Nikkei-Kurswende Japan hofft nach Aktienflaute auf den Börsenboom im zweiten Halbjahr

Aktienstrategen sind für das zweite Halbjahr am japanischen Aktienmarkt optimistisch.
Tokio Der japanische Aktienmarkt kannte zuletzt nur eine Richtung: abwärts. In den vergangenen drei Monaten sackte der Leitindex Nikkei-225 um 2000 Punkte auf unter 28.000 Zähler ab. Jetzt setzen einige Aktienstrategen auf eine Kurswende im zweiten Halbjahr – sofern kein globaler Aktiencrash alle Kalkulationen zerstört.
Die Strategen des weltweit größten Vermögensverwalters Blackrock haben jüngst ihre Bewertung für Japan auf „neutral“ erhöht. Sie erwarten, dass in der zweiten Jahreshälfte globale Anlagegelder, die in den vergangenen Monaten aus Japan abflossen, teilweise wieder zurückfließen könnten.
Auch die Strategen der japanischen Investmentbank Nomura werten die Chancen größer als die Risiken einer neuen Corona-Welle oder einer Kurskorrektur: „Wir bleiben über die kommenden drei Monate ‚bullish‘ für Japans Aktien.“
Ein wichtiger Faktor für den wachsenden Optimismus ist die hohe Bewertung in den USA: Dort wurde der Markt Mitte Juli bereits mit dem 23-fachen Wert der für 2021 erwarteten Gewinne und dem 4,8-fachen Buchwert gehandelt. Dieser Run auf US-Aktien hat die Angst vor einem Kollaps geschürt – oder wenigstens einer kräftigen Korrektur.
„Die historisch hohen Bewertungen von Risikoanlagen werden sich unserer Ansicht nach normalisieren“, meint beispielsweise Soichiro Matsumoto, der Chief Investment Officer für Japan beim Global CIO Office der Credit Suisse.
Sollte Geld aus den USA abfließen, könnte der japanische Markt davon profitieren, sagt Thomas Taw, APAC Head of Investment Strategy bei Blackrock. Denn wegen der heimischen Schwächephase wirken die Bewertungen in Japan nun „etwas attraktiver“: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis sackte auf 16,3 ab – das ist ungefähr das Niveau deutscher Aktien und leicht unter der Kennzahl schweizerischer Aktien. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis fiel auf das 1,5-Fache.
Japans Unternehmenswelt ist noch stark von Industrieriesen geprägt, die generell geringere Gewinnmargen aufweisen als Internet-, Dienstleistungs- und Finanzkonzerne. Dadurch macht die Japan AG im Durchschnitt deutlich geringere Gewinne als die US-Konzerne. Auch hinter Europas hinken Japans Industrieriesen in Sachen Profitabilität hinterher.
Japans Reformen zahlen sich aus
Aber der Abstand schmilzt, weil Japans Reformen der Unternehmensführung (Corporate Governance) sich inzwischen auszahlen, meint Archibald Ciganer, Portfoliomanager der Japan Equity Strategy beim aktiven Vermögensverwalter T. Rowe Price. „Unternehmen setzen nun ihr Kapital effizienter ein, zahlen höhere Dividenden und erhöhen ihre Aktienrückkäufe.“ Dies habe in den vergangenen fünf Jahren zu einer Verdoppelung der Eigenkapitalrendite japanischer Unternehmen geführt, so der Japanexperte: Für 2021 schätzte Nomura Ende Juni die Eigenkapitalrendite japanischer Unternehmen auf knapp über sieben Prozent, für deutsche auf rund zehn Prozent und für schweizerische auf 16 Prozent.
Die Japan-Optimisten setzen nun darauf, dass sich diese Entwicklung mit der Erholung von Wirtschaft und Konzerngewinnen fortsetzt und vielleicht noch beschleunigen wird. Nomuras Experten erwarten sogar, dass die Unternehmen in den kommenden Wochen in den Bilanzen für das erste Quartal des japanischen Geschäftsjahrs die Erwartungen übertreffen werden.
Die Investmentbanker sagen für den Zeitraum von April bis Juni für die Japan AG immerhin 22 Prozent mehr Umsatz und 216 Prozent mehr Gewinn als vor einem Jahr voraus. Damit läge der Umsatz der Unternehmen zwar noch immer leicht unter dem Vorkrisenniveau, der Gewinn aber schon neun Prozent darüber.
Sean Darby, Chefstratege des Investitionshauses Jefferies bleibt daher optimistisch: „Obwohl Japans Wachstum sich nicht V-förmig wie das der USA oder Taiwans erholt, haben japanische Unternehmen vom steigenden Welthandel profitiert.“ Besonders der Nikkei-225-Index wird von Industrieunternehmen wie Auto-, Maschinen- und Anlagenbauern wie Technologiekonzernen dominiert, deren Profitabilität vom Export abhängt. Darby glaubt, dass künftig positive Überraschungen, beispielsweise höhere Aufträge aus aller Welt und hohes Wachstum in Europa, für weiteren Schwung an Tokios Börse sorgen könnten.
Kein Markt für schwache Nerven
Doch auch wenn sich die Lage tatsächlich günstig entwickeln sollte, ist Japan kein einfacher Markt. Kurzfristig sorgen nicht nur neue Covid-19-Rekorde in Japans Hauptstadt Tokio für Verunsicherung. Auch politisch stehen die Zeichen kurz vor den Oberhauswahlen im Herbst nach fast neun Jahren stabiler Regierung auf Tumult.
Skandale, das Wiederaufflammen der Pandemie und das Festhalten an den Olympischen Spielen haben die Zustimmungsrate zum Kabinett von Regierungschef Yoshihide Suga in einer Umfrage der Wirtschaftszeitung „Nikkei“ auf das Rekordtief von 34 Prozent gedrückt. An Japan interessierte Anleger müssen sich daher mit Spekulationen auf einen möglichen Sturz Sugas vor den Wahlen oder einen Regierungswechsel anfreunden.
Zudem zerfällt die Unternehmenswelt massiv in Corona-Gewinner und -verlierer – das macht Investitionen schwierig. Nomuras Strategen raten daher dazu, nicht breit den Markt zu kaufen, sondern sich auf Unternehmen mit langfristigem Wachstumspotenzial zu konzentrieren.
Auf einen Sektor wollen die Strategen allerdings besonders achten: die Maschinen- und Anlagenbauer, die vom Wachstum in China und Asien profitieren könnten. Unternehmen aus dieser Branche könnten nach Meinung der Strategen ihre Gewinnvorhersagen in den kommenden Quartalsbilanzen deutlich anheben. Fondsmanager Ciganer setzt zudem auf Unternehmen, die in globalen Megatrends wie Automatisierung, E-Commerce, E-Health, Fintech und Umwelttechnologien unterwegs sind.
„Das internationale Lob für Japan wird eine große Erleichterung sein“, orakelt John Vail, Chief Global Strategist vom japanischen Vermögensverwalter Nikko Asset Management. „In der Folge könnten heimische und ausländische Investoren viel optimistischer auf japanische Aktien blicken.“
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