Märkte nach der Wahl Dax steigt, aber keine Rally – Wie Investoren auf die Wahl reagieren

Nach der Wahl bleiben für Anleger zunächst mehr Fragen als Antworten.
Frankfurt Die Statistik scheint wieder einmal recht zu bekommen: Am Wahlmontag steigt der Dax. Seit 1961 haben der deutsche Leitindex und seine Vorläuferindizes in zwölf von 16 Fällen am Tag nach Bundestagswahlen zugelegt. So auch heute: Der Dax stieg am Montag um bis zu 1,1 Prozent, am Nachmittag war davon ein Plus von noch 0,4 Prozent übrig. Euphorisch ist die Reaktion der Börsen daher nicht, und das ist nach Ansicht von Analysten und Investoren verständlich.
Maximilian Kunkel, Chefanlagestratege Deutschland im Wealth Management der UBS, erklärt das so: „Das äußerst knappe Ergebnis der Bundestagswahl, bei der keiner der beiden großen Blöcke eine entscheidende Mehrheit erhielt, wirft mehr Fragen als Antworten auf.“ Schließlich sei nicht einmal klar, wer der nächste Bundeskanzler wird.
Martin Siegert, einer der leitenden Strategen bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), sagt: „Ampel oder Jamaika – diese Frage wird die Märkte in den kommenden Wochen bewegen.” Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege bei Fidelity International, wagt sich etwas weiter vor. Eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP sei etwas wahrscheinlicher als eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP.
„Dax und Co. atmen erst einmal durch“
Für die Börsen ist das jedoch nicht das Entscheidende. „Dax und Co. atmen erst einmal durch, weil es für die Option einer rot-grün-roten Regierung aus SPD, Grünen und Linken nicht reicht“, sagt Robert Greil, Chefanlagestratege bei der Privatbank Merck Finck. Das sieht auch Jeffrey Halley, Analyst bei der US-Währungshandelsplattform Oanda, so. Bei der Bundestagswahl habe es zumindest keine „bösen Überraschungen gegeben“.
Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank in Liechtenstein, betont ebenfalls: „Das größte Risiko ist aus Sicht der Finanzmärkte ausgeräumt.“ Damit stehe fest: „Mit einem deutlichen Bruch der bisherigen Regierungsarbeit ist nicht zu rechnen.“
Auch Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank, erwartet weder zu starke wirtschaftspolitische Ausschläge nach links noch deutliche Steuersenkungen. Die große Aufgabe der Investition in Nachhaltigkeit und Infrastruktur sei allen denkbaren Koalitionen gemein, wenngleich noch ehrgeizigeren Klimazielen im Ergebnis eher eine Absage erteilt wurde. Nach Ansicht von Kater können die Finanzmärkte „mit dieser politischen Neuausrichtung gut leben“.
Nachhaltigkeit bleibt im Fokus – auch an der Börse
Dass Investoren mit der Neuausrichtung gut leben können, gilt laut Gitzel von der VP Bank auch noch aus einem weiteren Grund: „Letztlich ist die Parteienkonstellation gar nicht so relevant, denn die Themen für die kommende Legislatur stehen weitgehend fest.“ Die künftige Regierung habe nur wenig Gestaltungsspielraum. So sei zum Beispiel das Ende des Stroms aus Kohle bis spätestens 2038 beschlossene Sache. Alle Parteien verpflichteten sich zudem zum beschleunigten Ausbau der digitalen Infrastruktur.
Das sieht auch Kunkel von der UBS so: Klimawandel und Digitalisierung sind für ihn die Schlüsselbereiche, auf die sich Investoren konzentrieren sollten. Dies seien die Bereiche, in denen sich alle Parteien über die Notwendigkeit größerer Investitionen einig zu sein scheinen.
Emmanuel Cau, der bei der britischen Großbank Barclays die europäische Aktienstrategie leitet, meint ebenfalls: „Der grüne Wandel steht ganz oben auf der Agenda einer jeden Regierung.“
Konkret sehen die Aktienstrategen von Barclays deshalb jetzt Chancen bei RWE, Eon und dem Windkraftanlagenbauer Encavis. Am Montag stechen diese Aktien jedoch nicht hervor. RWE und Encavis steigen um gut ein Prozent, die Eon-Aktie verliert leicht.
Anleger sollten Ruhe bewahren
Für Christian von Engelbrechten, Fondsmanager für deutsche Aktien bei Fidelity International, gibt es nach der Wahl allerdings keinen Grund, sein Portfolio umzuschichten. Bei den wahrscheinlichen Koalitionen „Jamaika“ oder „Ampel“ werden sich seiner Meinung nach aus Investorensicht die Rahmenbedingungen für die deutschen Unternehmen nicht dramatisch verändern. Deutsche Unternehmen seien zudem flexibel und dynamisch und könnten sich an veränderte Rahmenbedingungen anpassen.
Selbst im Immobiliensektor sieht von Engelbrechten keinen Anpassungsbedarf – auch nicht bei einer Ampel-Koalition. Die führenden Köpfe bei SPD und Grünen seien schließlich gegen die Enteignung von Immobilienkonzernen, für die Berliner Bürgerinnen und Bürger in einer Volksabstimmung gestimmt haben.
Von daher bedeutet nach Ansicht von Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege bei Fidelity International, das Wahlergebnis für Anleger: „Ruhe bewahren“. Auch Gitzel von der VP Bank warnt Anleger davor mit Blick auf die neue Regierung, „Finanzwetten abzuschließen“. Das gilt für die Strategen der Dekabank auch deshalb, weil für deutsche Aktien die globalen Kapitalmarktbewegungen den Takt vorgeben.
Auch mit Blick auf die deutsche Politik brauchen Investoren nach Ansicht von Aktienstrategen Cau von Barclays jetzt vor allem Geduld und Ruhe. „Bis eine neue Koalition feststeht, könnte es noch Wochen oder sogar Monate dauern.“ Letztlich werde es aber keine große Abkehr von der bisherigen Politik, geben.
Anleiherenditen halten sich stabil
Nach Ansicht von Kunkel von der UBS könnte eine SPD-geführte Ampel-Regierung eine etwas größere finanzpolitische Entlastung bringen als eine CDU/CSU-geführte Jamaika-Koalition.
Gitzel von der VP Bank sieht aber auch unter einer Ampel-Koalition keinen deutlichen Anstieg der Staatsverschuldung. SPD-Kanzlerkandidat Scholz seien schließlich solide Staatsfinanzen wichtig, allein das wirke für die Finanzmärkte beruhigend. An den Anleihemärkten gibt es zunächst denn auch wenig Reaktionen auf die Wahl.
Die Rendite der maßgeblichen zehnjährigen deutschen Bundesanleihe steigt gegenüber dem Freitag kaum merklich auf minus 0,22 Prozent. Anleiherenditen entwickeln sich gegenläufig zu den Kursen. In den vergangenen vier Wochen sind die Anleiherenditen bereits merklich von minus 0,45 Prozent nach oben geklettert.
Grund dafür waren die sich verfestigenden Spekulationen auf ein Ende der Anleihekäufe der US-Notenbank in diesem Jahr und zuletzt die Andeutung der Bank of England, sie könne sich vorstellen, die Leitzinsen schon zu erhöhen, während sie noch Anleihen kauft.
Jetzt herrscht nach Ansicht von Rainer Guntermann, Zinsstratege bei der Commerzbank, aber zunächst einmal Erleichterung vor, dass eine rot-grün-rote Koalition vom Tisch ist.
In diesem Punkt sind sich die Investoren an den Aktien- und den Anleihemärkten offenbar einig.
Banken wollen schnelle Koalitionsverhandlungen
Die deutschen Banken drängen nach der Wahl vor allem auf schnelle Koalitionsverhandlungen. Bei zentralen Themen der künftigen Regulierung herrscht allerdings nach wie vor Streit zwischen den Lagern, entsprechend unterschiedlich fallen die Forderungen an die nächste Bundesregierung aus.
„Deutschland braucht nun schnell Klarheit, wer die kommende Regierung stellt. Wir brauchen ein Regierungsbündnis des Aufbruchs“, sagte Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing in seiner Funktion als Präsident des Bundesverbands deutscher Banken. Je eher die neue Koalition arbeitsfähig sei, desto besser.
„Die neue Bundesregierung sollte mehr Europa wagen“, forderte Sewing, der sich seit geraumer Zeit für eine Vollendung der Banken- und Kapitalmarktunion in der EU starkmacht, die bislang auch am deutschen Widerstand gegen eine gemeinsame Einlagensicherung scheitert.
Bundesfinanzminister und SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz hatte vor Kurzem auf dem Banken-Gipfel des Handelsblatts angekündigt, dass er die Bankenunion als möglicher Kanzler zur Chefsache machen würde.
Beim Thema Einlagensicherung und damit bei der Bankenunion sind die Genossenschaftsbanken dezidiert anderer Meinung als die privaten Banken. Risiko und Haftung dürften auch künftig nicht auseinanderfallen, betonte Marija Kolak, die Präsidentin des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR). Kolak fordert von der neuen Regierung „eine angemessene, proportionale Regulierung“. Dazu gehöre auch der „Erhalt der Institutssicherung in einer sich weiterentwickelnden Bankenunion“.
Einig ist sich Kolak mit den Privatbanken dagegen bei der Forderung nach einem schnellen Abschluss der Koalitionsverhandlungen. „Nun ist es an den Parteien, in Sondierungen rasch die Chancen für eine stabile Regierung auszuloten“, sagte die BVR-Chefin. Das sehen auch die Sparkassen so: „Wir hoffen, dass schnell eine stabile Regierung gebildet wird“, erklärte Verbandspräsident Helmut Schleweis.
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