Preis auch von der Lage der Weltkonjunktur beeinflusst wird. Darüber hinaus gilt Gold als Geldmetall. Auch Notenbanken besitzen teilweise beachtliche Goldbestände, während sie an Silber kein Interesse haben.
Experten rechnen mit Aufholjagd
Silber interessiert vor allem Private. Nicht zuletzt wegen des tieferen Preises im Vergleich zum Gelbmetall gilt Silber als kleiner Bruder des Goldes. Es eignet sich eben auch für einen bescheidenen Geldbeutel. Darüber hinaus zieht es eine Minderheit an, die sich für einen Kollaps des Finanzsystems und den Ausfall der eigenen Währung wappnen möchte. „Die glauben, sie könnten dann mit ihren Silbermünzen beim Bäcker bezahlen“, erklärt Hartmann.
Käufer müssen in jedem Fall das Gewichtsproblem lösen, wenn es um größere Summen geht. Eine Goldanlage für 100.000 Euro beispielsweise in mittelgroßen Barren bringt weniger als drei Kilo auf die Waage. Bei Silber dagegen wäre diese Euro-Summe in gängigen Münzen etwa 160 Kilo schwer.
Auch ein Experte und Silber-Optimist wie Hartmann verlässt sich vor allem auf Gold. Doch er erwartet eine Aufholjagd beim Preis für das Weißmetall. Er gibt zu: „Privat habe ich einen Teil meines eigenen Goldes in Silber umgetauscht.“