Pimco-Chefökonom Joachim Fels: „Die Fed steuert auf Sicht“
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Pimco-Chefökonom Joachim Fels „Die Fed steuert auf Sicht“
Joachim Fels, Chef-Ökonom der Fondsgesellschaft Pimco, im Gespräch über die Folgen des Brexits in einer Welt extrem niedriger Zinsen und warum in den nächsten Jahren die Politik über das Wirtschaftswachstum bestimmen wird.
New YorkErst seit rund einem Jahr arbeitet Joachim Fels als Chef-Ökonom von Pimco in den USA. Er hat die Entwicklung in Europa immer noch im Blick. In seiner neuen Heimat in Newport Beach, Kalifornien, hat er sich gut eingelebt, nur die Klimaanlagen machen ihm immer noch zu schaffen – permanent zu kalt, sagt er.
Herr Fels, werden die Briten es nach dem Brexit-Beschluss schaffen, freien Zugang zu den Märkten der Europäischen Union zu behalten? Der neue Außenminister Boris Johnson scheint das ja zu glauben. Ich glaube das nicht. Für die Europäische Union (EU) gehören der Zugang zum Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalmarkt und ein offener Arbeitsmarkt fest zusammen. Und beim Brexit spielte ja gerade das Motiv eine Rolle, die Einwanderung nach Großbritannien kontrollieren zu können.
Häufig wird vom „Modell Norwegen“ gesprochen, einer Anbindung an die EU, ohne wirklich Teil davon zu sein. Könnte das Vorbild sein? Ich glaube kaum. Die Norweger lassen ja den freien Zugang zum Arbeitsmarkt zu. Das einzige Land, das keine Einwanderung erlauben muss und trotzdem Zugang zu den anderen Märkten hat, ist Liechtenstein. Aber das kann man wohl kaum vergleichen.
Wie lange werden Ihrer Meinung nach die Verhandlungen über die Brexit-Folgen dauern? Wenn die Briten offiziell den Austritt beantragen, haben sie danach zwei Jahre Zeit, über neue Handelsabkommen mit der EU zu verhandeln. Wahrscheinlich brauchen sie aber bis zu sechs Jahren, schließlich müssen alle nationalen Parlamente ihre Zustimmung geben. Möglicherweise werden die Briten und die EU sich übergangsweise auf die Norwegen-Lösung einigen.
Vita Joachim Fels
19 Jahre lang hat der Deutsche Joachim Fels bei Morgan Stanley in London gearbeitet, zuletzt als Chefökonom. Dann wechselte er vor rund einem Jahr zu Pimco. Niedrige Zinsen als Dauerzustand beschäftigen ihn. Pimco hat das Stichwort „New Normal“ ausgegeben – wenig Wachstum, magerer Zins.
Pimco ist eine auf Anleihen spezialisierte Allianz-Tochter und verwaltet 1,5 Billionen Dollar. Bill Gross gründete die Firma. Vor zwei Jahren ging er im Streit. Danach geriet das Unternehmen in Turbulenzen. Der neue Pimco-Chef Emmanuel Roman soll es richten.
Und dann? Dann werden die Briten versuchen, doch noch die Hoheit über ihren Arbeitsmarkt zurückzubekommen und dafür niedrige Zölle und andere Beschränkungen akzeptieren. Es könnte ein ähnliches Abkommen werden, wie es gerade zwischen der EU und Kanada verhandelt wird.
Spielen Zölle eine große Rolle aus britischer Sicht? Das Land hat doch keine starke Exportindustrie. Das sollte man nicht unterschätzen. Die Japaner bauen Autos dort, BMW produziert die Minis für den gesamten europäischen Markt in Großbritannien.
Was sind die Folgen für den Finanzplatz London? Der wird große Bedeutung behalten. Aber mit dem freien Zugang zur EU ist es künftig aller Voraussicht nach vorbei. Die Banken werden innerhalb der EU eigene Niederlassungen gründen müssen, um dort weiter tätig zu sein.
Angesicht der Wirren in Europa ist Amerika eine Insel der Ruhe. Ja, wir befinden uns im achten Jahr des Aufschwungs. Die Chancen sind gut, dass es die längste derartige Phase nach dem Zweiten Weltkrieg wird.
Aber hier scheint die US-Notenbank Fed in ihrem Bemühen festzustecken, die Zinsen wieder auf ein normales Niveau anzuheben. Was erwarten Sie? Ich glaube, es wird höchstens noch einen weiteren Zinsschritt geben, und wenn, dann im Dezember. Die Märkte geben einem Schritt im laufenden Jahr eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, das ist aus meiner Sicht angemessen.
Der Brexit macht die Fed vorsichtiger. Aber gibt es noch andere Gründe dafür, dass sie so lange zögert mit weiteren Zinsanhebungen? Die Fed hat aus meiner Sicht das Vertrauen in ihre eigenen Prognosen verloren, nachdem sie in den letzten Quartalen permanent zu optimistisch war. Sie steuert daher mehr oder minder auf Sicht. Und zurzeit haben wir offenbar ein Gleichgewicht mit rund zwei Prozent Wachstum, niedriger, nur noch langsam weiter sinkender Arbeitslosigkeit und kaum Inflationsdruck. Deswegen hat die US-Notenbank keine Eile.
Kritiker sagen auch, das ökonomische Modell der Fed sei entgleist. Alle ökonomischen Modelle gehen von den Bedingungen der Vergangenheit aus. Wenn dann eine neue Phase mit niedrigem Wachstum beginnt, sind sie überfordert.
Inwieweit spielen internationale Entwicklungen eine Rolle für die amerikanische Notenbank? Die Fed hat gesehen, wie ihre langsam anziehende Geldpolitik seit 2014 den Dollar gestärkt hat. Das hat in zahlreichen Schwellenländern zu Problemen geführt, wo Unternehmen sich in Dollar verschuldet haben, etwa in Brasilien und Mexiko, aber auch in Asien. Es hat die Chinesen dazu bewogen, die feste Bindung an den Dollar zu lockern und die eigene Währung etwas schwächer werden zu lassen. Dass alles schlägt zurück auf die US-Wirtschaft.
Weltweit scheint die Geldpolitik bei Zinsen nahe null Prozent festzustecken. Was ist die Ursache? Tatsächlich haben seit der Finanzkrise fast alle Notenbanken, die die Zinsen erhöht haben, sie kurz darauf wieder gesenkt. Die Ursache ist dieser Überhang an Spargeld gegenüber dem Bedarf an Finanzmitteln für Investitionen. Das hält die Marktzinsen niedrig. Und die Notenbanken können nicht höher als der Markt gehen
Was muss passieren, damit sich das wieder ändern kann? Die geburtenstarken Jahrgänge sparen viel, und gerade in den USA gehen viele auch spät in Ruhestand. Das Extrem-Beispiel, wenn Sie so wollen, ist Warren Buffett, der verdient Milliarden und gibt im Vergleich dazu fast nichts, ab und zu mal eine Cherry-Coke und ein Burger. Bis diese Jahrgänge länger im Ruhestand sind und anfangen, mehr von ihren Ersparnissen auszugeben, kann es in den USA noch 15 bis 20 Jahren dauern. Wir haben also eine lange Phase sehr niedriger Zinsen vor uns.
Ein viel diskutiertes Thema in Amerika in dem Zusammenhang ist es auch, dass die Produktivität kaum wächst. Die Experten rätseln über die Ursachen. Wo liegt Ihrer Meinung nach das Problem? Eine Ursache dafür ist, so paradox das klingt, der technische Fortschritt. Viele Jobs sind automatisiert oder verlagert worden, oder sie werden überflüssig durch Unternehmen wie Airbnb und Uber, die ganze Branchen aufmischen. Dadurch verschwinden gut bezahlte Jobs, und die Leute nehmen stattdessen weniger produktive Arbeit im Service-Sektor an. Das Klischee-Beispiel ist der Fabrikarbeiter, der bei McDonald’s landet. In der Gesamtstatistik sinkt durch diesen Effekt die Produktivität der Arbeit.
Diese Entwicklung spielt auch populistischen Politikern, wie den Befürwortern des Brexits, in die Hände? Ja. Ich glaube, in den nächsten Jahren wird viel mehr die Politik über das Wirtschaftswachstum bestimmen.
Was für Folgen hat das für Ihren Berufsstand? Wir Ökonomen müssen uns immer mehr um Politik kümmern, um die Veränderung der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Der Blick auf Zahlen allein reicht schon lange nicht mehr aus.
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