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Christian Keller im Interview Barclays-Chef-Volkswirt: „Deutlich mehr Inflation über mehrere Jahre, als Notenbanken planen“

Christian Keller befürchtet, dass Märkte und Notenbanken den Preisauftrieb unterschätzen. Zugleich warnt er aber davor, sich Schreckensszenarien auszumalen.
02.10.2021 - 16:30 Uhr Kommentieren
Der Volkswirt glaubt, die Kapitalmärkte haben die Inflationsgefahr noch nicht ausreichend in ihren Kursen verarbeitet. (Foto: Barclays)
Christian Keller

Der Volkswirt glaubt, die Kapitalmärkte haben die Inflationsgefahr noch nicht ausreichend in ihren Kursen verarbeitet. (Foto: Barclays)

Weil für die USA mehr als fünf Prozent und für Deutschland mehr als vier Prozent Inflation gemessen werden, wachsen die Sorgen: Entgleitet den Notenbanken die Entwicklung, bekommen wir eine Situation wie in den 70er-Jahren?

Christian Keller, aus Deutschland stammender Chefvolkswirt der britischen Barclays-Bank, befürchtet, dass der Preisauftrieb eine Weile oberhalb des Ziels der Notenbanken von zwei Prozent liegen könnte. Außerdem haben die Kapitalmärkte seiner Meinung nach die Inflationsgefahr noch nicht genügend in ihren Kursen verarbeitet.

Zugleich wendet Keller sich deutlich gegen Schreckensszenarien, die von Erinnerungen an die 70er-Jahre gespeist sind. Er empfiehlt den Geldpolitikern, vor allem darauf zu achten, ob sich eine Lohn-Preis-Spirale entwickelt, und insgesamt eher behutsam zu reagieren. Längerfristig kann er sich einen Anstieg der Realzinsen vorstellen, unter anderem durch höhere Investitionen für den Klimaschutz verursacht.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Herr Keller, hat Sie der starke Anstieg der Inflation überrascht?
Die USA haben jetzt eine Inflation über fünf Prozent, für Deutschland liegen die Prognosen für das vierte Quartal bei über vier Prozent. Das ist deutlich mehr als zu Anfang des Jahres erwartet.

Wie viel Inflation wird denn Ihrer Meinung nach auf mittlere oder längere Sicht übrig bleiben?
Wir sind seit sehr langer Zeit in einer Situation, wo wir möglicherweise über mehrere Jahre doch deutlich mehr Inflation bekommen könnten als vor der Pandemie.

Also sind die Warnrufe vor explodierenden Preisen keine Hysterie?
Ich gehe nicht von wirklich hohen Inflationsraten von zehn Prozent aus, sondern eher von einer Situation, wo wir einige Jahre so um die 3,0 bis 3,5 Prozent Inflation bekommen. Das wäre deutlich mehr als vor der Pandemie und läge über dem Inflationsziel der Notenbanken von zwei Prozent und wäre ein höherer und länger anhaltender „Overshoot“, als die Zentralbanken es planen. Außerdem wäre es auch mehr, als die Kapitalmärkte zurzeit einrechnen – wenn man auf die immer noch niedrigen Renditen der Staatsanleihen schaut.

Die Notenbanker beruhigen uns mit der Auskunft, die heutigen Prozentzahlen seien ein vorübergehendes Phänomen.
Das ist zum Teil richtig. Engpässe in der Produktion sind irgendwann ausgestanden. Aber sie dauern bereits jetzt länger als anfänglich erwartet. Bei Halbleitern zum Beispiel werden sie voraussichtlich auch noch im kommenden Jahr eine wichtige Rolle spielen und derzeit machen die hohen Gaspreise und die damit verbundenen Energiekosten die Runde.

Was sollen die Notenbanken tun?
Sie sollten tatsächlich nicht vorschnell auf solche exogenen Preisschocks reagieren. Sie werden jetzt vor allem den Arbeitsmarkt beobachten. Entscheidend ist die Frage, ob Löhne und Gehälter infolge der Inflation steigen und sie so noch mehr antreiben. Mit anderen Worten: Könnte die berüchtigte Lohn-Preis-Spirale, die so lange Zeit keine Rolle mehr gespielt hat, jetzt doch wieder Wirkung entfalten?

Was erwarten Sie denn?
In Deutschland liegen die Lohnsteigerungen für das kommende Jahr zum Teil schon wegen lang laufender Tarifverträge fest. In den USA dagegen reagiert der Arbeitsmarkt sehr viel schneller. Dort sind offenbar auch viele ältere Arbeitnehmer, die in der Pandemie ihren Job verloren haben, noch nicht wieder an den Arbeitsmarkt zurückgekommen. Die Frage ist daher, ob das so bleibt – dann hätten wir ein strukturelles Problem.

Es gibt auch die Befürchtung, dass die Notenbanken die Zinsen gar nicht erhöhen können, weil einige Staaten, etwa im Euro-Raum, so stark verschuldet sind.
Da ist was dran, und das betrifft nicht nur die Staatsverschuldung, sondern auch private Verschuldung. Nach vielen Jahren extrem niedriger Zinsen lösen derzeit auch kleine Zinserhöhungen große Effekte an den Kapitalmärkten aus. Das könnte die Notenbanken schon veranlassen, sehr vorsichtig auf höhere Inflation zu reagieren.

Können die Staaten denn die hohen Schulden, die sie in der Pandemie gemacht haben und etwa in den USA jetzt noch machen, auf lange Sicht überhaupt verkraften?
Das ist eine Frage der Realzinsen – also der nominalen Sätze abzüglich der Inflation. Rein ökonomisch gesprochen hängen die zunächst gar nicht von den Notenbanken ab, sondern werden von Angebot und Nachfrage bestimmt.

Können Sie das genauer erklären?
Der reale Gleichgewichtszins, an dem sich die Notenbanken bei ihrer Geldpolitik orientieren, ergibt sich aus dem Angebot an Spargeld und der Nachfrage nach Kapital für Investitionen. Jahrzehntelang gab es, etwa aus Deutschland und China, viel überschüssiges Geld und demgegenüber nur schwache Investitionen. Deswegen ist dieser Gleichgewichtszins weltweit immer weiter gesunken.

Das heißt umgekehrt: Wenn er steigt, wird es für verschuldete Staaten und andere Kreditnehmer eng. Ist denn eine Wende zu befürchten?
Ich glaube nicht, dass der Trend sich sehr schnell dreht. Aber denkbar ist zum Beispiel, dass der hohe Sparüberschuss aus China über die Jahre sinkt. Eine wichtige Rolle kann auch die Klimapolitik spielen, insofern sie hohe Investitionen weltweit erfordert. So könnte ein sich global veränderndes Verhältnis von Spar- und Investitionsquote dem Realzins schrittweise Auftrieb geben.

Kritiker wie der Ökonom Claudio Borio von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich behaupten, dass die Notenbanken mit ihrer weichen Geldpolitik selbst den Realzins drücken. Die Geldpolitiker sagen dagegen, dass sie sich umgekehrt an ihm orientieren müssen. Wer hat denn da recht?
Es kann schon Effekte geben, wie dass zum Beispiel niedrige Notenbankenzinsen unproduktive Firmen und Investitionen unterstützen und damit die gesamte Produktivität der Wirtschaft und letztlich auch den Realzins schwächen. Ich glaube aber nicht, dass das ausschlaggebend für den großen Trend ist.

Es gibt ja die These des Ökonomen Charles Goodhart, dass die Bevölkerungsentwicklung, die bisher die Inflation gedrückt hat, sie künftig eher verstärkt, weil es zu wenig junge Arbeitskräfte gibt. Auf der anderen Seite ist in Japan die Entwicklung weiter als bei uns, trotzdem ist dort noch nichts von Inflation zu sehen.
Japan hat viel an Produktion ausgelagert in andere Länder und so den Mangel an Arbeitskräften abgemildert. Ich glaube aber vor allem, dass man den Effekt der Automatisierung nicht unterschätzen darf. Deswegen bin ich nicht überzeugt, dass der grundlegende Trend sich so schnell ändert.

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Also gibt es langfristig die Chance, Inflation und Staatsschulden unter Kontrolle zu behalten?
Ja, es gibt schon einen Pfad, wie man aus der derzeit sehr expansiven Geld- und Fiskalpolitik wieder schrittweise ohne größere Verwerfungen rauskommt. Dies wird wesentlich davon abhängen, ob es auch wieder zu einem höheren Produktivitätswachstum kommt. Da gibt es meines Erachtens auch Gründe, optimistisch zu sein. Was die Inflation angeht, könnte ich mir aber gut vorstellen, dass die Teuerungsraten für ein paar Jahre über dem liegen, was die Zentralbanken derzeit vorhersagen, auch wenn es keinen so dramatischen Anstieg wie in den 70er-Jahren gibt.

Mehr: Furcht vor steigenden Zinsen: Wie Experten das Umfeld für Immobilienanleger beurteilen

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