Blackrock-Studie zu Investitionen Trendwende: Wo große Versicherer jetzt ihr Geld anlegen

Anleger schätzen Gold als mutmaßlich krisensicheres Investment.
Frankfurt Ein wenig Groll klingt in der Aussage mit. „Je niedriger die Zinsen, desto attraktiver wird der Tresor“, stellte Klaus Wiener, Chefvolkswirt des Versicherungsverbands (GDV), vor wenigen Tagen nüchtern fest. „Einige Versicherer schauen sich das derzeit sehr genau an“, so der Ökonom.
Aus der Feststellung spricht nicht nur versteckter Ärger darüber, dass viele institutionelle Investoren mittlerweile oft einen Strafzins zahlen müssen, wenn sie große Summen bei den Banken parken. Aus den Worten spricht auch ein neuer Kurs bei der Geldanlage der Versicherungsbranche, die zu den größten Kapitalanlegern der Wirtschaft überhaupt gehören.
Noch im vergangenen Jahr war der Risikoappetit der führenden Assekuranzen auf der Suche nach Rendite groß gewesen und die Bereitschaft zu mehr Risiko klar vorhanden. Doch ein Jahr später hat sich die Stimmung deutlich gedreht. Für die meisten großen Versicherer geht es nunmehr vor allem darum, ihr Portfolio vor einem möglichen Abschwung abzusichern. So will die Mehrheit der Versicherer beim Risiko nicht mehr zulegen – und wird bei der Auswahl der Geldanlage deutlich selektiver.
„Mit Blick auf eine erwartete konjunkturelle Abkühlung machen die Versicherer ihre Portfolios wetterfest“, erklärt Patrick Liedtke, der bei Blackrock das europäische Versicherungsgeschäft leitet. „Über eine breite Streuung der Anlagen wollen sie erreichen, dass man externe Schocks gut abfedern kann.“
Die Aussagen haben Gewicht. Über 360 Spitzenmanager in rund 22 Ländern, die rund 16 Billionen Dollar verwalten, hat Blackrock mithilfe der Economist Intelligence Unit des britischen Wirtschaftsmagazins „Economist“ befragt. Vor allem das schwache Wirtschaftswachstum und die Angst vor zu hohen Bewertungen bringen die Versicherer dazu, ihre Portfolios zu durchforsten.
Wegen der Minizinsen stehen die Konzerne unter gewaltigem Druck. Seit Längerem sucht die Branche vor diesem Hintergrund nach neuen Anlagemöglichkeiten, mit denen sich noch auskömmliche Renditen erzielen lassen. Sukzessive erhöhten die Investmentmanager deshalb zuletzt das Anlagerisiko – doch nun ist ein Level erreicht, das die Mehrheit offenbar nicht mehr überschreiten will. „Der Risikoappetit hat eindeutig abgenommen, gleichzeitig wird die Diversifizierung der Mittel über die verschiedenen Anlageklassen immer wichtiger“, sagt Blackrock-Experte Liedtke.
Für die Branche bedeutet dies eine Zäsur. Während 2018 laut der Befragung noch rund jeder zweite Versicherer ein höheres Risiko eingehen wollte, sind es 2019 weltweit nur noch 28 Prozent – 15 Prozent wollen das Risiko sogar reduzieren. Insbesondere in Europa ist die Vorsicht ausgeprägt. So wollen auf dem Kontinent sogar nur 22 Prozent der Befragten höhere Risiken eingehen, deutlich weniger als im globalen Durchschnitt.
Beteiligungsfonds haben mittlerweile extreme Größen erreicht
Das Dilemma für die Branche bleibt allerdings, dass sich mit althergebrachten Zinspapieren kaum mehr ordentliche Renditen erzielen lassen. Die Versicherer sind deshalb weiter bereit, auf Spezialfeldern, von denen sie sich ungewöhnlich hohe Profite versprechen, aufzustocken – ohne jedoch insgesamt dabei wagemutiger zu werden. Für das Risikomanagement der Assekuranz ist das eine komplizierte Aufgabe.
„Die Anlagestrategien werden zunehmend anspruchsvoller, zukünftig trennt sich hier die Spreu vom Weizen“, glaubt Liedtke. „Das gilt vor allem dann, wenn alternative Anlagen wie Private Equity oder Infrastrukturinvestments ins Spiel kommen.“ Denn trotz hoher Bewertungen bei Firmenkäufen sehen viele Assekuranzen nach wie vor in sogenannten alternativen Investments und bei Private Equity die größten Aussichten, die mageren Renditen, die sich mit Staatspapieren erzielen lassen, noch aufzubessern.
Laut dem Analysehaus Preqin wollen zukünftig weltweit 40 Prozent der institutionellen Investoren mehr in Private Equity investieren – die Zufriedenheit der Anleger sei hier besonders hoch, meint Christopher Beales, Private-Equity-Analyst von Preqin. So haben die Beteiligungsfonds mittlerweile extreme Größen erreicht, Blackstone führt die Liste der Megafonds mit 26 Milliarden Dollar an. Ein Grund für den Boom sind die noch immer vergleichsweise guten Renditen der Beteiligungsfonds, die oftmals zweistellig ausfallen.
Auch Infrastrukturinvestitionen ziehen die Versicherer noch immer an. So flossen zuletzt ebenfalls deutlich mehr Mittel der deutschen Erstversicherer in diesen Bereich, wie aus Zahlen des GDV hervorgeht, die dem Handelsblatt vorab vorliegen. Das Anlagevolumen stieg demnach um rund 30 Prozent auf 32 Milliarden Euro. Seit 2014 hat sich der Bestand damit mehr als verfünffacht. Damals umfasste er lediglich 5,6 Milliarden Euro. Mit dem stärkeren Fokus auf Infrastruktur versuchen die Unternehmen, unabhängiger vom Kapitalmarkt und den niedrigen Zinsen zu werden.
„Die Versicherer wollen ihr Engagement ausweiten“, betont Tim Ockenga, Leiter der Abteilung Kapitalanlagen beim GDV. Ein Hindernis sei jedoch die geringe Zahl an Projekten – vor allem in Deutschland. Nicht einmal ein Fünftel der Infrastrukturinvestitionen entfalle auf den Heimatmarkt. Die Assekuranz dringt daher auf eine Ausweitung öffentlicher Infrastrukturprojekte unter Einbeziehung privater Kapitalgeber.
Geld wird umgeschichtet
Es geht dabei um sehr viel Geld. Rund 35 Billionen Dollar an Vermögen werden die Versicherer bis zum Jahr 2020 laut einer Analyse der Beratungsgesellschaft PwC insgesamt weltweit verwalten. Trotz Minizinsen legten die Versicherer dieses Geld – auch wegen restriktiver Auflagen – lange sehr konservativ an. Noch immer steckt der Großteil des Geldes in Staatspapieren und Anleihen. Investments in Staatsanleihen seien nach wie vor „das Brot-und-Butter-Geschäft“ der Branche, betont Liedtke.
Doch angesichts der anhaltenden Niedrigzinsphase gehen die Konzerne die Neuordnung ihrer Anlagen mit mehr Elan an. So wandert das Geld in einer Zeit, in der die meisten deutschen Staatsanleihen keine positive Rendite mehr bringen, zunehmend in neue Kanäle. Einige große Versicherer kündigten zuletzt sogar an, keine neuen Bundesanleihen mehr zu kaufen.
Der Fokus der Investmentprofis hat sich damit verschoben. Die Mehrheit der großen Versicherer rechnet zwar frühestens in den Jahren 2021 beziehungsweise 2022 mit einer Rezession. Doch die Vorbereitung der milliardenschweren Portfolios auf die befürchtete Krise hat längst begonnen. „Überarbeitung für Resilienz“, nennt Blackrock dies im Titel seiner Studie. Im Klartext heißt das, dass sich die Assekuranzen für schlechtere Zeiten am Kapitalmarkt zu wappnen beginnen.
Dennoch ist die Stimmung in der Branche insgesamt überraschend positiv. Global blicken rund 78 Prozent der Versicherer laut der Blackrock-Umfrage optimistisch auf die Investmentperspektiven. Die meisten erwarten zwar, dass die Rahmenbedingungen schwieriger werden. Sie glauben aber, dass sie damit fertig werden können.
„Die Versicherer sind gegenüber der letzten Umfrage dieses Mal zuversichtlich, dass sie die Risiken beherrschen können“, sagt Liedtke. „Sie fühlen sich wohl in ihrer Haut.“ Es ist ein Eindruck, den auch GDV-Präsident Wolfgang Weiler diese Woche vermittelte. „Die Stimmung ist positiv, aber nicht euphorisch“, erklärte er. Bleibt nur zu hoffen, dass sie nicht besser ist als die Lage.
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