Große Handelsblatt-Umfrage So wird sich der Dax 2020 laut Analysten entwickeln

Experten rechnen damit, dass der Dax bis Ende nächsten Jahres auf 13.999 Punkte klettern wird.
Frankfurt Mit dem zu Ende gehenden Jahr können Aktienanleger in Deutschland zufrieden sein. Seit Januar hat der heimische Leitindex Dax um gut ein Viertel zugelegt. 2020 wird der Aufschwung – wenn auch etwas gebremst – weitergehen. Das erwarten zumindest die 30 Analysten und Volkswirte von Banken und Wertpapierhäusern, die das Handelsblatt in seiner traditionellen Kapitalmarktanalyse befragt hat.
Die Experten rechnen damit, dass der Dax bis Ende des nächsten Jahres auf 13.999 Punkte klettern wird. Das wäre noch einmal ein Plus von rund fünf Prozent – und ein neues Allzeithoch. Der heimische Leitindex würde den bisherigen Rekord-Schlusskurs von 13.559 Zählern aus dem Jahr 2018 übertreffen.
Für den Optimismus ist eine ganze Reihe guter Nachrichten zum Jahreswechsel verantwortlich. In Deutschland hat die Furcht vor einer Rezession zuletzt nachgelassen, dazu kommt die Entspannung im Handelsstreit zwischen den USA und China.
Außerdem ist durch den klaren Wahlausgang in Großbritannien die Gefahr eines ungeordneten Brexits kleiner geworden. Dazu kommen die anhaltenden Niedrigzinsen, die zumindest für Aktieninvestoren eine gute Nachricht sind.
Nach den Berechnungen der Commerzbank würde der Bullenmarkt 2020 in sein zwölftes Jahr gehen, es wäre damit der längste Anstieg seit 1960. In den Achtziger- und Neunzigerjahren endete der Aufschwung bereits nach acht Jahren. Damals setzte eine restriktivere Notenbankpolitik in den USA dem Kursanstieg ein abruptes Ende.
Ein ähnliches Szenario halten die Commerzbank-Strategen nach den drei Zinssenkungen der US-Zentralbank Fed 2019 derzeit allerdings für unwahrscheinlich. Ohnehin hat Fed-Präsident Jerome Powell angekündigt, die Wirtschaftsentwicklung genau zu beobachten.
Es spricht deshalb vieles dafür, dass es in den USA eher zu einer weiteren Zinssenkung als zu einer Erhöhung der Leitsätze kommen wird. Gerade im Wahljahr 2020 wird US-Präsident Donald Trump alles daransetzen, die Zentralbank von der Notwendigkeit einer lockeren Geldpolitik zu überzeugen.
Vor diesem Hintergrund sagt die Commerzbank einen leichten Anstieg des Dax auf 13.700 Punkte voraus. Die Kollegen von der Deutschen Bank sind mit einer Prognose von 14.000 Zählern etwas optimistischer.
Für Emmerich Müller, Partner beim traditionsreichen Bankhaus Metzler, führt an Aktien derzeit kein Weg vorbei, weil sie „langfristig eine Rendite von sieben bis acht Prozent bieten“. Die Konjunktur sehe besser aus als von vielen Investoren vor zwölf Monaten befürchtet. Mittelfristig erwartet Müller in Europa rund ein Prozent Wachstum.
Die USA und die Schwellenländer werden nach Müllers Prognose zwar schneller wachsen, dort sind die Aktien allerdings auch höher bewertet. Dazu kommen Währungsrisiken. Würden die Anleger diese Risiken vollständig absichern, koste das zu viel Rendite, warnt der Banker.
Für deutsche Aktien spricht die nachlassende Angst vor einer Wirtschaftskrise. Nachdem Deutschland zuletzt in eine Rezession abzurutschen drohte, rechnen die Volkswirte für das kommende Jahr mittlerweile mit einem kleinen Plus beim Wachstum.
Davon geht auch der Ifo-Geschäftsklimaindex aus. Als wichtigstes deutsches Konjunkturbarometer stieg er im Dezember stärker als erwartet an, was zuletzt selten vorkam. Erfreulich ist für Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank aus Liechtenstein, „dass die Unternehmen ihre Geschäftsaussichten erneut als besser bewerten“.
Optimisten: Lockere Geldpolitik ist Voraussetzung fürs Wachstum
Die VP Bank ist ohnehin der größte Optimist in der Kapitalmarktumfrage des Handelsblatts, obwohl Deutschland „mitten im Ereignisfeld strategischer Veränderungen wichtiger Schlüsselindustrien“ stehe, wie Bernd Hartmann, Chefwertpapierstratege des Instituts sagt. Diese Veränderung beträfe nicht nur den Automobilsektor, 2020 werde für die gesamte exportintensive deutsche Industrie zum Prüfstein, so Hartmann.
Der Analyst der VP Bank geht aber davon aus, dass der Umbau gelingt und der Dax so bis Ende 2020 auf 15.000 Punkte klettert. Hartmann rechnet mit einer gütlichen Lösung im Handelsstreit zwischen den USA und China, von der die deutschen Exporte profitieren würden.
Außerdem erwartet er, dass die Bundesregierung ihre ehrgeizigen Klimaziele mit einem fiskalischen Förderprogramm begleitet. Das wäre dann die von vielen erhoffte Konjunkturspritze.
Im Lager der Optimisten befindet sich auch die Bank Julius Bär. Die Schweizer Privatbankiers erwarten den Dax bei 14.600 Punkten und damit auf dem gleichen Niveau wie die Bank of America. Julius-Bär-Chefvolkswirt David Kohl geht davon aus, dass die Zentralbanken weltweit mit ihrer lockeren Geldpolitik die Voraussetzung für eine Wachstumserholung in den nächsten zwölf Monaten schaffen.
Kohl glaubt, dass die Angst vieler Investoren vor politischen Risiken ein schlechter Ratgeber ist: Nur in Ausnahmefällen seien diese Sorgen „ein Vorbote für eine Aktienmarktkorrektur“. Die intensive Berichterstattung über geopolitische Risiken belaste zwar die Stimmung, lege aber auch nahe, dass ein großer Teil der möglichen Auswirkungen in den Marktpreisen bereits berücksichtigt sei.
Die Schweizer gehen davon aus, dass die Dax-Unternehmen einen großen Teil des aktuell erwarteten Gewinnwachstums für 2020 von nahezu 13 Prozent auch liefern können.
Dividenden dürften fallen
Die Dividenden werden im nächsten Jahr den Prognosen zufolge allerdings leicht fallen – nachdem sie 2019 auf den höchsten Stand seit zehn Jahren geklettert sind. Commerzbank-Stratege Andreas Hürkamp erwartet, dass 2020 für das zurückliegende Geschäftsjahr insgesamt 37,5 Milliarden Euro von den 30 Dax-Firmen ausgeschüttet werden.
Das wäre ein Rückgang von 1,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr und entspräche einer Dividendenrendite von 2,9 Prozent. Im Vergleich zur zehnjährigen Bundesanleihe, die derzeit mit minus 0,26 Prozent rentiert, ist das allerdings noch immer ein attraktiver Wert.
Ganz anders als die Optimisten beurteilt die französische Großbank Société Générale die aktuelle Lage an den Aktienmärkten. Die Franzosen sind – wie schon im vergangenen Jahr – die Bären in der Kapitalmarktumfrage und sehen den Dax Ende nächsten Jahres bei nur 12 500 Punkten.
Die Experten gehen von einer „kurzen und milden Rezession in den USA Mitte 2020“ aus, die durch fallende Gewinne der Unternehmen verstärkt werde. Und das werde weltweit die Märkte belasten.
Der nachlassende Schwung des Bullenmarkts zeigt sich auch bei der Beurteilung der Einzelwerte im Dax. Die Nachrichtenagentur Bloomberg hat die Researchberichte der Analysten ausgewertet und ausgerechnet, dass zehn Aktien ein zweistelliges Ertragspotenzial bieten. Weitere zwölf Werte liegen einstellig im Plusbereich, und bei acht Anteilscheinen befürchten die Investmentprofis Verluste.
Das Ergebnis ist nicht vergleichbar mit dem Optimismus, der noch im vergangenen Jahr herrschte. Damals boten mit Ausnahme des Rückversicherers Münchener Rück alle anderen 29 Dax-Werte ein zweistelliges Ertragspotenzial.
Spitzenreiter Wirecard
Bei den Einzelwerten ragt in diesem Jahr der Zahlungsdienstleister Wirecard heraus. Seit Jahresbeginn hat die Aktie zwar rund ein Fünftel ihres Werts verloren, weil immer wieder Vorwürfe über angebliche Unregelmäßigkeiten bei den Bilanzpraktiken auftauchten.
Trotzdem raten 70 Prozent der Analysten zum Kauf der Wirecard-Aktien. Weitere 23,3 Prozent empfehlen, die Papiere zu halten, und nur 6,7 Prozent glauben, dass ein Verkauf die beste Strategie ist.
Die Privatbank Hauck & Aufhäuser hat für Wirecard die Einstufung „kaufen“ mit einem Kursziel von 270 Euro gegeben.
Wirecard notiert derzeit bei gut 105 Euro. Der Zahlungsabwickler stehe vor einem starken Jahr 2020, schreibt Analyst Simon Bentlage in einer Studie.
Das genossenschaftliche Spitzeninstitut DZ Bank hat den fairen Wert der Wirecard-Aktie wegen neuer Vorwürfe in Sachen Bilanzfälschung und hoher Wetten von Hedgefonds auf Kursverluste zwar von 185 auf 150 Euro gesenkt, aber die Einstufung auf „kaufen“ belassen. Wegen der juristischen Unwägbarkeiten habe er eine höhere Risikoprämie eingepreist, erläutert Analyst Harald Schnitzer den neuen fairen Wert.
Die Kaufempfehlung begründet der Experte mit der Annahme, dass sich die Anschuldigungen juristisch gesehen als haltlos erweisen sollten.
Neben dem Zahlungsdienstleister aus der Nähe von München trauen die Analysten auch den Aktien des Gesundheitstechnologiekonzerns Fresenius Medical Care mit einem erwarteten Kursanstieg von knapp 20 Prozent eine Menge zu. Für Heidelberg Cement prognostizieren die Experten im Schnitt ein Plus von über 15 Prozent.
Weihnachtsrally in Amerika
Die Experten dürften für den deutschen Mark so optimistisch gestimmt sein, weil die Lage an den Weltleitbörsen in den USA robust ist. In diesem Jahr durften sich die Aktienanleger an der Wall Street auch über einen ungewöhnlichen Weihnachtsmann freuen: „Santa Claus im Weißen Haus – US-Präsident Trump hat den Bullen von der Leine gelassen“, wie Jochen Stanzl, Chefmarktanalyst von CMC Markets sagt.
Stanzl freut sich über das Angebot der Amerikaner an China, die Strafzölle zu halbieren. Die Märkte hörten die frohe Botschaft des Präsidenten und reagierten entsprechend: Seit der Entspannung im Handelskrieg legten die wichtigsten US-Indizes eine ansehnliche Weihnachtsrally hin.
Der S&P 500 und der Auswahlindex der Technologiebörse Nasdaq kletterten auf neue Rekordstände. Unterstützt wurde der Aufstieg auch durch die Aussicht auf ein Ende der Gewinnrezession der US-Unternehmen im neuen Jahr.
Kein Wunder also, dass die meisten Experten eine Fortsetzung des längsten Bullenmarkts in der Geschichte der USA erwarten – allerdings mit deutlich gebremstem Schwung, so wie in Deutschland auch. Im Mittel gehen die Analysten davon aus, dass der amerikanische Standard & Poor‘s 500 Index Ende 2020 bei 3272 Punkten stehen wird. Das wäre ein Plus von rund einem Prozent.
Vergangenes Jahr zeigten die Fachleute zu wenig Mut
Rückblickend zeigt sich, dass die 30 vom Handelsblatt befragten Fachleute im vergangenen Jahr mit ihrer Prognose zu wenig Mut bewiesen hatten. Im Schnitt sagten die Experten für das Jahresende 2019 einen Dax-Stand von 12.053 Zählern voraus. Das wäre zwar ein deutlicher Anstieg von fast 15 Prozent gewesen. In der Realität lag das Plus aber sogar bei rund 26 Prozent.
Der Santander Consumer Bank und der National Bank aus Essen gelang mit ihren Prognosen von 13.400 und 13.300 Punkten nahezu eine Punktlandung. Für 2020 sagt Santander einen Dax-Endstand von 14.200 Zählern voraus, und die Nationalbank sieht den Leitindex in zwölf Monaten sogar bei 14.700 Punkten. Beide Institute sind also erneut mutiger als die Mehrzahl ihrer Konkurrenten.
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