Interview mit Eric Ries „Es gibt einen Hunger nach Veränderung“ – Die Ziele der nächsten Start-up-Generation

„Start-ups bleiben zu lange in privater Hand.“
New York Eric Ries ist mit einem Buch bekannt geworden, das Start-ups erfolgreicher machen soll. Er ist bestens verdrahtet im Silicon Valley und einer, der schon lange auf Reformen drängt.
Herr Ries, die ersten „Einhörner“ – Start-ups, die mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet werden – sind an der Börse, und die Bilanz ist bislang nicht besonders gut. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Ich finde das schon etwas schade. Es gibt hohe Erwartungen, was die kurzfristige Performance an den Börsen angeht. Dabei vergessen viele, dass diese „Einhörner“ Beachtliches geleistet haben. Jemand hatte eine Vision von einem neuartigen Unternehmen und hat Milliarden eingesammelt, um die Idee in die Realität umzuwandeln. Ich wünschte, wir könnten als Gesellschaft etwas nuancierter mit dem Thema umgehen, statt die Gründer entweder zu großen Gewinnern oder großen Verlierern zu machen. Eher sollte man die Innovatoren feiern, ohne sie gleich auf ein Podest zu heben. Am Ende des Tages sind die Gründer auch nur Menschen, die nicht perfekt sind.
Die Start-ups bleiben deutlich länger in privater Hand als die vorherige Generation. Ist das die richtige Entscheidung?
Ich finde es gut, dass Kleinanleger nun eine Chance haben, in diese Unternehmen zu investieren und am Wachstum und an den Innovationen teilzuhaben. Besser spät als nie! Ich hoffe, dass wir eines Tages wieder dahin zurückkommen, dass es eine rationale Entscheidung für Unternehmen ist, etwas früher an die Börse zu gehen. Das ist gut für die Gesellschaft, wenn möglichst viele an dem Erfolg teilhaben können.
Sie kennen die nächste Generation der Start-ups, die nach Uber, Lyft und Pinterest an die Börse streben, besonders gut. Viele befolgen die Prinzipien Ihres Buchs „The Lean Startup“. Sehen Sie, dass sich dort etwas verändern wird?
Es gibt einen Hunger nach Veränderung, aber noch hat sich nicht viel geändert. Viele wollen im Moment mit mir darüber diskutieren, wie man die Probleme angehen kann. Dabei geht es nicht nur um die Unternehmen, sondern auch um Investoren. Wir arbeiten daran, ein gesünderes Ökosystem aufzubauen. Dafür sind wir alle verantwortlich.
Warum scheuen so viele den Gang aufs Parkett?
Ich habe selbst für große Konzerne als Innovationsberater gearbeitet. Es gibt die grundsätzliche Tendenz, kurzfristiger zu denken und nicht mehr so viel in Innovation zu investieren, sobald man an der Börse gelistet ist. Das belegen viele Studien. Auch das Erstellen von Quartalsberichten bindet viele Ressourcen. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass ein Prozent der Mitarbeiter eines globalen Unternehmens 30 Tage lang diesen Bericht vorbereitet. Das drückt auf die Produktivität und zeigt vielleicht doch nicht genau, wie es in einem Unternehmen aussieht. Ich glaube, hier lässt sich einiges verbessern.
Viele Start-ups verfolgen eine Strategie des „Hyper-Wachstums“: möglichst schnell Marktanteile erobern, egal, was es kostet. An der Wall Street scheint das nicht besonders gut anzukommen. Wie stehen Sie dazu?
Es gibt Situationen und Geschäftsmodelle, in denen Hyper-Wachstum sinnvoll sein kann. Aber für mich ist dabei immer das Wichtigste, dass ein Unternehmen seiner Vision treu bleibt und diese auf nachhaltige Weise verfolgt, egal mit welcher Strategie. Das ist auch eine zentrale Botschaft in der „Lean Startup“-Philosophie.
Und würden Sie sagen, dass Uber, Lyft und andere diese Prinzipien eingehalten haben?
Das ist schwer zu sagen. Man sollte die Unternehmen nicht über einen Kamm scheren. Was Uber und Lyft angeht: Der ultimative Test wird sein, wie die Unternehmen mit ihren Fahrern umgehen und ob sie sie künftig stärker an Erfolgen beteiligen.
Im Moment sieht es nicht danach aus.
Man wird sehen.
Wie sehr sind Risikokapitalgeber bereit zu Veränderung?
Gerade die frühen Investoren sind im Moment eigentlich sehr zufrieden, und sie verdienen Anerkennung. Heute nutzen viele im Büro Slack, aber vor ein paar Jahren war es längst noch nicht klar, dass sich das Unternehmen durchsetzen würde. Investoren sind damals ein großes Risiko eingegangen. Gleichzeitig sind die Venture-Capital-Firmen auch der Grund, warum Unternehmen so lange in privater Hand bleiben.
Weil sie die Start-ups mit ausreichend Geld versorgen?
Und weil viele von ihnen früher selbst Manager in großen Unternehmen waren und wissen, wie schwer das war. Diese Erfahrungen geben sie an ihre Portfolio-Unternehmen weiter, die natürlich ihren Rat befolgen. Einiges davon, das sollten wir jedoch anerkennen, ist wahrscheinlich überzogen. Viele Tech-Unternehmen sind schließlich auch nach dem Börsengang sehr erfolgreich.
Der Tech-Sektor ist nach der Diskussion um die Privatsphäre und den Datenskandalen nicht mehr so beliebt wie vor ein paar Jahren. Sorgt das für Diskussionen, auch bei den Investoren in diese Unternehmen?
Auch die Risikokapitalgeber wollen Veränderung, aber noch ist nicht klar, wie die aussieht. Einige glauben, dass dies nur ein Sturm ist, der vorübergeht. Andere wollen wirklich etwas ändern. Als ich vor gut fünf Jahren anfing, über die Long Term Stock Exchange zu sprechen, haben viele nicht verstanden, warum das nötig ist. Es war ja alles in Ordnung. Aber ich finde, wir brauchen Lösungen, bevor es zu einer Krise kommt.
Hat das Valley Lehren aus dem Betrugsskandal um die Blutanalyse-Firma Theranos gezogen?
Ich hoffe, aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Immerhin: Die besten Risikokapitalfirmen haben die Firma gemieden. Das System ist also nicht so kaputt, dass niemand skeptisch war. Trotzdem sollte so etwas nicht noch einmal passieren können.
Mehr: Die Long Term Stock Exchange für langfristig denkende Unternehmen will dieses Jahr an den Start gehen. Die Börse soll ein wachsendes Problem zu lösen.
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